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Magazin Mitbestimmung

EZB: Die Krise im Nacken

Ausgabe 09/2012

Die Mitarbeiter der Europäischen Zentralbank in Frankfurt klagen über gesundheitsbelastende Arbeitsbedingungen und Fälle von Burn-out. In der Euro-Krise sollen sie immer mehr Aufgaben erledigen. Mitbestimmungsrechte haben sie kaum. Von Renate Hebauf

Die Erwartungen der Öffentlichkeit sind hoch. Bei der Rettung des Euro soll die Europäische Zentralbank (EZB) eine wichtige Rolle spielen. Mitarbeiter der Bank jetten zur Kontrolle von Konsolidierungsmaßnahmen in die Krisenländer und sollen im Akkord ganze Volkswirtschaften analysieren, und jeder Satz, der EZB-Präsident Mario Draghi über die Lippen kommt, löst weltweit Kommentare aus.

Die durch die Krise ausgelöste Mehrarbeit der EZB-Mitarbeiter hat dagegen kaum einer im Blick. Dabei dürften schon bald eine Menge neuer Aufgaben dazukommen: ein Kaufprogramm für Staatsanleihen und die umstrittenen Pläne für eine zentrale Bankenaufsicht für die Eurozone, angesiedelt bei der EZB. Weil das Geschäft heikel ist, sind den Mitarbeitern Gespräche mit der Presse strikt untersagt. Nur über die International and European Public Services Organisation (IPSO), die einzige von der EZB anerkannte Gewerkschaft, ist etwas über die Arbeitssituation zu erfahren. Sie berichtet von bedenklichen Zuständen.

Für die Mehrheit der EZB-Experten gibt es keine geregelte Arbeitszeit. Überstunden ohne Obergrenze und Ausgleich gelten als selbstverständlich. Doch mittlerweile, berichtet IPSO, seien viele Mitarbeiter an den Grenzen der Belastbarkeit angekommen. Fast die Hälfte der Beschäftigten beteiligte sich an einer Umfrage von IPSO zu gesundheitlichen Risiken – sehr viel für eine hoch qualifizierte Belegschaft, die mit überdurchschnittlichen Gehältern und großzügigen Sozialleistungen ausgestattet ist. Ihr eilt der Ruf voraus, voll engagiert und absolut loyal zu sein. Nun spricht die Gewerkschaft von gesundheitsbelastenden Arbeitsbedingungen, einer erhöhten Krankenrate und einer gestiegenen Zahl von Burn-out-Fällen. Bei der Umfrage gaben 75 Prozent der Teilnehmer an, dauerhaft Mehrarbeit zu leisten. Die meisten erhalten schon aufgrund ihrer Arbeitsverträge dafür keinen Ausgleich. Brisant ist, dass viele Beschäftigte darüber klagen, dass sich die Arbeitsbedingungen mittlerweile negativ aufs Privatleben auswirken.

Der Personalbestand der EZB war stets ein Politikum. Derzeit beschäftigt die Bank rund 1500 Mitarbeiter, von denen nicht alle einen unbefristeten Arbeitsvertrag haben. Denn seit dem Jahr 2003, dem Amtsantritt von Draghi-Vorgänger Jean-Claude Trichet, wurden in Frankfurt sukzessive befristete Arbeitsverhältnisse eingeführt, die inzwischen der Standard bei Neueinstellungen sind. Zusätzlich sind rund 1100 Personen ohne Arbeitnehmerstatus für die EZB tätig. Insbesondere bei administrativen Kräften greift die Bank stark auf Leiharbeiter und Berater zurück.

Eine schnelle Abhilfe ist wohl nicht in Sicht. Denn im Zentralbankrat, der über das Personal entscheidet, sitzen nicht nur Mitglieder des EZB-Direktoriums, sondern auch Vertreter der nationalen Notenbanken. Sie sind für ihre restriktive Haltung bekannt. Denn je mehr Aufgaben die Zentralbank übernimmt, desto weniger bleibt für die nationalen Institute übrig. Doch jetzt wird der Ton rauer. In einem Brief erklärte der Gewerkschaftsvertreter und IPSO-Präsident Marius Mager gegenüber EZB-Präsident Draghi, dass „die EZB nicht angemessen mit Personal ausgestattet ist, um ihre gegenwärtigen Aufgaben zu erfüllen, von künftigen, immer wichtigeren Aufgaben ganz zu schweigen“. Weiter hieß es, die chronische Überlastung vieler Mitarbeiter und die „steigende Zahl von Langzeitabwesenheiten“ provoziere „ein ernstes operatives Risiko“. Mager kam im Jahr 1997 von der Österreichischen Zentralbank zur EZB nach Frankfurt, wo er bis heute als IT-Projektmanager tätig ist. Seit 2008 ist er teilweise freigestelltes Mitglied der Mitarbeitervertretung.

DER EZB-RAT IST EINE HARTE NUSS

„Die EZB-Belegschaft ist hoch qualifiziert und hoch professionell. Solche Leute lassen sich das Denken nicht verbieten“, erklärt IPSO-Präsident Mager. Doch die Mitarbeitervertretung der EZB hat kaum verbriefte Rechte, und der Personalrat, das Staff Committee, ist, wie Mager erklärt, zwar „ein gewähltes, aber von der Bank installiertes und finanziertes Gremium“. Umso wichtiger ist die Rückendeckung der Gewerkschaft, die heute rund 40 Prozent der EZB-Stammbelegschaft organisiert. Dem ging ein mühsamer Kampf um Anerkennung voraus. Dass IPSO heute ein wichtiger Arm der Interessenvertretung geworden ist, war kein Selbstläufer. „IPSO hat mehr als zehn Jahre um die gewerkschaftliche Anerkennung bei der EZB gekämpft“, erinnert sich Wolfgang Hermann, IPSO-Geschäftsführer und als hauptamtlicher Mitarbeiter der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) zuständig für die Bundesbank.

Den Durchbruch, einen Mitgliederanstieg von 40 auf 400 Mitglieder in zwei Jahren, brachte das Engagement der Gewerkschaft im Konflikt um die Pensionsreform bei der EZB ab dem Jahr 2007. Einer Petition gegen diese Reform, bei der es um Kürzungen von durchschnittlich 20 Prozent und Eingriffe in bestehende Verträge ging, schlossen sich 651 EZB-Beschäftigte an. In der Folge erkannte der frühere EZB-Präsident Trichet im Juli 2008 schließlich in einem gemeinsamen „Memorandum of Understanding“ IPSO an. Die Bank verpflichtet sich darin, die Gewerkschaft bei allen Vorhaben, die die Beschäftigungsbedingungen betreffen, nach vorgeschriebenen Verfahrensregeln frühzeitig einzubeziehen und zu konsultieren. IPSO hat auch einen Anspruch auf regelmäßige Treffen mit den Vertretern der Personalabteilung und auf zwei jährliche Treffen mit dem Präsidenten oder dem für Personal zuständigen Direktoriumsmitglied ausgehandelt. Dazu das Recht auf eine jährliche Betriebsversammlung, die Bereitstellung von Arbeitsmitteln inklusive eines Büros und einer geringfügigen Freistellung für die Gewerkschaftsarbeit, die einer Vollzeitstelle entspricht.

Trotz dieser Zugeständnisse konnte bei der Pensionsreform kein Kompromiss erzielt werden. „Der EZB-Rat hat die Pensionsreform entgegen dem Willen der Mitarbeiter und ohne Berücksichtigung der konstruktiven Vorschläge der Mitarbeitervertretung durchgepeitscht“, resümiert Marius Mager. Dies nahm die Gewerkschaft zum Anlass für einen 90-minütigen Warnstreik – ein Novum in der EZB-Geschichte. Erstmals gingen im Juni 2009 rund 500 Beschäftigte der Bank auf die Straße. Im Anschluss an die medienwirksame Streikaktion erklärte sich die Bank immerhin bereit, mit der Gewerkschaft über die Verbesserung des sozialen Dialogs zu diskutieren. Doch vor Gericht schwelt der alte Konflikt bis heute weiter. Weil der EZB-Rat aus Sicht der Arbeitnehmer eigene Verfahrensregeln missachtete, zogen 169 EZB-Mitarbeiter unterstützt von IPSO vor den Europäischen Gerichtshof. Das Verfahren ist dort seit zwei Jahren anhängig.

In diesem Klima hat der soziale Dialog nur wenig Fortschritte gemacht – etwa beim Konsultationsrecht. „So können wir künftig in strittigen Punkten das personalverantwortliche Direktoriumsmitglied einschalten oder die Konsultation unterbrechen, um externe Beratung einzuholen“, berichtet Marius Mager. Von der wichtigsten Forderung, dem direkten Zugang zum EZB-Rat, ist nur wenig geblieben. „Wir dürfen vier bis fünf Zeilen in den sogenannten Cover Notes, einem vom Personalbüro vorgefertigten, kurzen Memo an den EZB-Rat, gestalten“, sagt IPSO-Präsident Mager. Das Recht auf Kollektivverhandlungen wird der Gewerkschaft verweigert. Es fehle „eine Kultur der Anerkennung im Umgang mit dem Personal und seinen gewählten Vertretern“, bedauert ver.di-Vertreter Wolfgang Hermann. Vorschläge der Interessenvertretung würden mit dem Letztentscheidungsrecht größtenteils vom Tisch gewischt: „Konsultiere und ignoriere“, so spitzt Hermann das Verfahren gerne zu.

Auch beim aktuellen Streit ums Personal zeigt der EZB-Rat wenig Entgegenkommen. Nur kurzfristige Personalmaßnahmen hat er gebilligt und im Juli die Schaffung von 40 zusätzlichen Stellen. Diese Zahl betrachtet Marius Mager mit Skepsis: „Erst braucht man eine Analyse, dann einen Beschluss über geeignete Schritte. Diese Devise sollte nicht nur für den Umgang mit Krisenstaaten gelten, sondern auch für die interne Entscheidung über den Personalbedarf“, erklärt er. Seine Gewerkschaft fordert daher vom Vorstand nicht eine bestimmte Zahl an Stellen, sondern eine interne Analyse zur Ressourcenausstattung und dem derzeitigen Aufgabenstand, um zu ermitteln, wie viel zusätzliches Personal wirklich gebraucht wird. 

Text: Renate Hebauf, Journalistin in Frankfurt am Main / Fotos: Frank Rumpenhorst

EZB-Mitarbeitervertretung: Kaum mehr als Anhörungsrechte

Rund 40 Prozent der EZB-Stammbelegschaft sind Mitglieder bei der International and European Public Services Organisation (IPSO). Sie wurde 1997 gegründet und vertritt die Interessen von Beschäftigten europäischer und internationaler Organisationen in Deutschland. IPSO ist Mitglied des europäischen Verbands Union Syndicale Fédérale und verbunden mit UNI-Europa Finance, der internationalen Gewerkschaft der Mitarbeiter im Finanzsektor. Der Vorstand (Board) besteht aus sieben Mitgliedern.

Die Rechte der Mitarbeitervertretung, bestehend aus dem Personalrat (Staff Committee) und IPSO, sind limitiert: Die EZB ist eine transnationale Institution, für die nicht das deutsche Arbeitsrecht gilt, sondern der Maastricht-Vertrag, der der Bank Unabhängigkeit garantiert. Die EZB-Führungsspitze aus Direktorium und Rat interpretiert ihn so, dass sie auch alle Aspekte der Arbeitsbeziehungen einseitig festlegt. Die Mitarbeitervertretung hat nur Anhörungsrechte bei Veränderungen, die die Arbeitsbedingungen betreffen. Bei Einstellungen, Kündigungen oder Gehaltserhöhungen bleibt sie außen vor.

Seit dem Jahr 2008 regelt jedoch ein „Memorandum of Understanding“ den sozialen Dialog in der EZB. Ansprechpartner für die Arbeitnehmerseite ist der Vertreter des Personalbüros – derzeit der Niederländer Steven Keuning. Mit ihm sind sechs Meetings pro Jahr vorgesehen. Zweimal im Jahr trifft sich zudem der IPSO-Präsident mit dem Belgier Peter Praet, im EZB-Direktorium zuständig für Personal. 

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