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Magazin Mitbestimmung

: Die Kernsubstanz erhalten

Ausgabe 11/2009

MASCHINENBAU Die Arbeitsplätze könnten um ein Fünftel schrumpfen, selbst wenn die Produktion 2010 wieder zulegt. Die IG Metall kämpft für die Machinenbau-Branche und ihre Fachkräfte. Von Matthias Helmer

MATTHIAS HELMER ist Journalist in Göttingen/Foto: Rainer Weisflog

Trotz ernüchternder Zahlen blickte Hannes Hesse zuversichtlich nach vorn: "Der Maschinenbau geht besser gewappnet in die Krise, als andere Branchen", sagte der Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) im März auf dem ersten von IG Metall und Hans-Böckler-Stiftung veranstalteten Fachhearing Maschinenbau. Dabei verzeichnete die Branche Anfang 2009 einen Auftragsrückgang gegenüber dem - zugegebenermaßen außergewöhnlich guten - Vorjahr um 42 Prozent. Jetzt, im Herbst 2009, hat sich die Lage kaum gebessert. Etliche Maschinenbau-Unternehmen sind mittlerweile in die Insolvenz gegangen, zahlreiche andere stecken in einer Existenz bedrohenden Liquiditätsklemme. Und so rudert auch der Maschinenbau-Verband (VDMA) zurück und ließ seinen Präsidenten Manfred Wittenstein Mitte Oktober in Berlin verlauten, die Krise dauere länger, als man erwartet habe.

Davon können vor allem die Betriebsräte der Maschinenbau-Firmen ein Lied singen. Je nach Teilbranche sind die Auftragseingänge um bis zu 80 Prozent eingebrochen. Besonders hart trifft es zum Beispiel jene Hersteller, die Teile oder Anlagen für die Automobilproduktion liefern, wie Frank Iwer von der Stuttgarter IG-Metall-Bezirksleitung jetzt beim zweiten Böckler-IG-Metall-Fachhearing im Oktober in Frankfurt/Main berichtet. "In einigen Betrieben arbeiten die Beschäftigten nur noch zwei bis vier Tage im Monat", sagt Iwer. Der Rest wird über Kurzarbeitsregelungen, das heißt über die Gelder der Bundesanstalt für Arbeit, aufgefangen.

Schlecht geht es auch den Produzenten von Druck- und Hydraulikmaschinen, die dieses Frühjahr rund zwei Drittel weniger Bestellungen bekamen als im Vorjahr. Im Werkzeugmaschinenbau liegt das Minus bei knapp 60 Prozent.

Dagegen steht die Landmaschinentechnik noch relativ gut da. Hier brachen die Aufträge lediglich um 25 bis 30 Prozent ein, und Kurzarbeit steht erst seit Kurzem auf der Tagesordnung. Es gibt sogar Unternehmen, an denen die Krise scheinbar spurlos vorbeigeht, wie den Kraftwerksbauer Alstom mit Hauptsitz in Mannheim: Hier freut man sich über einen enormen Zuwachs an Bestellungen, und Kurzarbeit ist ein Fremdwort. Vielmehr fehlt es aufgrund zurückliegender Restrukturierungen bei Alstom an geeignetem Personal, berichtet Betriebsrat Rainer Schäfle. "Und so haben wir zu viele Leiharbeiter bekommen." Hoffnungsschimmer gibt es auch beim Ditzinger Werkzeugmaschinenbauer Trumpf: Dort wurde unlängst ein neues Entwicklungszentrum mit 800 Arbeitsplätzen eingeweiht (siehe Seite 40).

EIN DAMMBRUCH DROHT_ Der Maschinenbau ist das Zugpferd des Exportweltmeisters Deutschland und größter Industriezweig - noch vor der Automobilwirtschaft. Die Exportquote liegt bei 60 Prozent. Umso massiver sind die Folgen der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise für die Branche. 30 000 Arbeitsplätze von insgesamt 936 000 sind nach Schätzungen der IG Metall bereits abgebaut worden, 40 000 weitere sind akut gefährdet.

Nach Prognosen der Commerzbank wird die Produktion im Maschinenbau im kommenden Jahr zwar wieder um fünf Prozent zulegen, die Beschäftigung aber um rund ein Fünftel sinken. Ein Dammbruch, den - wenn er denn eintritt - Gewerkschaft und Betriebsräte nicht allein aufhalten können. Die IG Metall hat daher ein Memorandum "Zukunftsbranche Maschinenbau" verabschiedet. "Wir wollen neben den Unternehmen auch Politik und Arbeitgeber in die Pflicht nehmen und glauben, dass eine industriepolitische Debatte zur Sicherung des Maschinenbaus nötig ist", sagt IG-Metall-Vorstandsmitglied Wolfgang Rhode. Das Memorandum sei dafür eine gute Richtschnur. Bislang reagiere die Politik zu zögerlich auf die Gefahren für die Branche. "Dabei ist der Maschinenbau systementscheidend für die deutsche Wirtschaft", sagt Rhode. Grundsätzlich kritisiert er, dass in Deutschland vor allem über die gesamtwirtschaftliche Großwetterlage und den einzelnen Betrieb gesprochen werde. "Die Zwischenebene, die Branchen, sind hingegen zu selten im Blickpunkt."

Hier setzt das Memorandum der IG Metall an: Es hebt zunächst hervor, dass es sich bei der aktuellen Krise im Maschinenbau um eine Nachfragekrise handelt, die auch die Existenz strukturell gesunder und profitabler Unternehmen gefährde. Vordringlichste Aufgabe ist es daher aus Sicht der Gewerkschaft, diese Substanz - zu der vor allem die gut ausgebildeten Facharbeiter und Ingenieure zählen - zu erhalten, bis die Krise überstanden ist. Zum Beispiel über kurzfristige Instrumente wie Kurzarbeit oder Arbeitszeitverkürzungen, jeweils zugeschnitten auf die konkrete betriebliche Situation, um Beschäftigung zu sichern.

Darüber hinaus fordert die IG Metall eine aktive Kreditvergabe der Banken, abgestützt durch staatliche Bürgschaften. Auch hierbei müsse der Erhalt von Arbeitsplätzen ein entscheidendes Kriterium sein, heißt es im Memorandum. Mittelfristig gelte es dann, die Innovationsfähigkeit der Branche zu bewahren. Der Bundesregierung bietet die IG Metall Unterstützung bei der Ausarbeitung eines Konzepts zur Zukunftssicherung des Maschinenbaus an.

Die Art und Weise, wie die Betriebe die Krise bewältigen, werde auch das künftige Gesicht der Branche - nach dem erhofften Aufschwung - bestimmen, sagte IG-Metaller Wolfgang Rhode auf dem zweiten Maschinenbau-Fachhearing. "Die Kernkompetenzen industrieller Wertschöpfung dürfen in diesem Land nicht durch einen plumpen Kostensenkungs-Wettlauf kaputtgespart werden. Mit schlechter Arbeit wird es keine guten Produkte geben", betont Rhode.

KATASTROPHALE INNOVATIONSPOLITIK_ Da der Maschinenbau seit Jahren wichtiger Treiber von Innovationen ist, blicken sowohl IG Metall wie auch der Arbeitgeberverband VDMA zuversichtlich auf die Zeit nach der Krise - trotz der aktuellen Probleme. Für die Entwicklung neuer Produkte - zum Beispiel in der Umwelttechnologie - ist die Branche gut gerüstet. VDMA-Geschäftsführer Hannes Hesse kritisierte auf dem Frankfurter Branchenworkshop aber, dass Forschung und Entwicklung im Maschinenbau zu wenig von der öffentlichen Hand gefördert werden, etwa im Vergleich zur Biotechnologie. "Was unsere Branche anbetrifft, ist die Innovationspolitik eine Katastrophe." Insgesamt wird der Stellenwert des Maschinen- und Anlagenbaus nach Meinung Hesses von den politisch Verantwortlichen verkannt, nicht nur auf Bundes-, sondern auch auf EU-Ebene.

Vergeblich habe sein Verband in Brüssel Klinken geputzt, um mehr Unterstützung für die Branche zu bekommen. "Hier ist noch mehr Druck seitens der Verbände und Gewerkschaften nötig", sagt Hesse und schlägt dabei ein taktisch abgestimmtes Vorgehen von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite vor. Der Stuttgarter IG-Metaller Frank Iwer stößt ins gleiche Horn und fordert eine strategische Entscheidung der EU zur Sicherung der Kernsubstanz der Branche, ähnlich wie es in Japan geschehen ist. Dort wurde die Rettung des Maschinenbaus ganz oben auf die wirtschafts- und industriepolitische Agenda gesetzt. "Bei uns hingegen wurde die Branche im Deutschlandfonds in die hohe Risikoklasse vier eingestuft, und die Unternehmen zahlen neun oder zehn Prozent Zinsen", klagt Iwer.

Ungewiss ist, ob die neu gewählte Bundesregierung eine "intelligente Branchen- und Industriepolitik" für den Maschinenbau voranbringen wird, wie von der IG Metall gefordert. "Der Blick in die Wahlprogramme verbietet Optimismus an dieser Stelle. Auf der anderen Seite wäre die Politik schlecht beraten, würde sie die Chance einer solchen aktiven und Beschäftigung sichernden Initiative verspielen. Warten wir es ab", sagt Vorstandsmitglied Rhode. Klar sei aber, dass seine Gewerkschaft ihre Interessen gegenüber der Politik deutlich artikulieren werde. "Da verfügen wir über eine breite Palette von Möglichkeiten."

Statement von Elmar Dannecker, Betriebsratsvorsitzender beim Werkzeugmaschinenbauer Trumpf: "Wir sind noch lange nicht durch".

Statement von Tomo Rupcic, Betriebsratsvorsitzender beim Baumaschinenhersteller Terex-Schaeff: "Die Stimmung bei uns ist mies".


Mehr Informationen

Das IG-Metall-Maschinenbau-Memorandum und weitere Brancheninformationen finden sich im Netz unter www.igmetall.de/Branchen/Maschinenbau

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