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Magazin Mitbestimmung

: Die Grenze in den Köpfen

Ausgabe 07/2007

EUROPA Immer häufiger haben Betriebsräte mit grenzüberschreitenden Fusionen, Standortwettbewerben und Restrukturierungen zu tun. Doch ihre Berater denken meist noch national. Mehr Kooperation wäre notwendig.


Von WERNER ALTMEYER.

Der Autor hat mit einem Stipendium der Hans-Böckler-Stiftung promoviert und das Trainings- und Beratungsnetz euro-betriebsrat.de in Hamburg mitbegründet.

Im Süden von Paris, in dem früheren Arbeiterviertel Butte aux Cailles, wo während der Pariser Kommune 1871 heftige Kämpfe tobten und heute in kleinen, malerischen Straßen zahlreiche Restaurants und Cafés zu finden sind, liegt die Zentrale der Groupe Alpha, der europaweit größten Beratungsgesellschaft für Betriebsräte. Die Dimensionen sind gewaltig: Mit rund 950 Mitarbeitern - das sind fast soviel wie die 1100 politischen Sekretäre der IG Metall - setzte die Beratungsgesellschaft im Jahr 2006 rund 112 Millionen Euro um. Neben der Hauptfiliale verfügt die Groupe Alpha über elf weitere Niederlassungen in allen Teilen Frankreichs und ein Büro in Brüssel. Nicht alle Industriezweige werden von Paris aus koordiniert, so ist etwa die Luftfahrtindustrie in der Niederlassung Toulouse angesiedelt, wo sich das wichtigste Werk von Airbus befindet. Die nach der Groupe Alpha nächstgrößere Gesellschaft, Syndex, die eng mit dem sozialdemokratisch orientierten Gewerkschaftsdachverband CFDT kooperiert, bringt es auf immerhin 350 Berater. Die Dimensionen kommen nicht von ungefähr.

So unterschiedlich wie in Europa die Kulturen von Betriebsverfassung sind, so verschieden sind auch die Beratungslandschaften. In Frankreich ist, unterstützt durch politische Weichenstellungen mehrerer Regierungen, der größte arbeitnehmernahe Beratermarkt Europas entstanden. Bereits 1946 wurde in Frankreich der Beratereinsatz durch ein Gesetz geregelt und im Jahr 1982 noch einmal erheblich ausgeweitet. Länder wie Großbritannien, die weder Betriebsräte noch deren Finanzierung durch den Arbeitgeber kennen, sind das andere Extrem. Dort bieten fast ausschließlich die Gewerkschaften selbst Beratungsleistungen an.

Die Informationsrechte für Arbeitnehmervertreter reichen im Detail weiter als in Deutschland - so etwa die Anhörung im Falle einer Betriebsänderung. Sie geht in Frankreich weit über das hinaus, was in einem deutschen Wirtschaftsausschuss möglich ist, sie kann sich über längere Zeit hinziehen. "In der Regel wird ein betriebswirtschaftlicher Berater eingeschaltet, der nicht nur sämtliche Bücher des Unternehmens einsehen kann, sondern auch Vieraugengespräche mit dem Vorstandsvorsitzenden führt", erläutert Philippe Gervais, einer der Mitinhaber der Groupe Alpha.

BETRIEBSWIRTSCHAFTLICHE SCHÄTZE_ Gervais betreut bei der Groupe Alpha Air France und DHL, die Pakettochter der Deutschen Post. Insgesamt sind in seiner Abteilung fünf Berater mit Air France beschäftigt. Pro Jahr kommen 150 bis 300 Beratertage für die verschiedenen Gremien des Unternehmens, die Betriebsräte, Gesamtbetriebsräte und Arbeitssicherheitsausschüsse zusammen - und das, obwohl der französische Gesamtbetriebsrat von Air France einen eigenen wissenschaftlichen Mitarbeiter hat. In Deutschland wäre das Beratungsvolumen für ein vergleichbares Unternehmen vielleicht ein Zehntel dessen, und wohl kaum als dauerhaftes Mandat angelegt. Ein Alpha-Team deckt dabei verschiedene Kompetenzen ab: Ingenieure finden sich dort genauso wie Betriebswirte, Juristen oder Kommunikationswissenschaftler. Ein Berater wie Gervais betreut ein Unternehmen über viele Jahre und wächst oft in eine Rolle hinein, die in Deutschland mit der eines hauptamtlichen Konzernbetreuers einer Gewerkschaft mit einem Aufsichtsratsmandat vergleichbar ist.

"Manche Dinge werden den Beratern anvertraut, die sonst niemand erfährt", meint Christophe Gauthier, ebenfalls für die Groupe Alpha tätig. Er berät die Betriebsräte von IBM. Zusammen mit seinem Kollegen Jean-Camille Gallay verfasst er jedes Jahr einen 400 Seiten starken Bericht mit betriebswirtschaftlichen Zahlen, einer Analyse der einzelnen Sparten und einer Bewertung der Personalpolitik. Die Entwicklungsgeschichte des Unternehmens ist dadurch lückenlos dokumentiert, mögliche Probleme in der Zukunft sind frühzeitig erkennbar. Die Arbeitgeber können keine Schönfärberei betreiben und die Betriebsräte sind in der Lage, auf gleicher Augenhöhe und mit gleichem Wissensstand zu diskutieren. Hier schlummern betriebswirtschaftliche Schätze - doch die deutschen Betriebsräte des gleichen Unternehmens kennen die Inhalte solcher Gutachten meist nicht - was nicht nur an fehlenden Sprachkenntnissen liegt. Sie fragen einfach nicht danach.

Auch in Frankreich sind neue Aufgaben auf die Berater zugekommen: "Das Geschäft geht weit über diese Gutachten und Analysen hinaus", erläutert Philippe Gervais. So können die Zahlen der Berater zur Grundlage von Lohnerhöhungen werden, obwohl dies nach dem Buchstaben des Gesetzes nicht vorgesehen ist. Wenn in einem Unternehmen über ein neues Prämiensystem verhandelt wird, klären die Berater im Vorfeld oft schon das Verhandlungsfeld ab. Zunehmend entwickeln die Berater Gegenpositionen und Alternativen zu Restrukturierungskonzepten. Es geht darum, möglichst früh Einfluss zu nehmen, noch bevor die Konzepte der Firmenleitung überhaupt ausgearbeitet sind.

ZWEI LÄNDER, ZWEI MODELLE_ Schon zwischen so gut vergleichbaren Ländern wie Deutschland und Frankreich offenbaren sich erhebliche organisatorische Unterschiede, etwa, wenn man die Arbeitsteilung zwischen Beratern und Gewerkschaften vergleicht. Allein in der Metallindustrie betreuen 80 Branchenspezialisten der zweitgrößten Beratungsfirma Syndex mehr als 400 Betriebsratsgremien. Eine derartige Größe und die sehr weit reichende Zusammenarbeit mit den Beratern werfen die Frage auf, wie deren Tätigkeit mit den Gewerkschaften vernetzt wird und wie Gewerkschaften und Berater sich voneinander abgrenzen.

Die Metallgewerkschaft der CFDT, die über rund 30 hauptamtliche Mitarbeiter in Paris und weitere 30 in den Regionen verfügt, kann die Betriebsräte nicht in gleicher Weise unterstützen wie die IG Metall in Deutschland. "Viele Verwaltungsstellen arbeiten nur mit ehrenamtlichem Personal, Betriebsratsmitglieder nutzen ihre Freistellungszeit hierfür", erklärt Blandine Landas. Sie ist bei der CFDT zuständig für die Koordinierung der Euro-Betriebsräte in der Metallbranche. Daher hat ihr Dachverband eine feste Partnerschaft mit Syndex vereinbart und lässt dort Branchenanalysen oder Studien im Vorfeld von Tarifverhandlungen erstellen.

Die Berater von Syndex kommen als Referenten in CFDT-Seminare und nehmen sogar an Gewerkschaftstagen teil - die Rolle ihrer Beratungsgesellschaft erinnert ein wenig an die Rolle der Hans-Böckler-Stiftung in Deutschland. Bei der CFDT-Metallgewerkschaft gibt es einen eigenen Vorstandssekretär, der die Zusammenarbeit mit Syndex koordiniert: Vincent Bottazzi. Seiner Meinung nach können Hauptamtliche durch die Expertenhilfe viel gewinnen. Seine Kollegin Blandine Landas jedoch sieht auch Gefahren: "Wenn die Gewerkschaften nicht aufpassen, haben die Berater mehr Wissen als sie und werden nach strategisch-gewerkschaftlichen Ratschlägen gefragt." Eine schwache Gewerkschaft könnte so vielleicht noch mehr Einfluss verlieren.

Da ein französischer Betriebsrat in der Regel aus zwei, drei oder mehr miteinander konkurrierenden Gewerkschaften besteht, sind es oft die Berater, die eine Zusammenarbeit der Arbeitnehmervertreter erst ermöglichen. Gervais formuliert diplomatisch: "Wir moderieren die Sitzungen und helfen, die wichtigsten Themen auf den Punkt zu bringen." Die Berater kennen den Markt, haben einen Überblick über die gesamte Branche und einen direkten Kontakt mit dem Management des jeweiligen Unternehmens. Sie arbeiten heute für France Télécom, morgen für Vodafone und übermorgen für Telefónica, und kennen die wirtschaftliche Situation und die betrieblichen Probleme vielleicht sogar besser als ein deutscher Hauptamtlicher. "Aber es sind am Ende die Gewerkschaften, die mit den Arbeitnehmern reden", bemerkt Gervais, "dafür sind nicht die Berater zuständig."

EUROPA IN KLEINEN SCHRITTEN_ In der Elektronik- und IT-Branche arbeitet Patrick Loire, ebenfalls Mitinhaber der Groupe Alpha, eng mit dem Europäischen Metallgewerkschaftsbund (EMB) in Brüssel zusammen. Von Paris aus betreut er die Betriebsräte des IT-Konzerns Alcatel-Lucent, der im vergangen Jahr durch die Fusion des französischen Konzerns Alcatel und des US-amerikanischen Unternehmens Lucent Technologies entstanden ist. Loire berät, was eher selten ist, nicht nur für die französischen Arbeitnehmervertreter, sondern auch den deutschen Betriebsrat in Nürnberg, dem größten deutschen Lucent-Standort vor der Fusion. Hintergrund ist, dass der Nürnberger Betriebsrat auch im früheren Eurobetriebsrat von Lucent ein Mandat hatte. Darüber gelang ihm, Kontakt zur Groupe Alpha herzustellen, die wiederum Alcatel seit Jahren kannte.

So war es den Arbeitnehmern möglich, die Fusions-Strategie besser zu verstehen. Wegen interner Standortkonkurrenzen im Konzern haben Betriebsräte bei Fusionen oft nur wenig Neigung, über Grenzen - seien sie nun regional oder national - zusammenzuarbeiten. So gelingt es nicht immer, das vorhandene Know-how zu bündeln. Loires Beratungsfall ist dafür ein gutes Beispiel. "Die IG Metall hat bei Alcatel-Lucent eine starke Stellung im Unternehmen", meint er, "aber sie verfügt trotz ihrer Aufsichtsratsmandate nicht über genug betriebswirtschaftliche Informationen." Bei den Franzosen ist es gerade umgekehrt: Sie verfügen über dieses Insiderwissen, aber sie haben weniger Macht im Betrieb. Ein weiterer Unterschied: anders als die deutschen Aufsichtsratsmitglieder unterliegen die französischen Berater keiner vergleichbaren Verschwiegenheitspflicht.

Beide Seiten könnten also von einer vertieften Zusammenarbeit profitieren - doch sie tun dies nur sehr zögerlich. Loires Kollege Philippe Gervais hat genau das Gleiche bei der Deutschen Post AG beobachtet, wo, wie er sagt, "die Arbeit des Euro-Betriebsrats von der Gewerkschaft ver.di zentral gesteuert wird und die Expertise aus Frankreich wenig Beachtung findet." Die Berater tun ihr Bestes, damit sich die Zusammenarbeit verbessert - für die deutschen Standorte von Alcatel-Lucent, Nürnberg und Stuttgart geschieht dies in enger Abstimmung mit der IG Metall-Zentrale. "Wir haben viele Diskussionen mit Gewerkschaften vor Ort geführt", erklärt Patrick Loire, "das Gesetz schreibt nicht vor, dass wir so etwas tun, aber wir machen es, weil es erforderlich ist."

Die Prozesse sind mühsam - denn ebenso wie bei den nationalen Betriebsräten findet auch die Beratung von Euro-Betriebsräten weitgehend entlang der Gepflogenheiten des Heimatlandes statt, also des Landes, in dem der Konzern seinen Hauptsitz hat. Wenn die Arbeitnehmervertreter in einem französischen Unternehmen seit vielen Jahren mit Groupe Alpha oder Syndex zusammenarbeiten, ist die Ausdehnung des bestehenden Beratungsmandates auf die europäische Ebene nur eine logische Folge. Ein Euro-Betriebsrat kann dann vielleicht auf 20, 30 oder 50 Beratungstage pro Jahr zurückgreifen - zusätzlich zu den Beratungstagen für die französischen Betriebsräte.
Demgegenüber wird in deutschen Unternehmen die Beratung der Euro-Betriebsräte meist von einem hauptamtlichen Gewerkschaftssekretär übernommen, in der Regel vom Betreuer des deutschen Konzern- oder Gesamtbetriebsrates.

Dieser reserviert dann zwei, drei oder vier Tage pro Jahr, um an den Sitzungen teilzunehmen. In manchen Unternehmen hat der Konzernbetriebsrat wissenschaftliche Mitarbeiter, die auch dem Euro-Betriebsrat zuarbeiten. Externe Berater werden dagegen nur bei sehr drastischen Umstrukturierungen oder bei Personal- oder Know-how-Engpässen im hauptamtlichen Apparat eingesetzt. Eine deutsch-französische Zusammenarbeit ist schon wegen dieser unterschiedlichen Rollenverteilung eher die Ausnahme als die Regel.

UNTERENTWICKELTER MARKT_ Berater einzusetzen, ist in Deutschland lange nicht so selbstverständlich wie in Frankreich. Der Einsatz von Beratern durch deutsche Betriebsräte bleibt weit hinter den Möglichkeiten zurück, obwohl die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes im Jahr 2001 einen solchen Einsatz erleichtert hat. Ein Grund ist, dass die Gewerkschaften noch immer viel fachliche Unterstützung durch hauptamtliche Mitarbeiter anbieten, die für ihre Arbeit kein Honorar in Rechnung stellen. Sie finanzieren sich aus Mitgliedsbeiträgen, was den Arbeitgebern Millionenbeträge einspart. Polemisch zugespitzt könnte man von einer verdeckten Subventionierung der Arbeitgeber aus Gewerkschaftsmitteln sprechen. Mit den sinkenden Beitragseinnahmen der Gewerkschaften steht dieses Modell jedoch vor einer Neujustierung.

Die Internationalisierung macht den Beratungsprozess komplizierter, wobei die zersplitterte Beraterszene in Deutschland ein Hindernis darstellt. Selbst die größten deutschen Einrichtungen verfügen nur über etwa zwei oder drei Dutzend Berater. Darunter gibt es viele Allrounder - was fehlt, sind Spezialisten für bestimmte Branchen oder Themen. Ein Umdenken ist also nicht nur bei den Gewerkschaften gefordert - auch die Berater müssen ihre Hausaufgaben erledigen und sich stärker innerdeutsch wie auch europäisch vernetzen. Gemischte, multinationale Beratungsteams wären vor diesem Hintergrund sicher eine erstrebenswerte Lösung.

Ein erster Schritt dazu wurde im Oktober 2006 getan, als zwischen der PCG Project Consult GmbH, einem der größten deutschen Anbieter für die Betriebsräteberatung, und der Groupe Alpha ein Kooperationsvertrag geschlossen wurde. Peter Scherrer, der Generalsekretär des Europäischen Metallgewerkschaftsbundes, und Reiner Hoffmann, stellvertretender Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes, waren zur Unterzeichnung persönlich nach Paris gekommen, um die hohe politische Bedeutung des Abkommens zu unterstreichen. Zwei Berater, ein Deutscher und ein Franzose, haben seither ihre Schreibtische getauscht.

 

 



 

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