zurück
Daniel Hlava ist wissenschaftlicher Referent für Sozialrecht und europäisches Arbeitsrecht am Hugo Sinzheimer Institut der Hans-Böckler-Stiftung. Magazin Mitbestimmung

Zur Sache: Der Gesetzgeber hat vermutlich in Teilen gegen EU-Recht verstoßen

Ausgabe 01/2021

Daniel Hlava, Wissenschaftlicher Referent für Sozialrecht und Europäisches Arbeitsrecht am Hugo Sinzheimer Institut der Hans-Böckler-Stiftung, über Arbeitnehmerentsendung nach neuem EU-Recht.

Werden Arbeitnehmer vorübergehend von einem EU-Staat in einen anderen geschickt, um dort eine Dienstleistung zu erbringen, spricht man von Arbeitnehmerentsendung. Die Zahl solcher Entsendungen hat in den vergangenen Jahren stetig zugenommen. Nach Angaben der Stiftung Eurofund gab es im Jahr 2017 rund 2,8 Millionen Entsendungen, 22 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Zwar gingen die Zahlen durch die Pandemie gerade stark zurück, dürften aber nach Ende der Krise wieder deutlich steigen.

Deutschland liegt unter den Zielstaaten für entsandte Arbeitskräfte ganz vorne. Problematisch ist, dass entsandte Beschäftigte oft zu niedrigen Löhnen und unter prekären Bedingungen arbeiten, die weit unter den Standards am Arbeitsort liegen. Ihre Unternehmen betreiben auf diese Weise Lohn- und Sozialdumping.

Um europaweit einheitliche Schutzstandards zu schaffen, hat die EU bereits 1996 die sogenannte Entsenderichtlinie verabschiedet, die, soweit möglich, für eine arbeitsrechtliche Gleichstellung der in einen Staat entsandten Arbeitskräfte sorgen sollte.

Allerdings hat die Richtlinie ihre Schutzfunktion immer weniger erfüllt – unter anderem, weil durch die Osterweiterung der EU das Lohngefälle zwischen entsandten und heimischen Beschäftigten zugenommen hat und problematische Urteile des Europäischen Gerichtshofs zugleich die Spielräume der Mitgliedstaaten bei der Regulierung von Lohnwettbewerb beschnitten haben. Die Dienstleistungsfreiheit und Entsendung setzen die Sozialmodelle der alten Mitgliedstaaten unter Druck. Im Mai 2019 einigte sich die EU deshalb nach langem Ringen auf eine Revision der Entsenderichtlinie. Doch was ist neu?

Nach dem Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ sollen Entsandte nicht mehr nur vom Mindestlohn im Aufnahmestaat profitieren, sondern sie sollen alle gesetzlich und tarifvertraglich zwingenden Lohnbestandteile erhalten, die am Beschäftigungsort gezahlt werden – auch das Urlaubsgeld oder Nacht- und Feiertagszuschläge. Das bislang häufige Problem, dass entsandten Beschäftigten ihre Reise-, Verpflegungs- und Unterbringungskosten vom Lohn abgezogen wurden, konnte entschärft werden.

Auch beim Arbeits- und Gesundheitsschutz gibt es Verbesserungen. Ferner wurde geregelt, dass bei Entsendungen von mehr als einem Jahr (oder mit Verlängerungsmöglichkeit um weitere sechs Monate) den Entsandten jegliche individuellen Arbeitsbedingungen des Beschäftigungsstaats gewährt werden müssen. Da Entsendungen jedoch im EU-Durchschnitt bereits nach weniger als vier Monaten enden, ist die praktische Relevanz überschaubar. Für Lkw-Fahrer gilt die Richtlinie übrigens in der Regel nicht; für sie soll es spezielle Regeln geben.

Die neue Entsenderichtlinie musste bis Ende Juli 2020 in nationales Recht umgesetzt werden. Das deutsche Umsetzungsgesetz steht aus verschiedenen Gründen in der Kritik. So profitieren Entsandte zwar von bundesweiten Tarifverträgen, nicht jedoch von allgemeinverbindlichen (Branchen-)Tarifverträgen auf regionaler Ebene. Außerdem wird zwischen Mindestentgeltsätzen und sonstigen Entgeltbestandteilen differenziert, anstatt – wie in der Richtlinie – auf die gesamte Entlohnung abzustellen.

Viel deutet darauf hin, dass der Gesetzgeber damit nicht nur hinter den Möglichkeiten der Richtlinie zurückblieb, sondern in Teilen auch gegen EU-Recht verstoßen hat. Er sollte sich daher nicht die Blöße geben, bis zu einer Entscheidung des EuGH zu warten, sondern das Gesetz zügig nachbessern.

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen