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Magazin Mitbestimmung

: Der doppelte Bosch

Ausgabe 12/2009

STIFTUNGSUNTERNEHMEN Auch beim größten Automobilzulieferer der Welt, dank seines Gründers und Stifters Robert Bosch der Inbegriff des sozialen Unternehmens, "gibt's nichts umsonst". Von Stefan Scheytt und Kety Quadrino

STEFAN SCHEYTT und KETY QUADRINO sind Journalisten in Tübingen/Foto: Robert Bosch GmbH

Es gibt viele Arten, ein Jubiläum zu begehen. Man kann es so tun, dass in der Presse darüber mit so harmlos- beschwichtigenden Überschriften berichtet wird wie "100 Jahre Bosch - Pferdle und Teddy zum Jubiläum". So war ein Artikel in der "Stuttgarter Zeitung" betitelt, als der Automobilzulieferer Bosch Anfang September das 100-jährige Bestehen seines Standorts in Stuttgart-Feuerbach feierte. Es war weitgehend ein Fest der Plattitüden: Zuerst überreicht der Oberbürgermeister das Wappentier Stuttgarts, ein "Rössle aus Porzellan", und der Gastgeber, ein Bereichsvorstand, revanchiert sich mit einem Teddybär; sodann tauschen OB und Manager verbale Freundlichkeiten aus: "Wir Stuttgarter sind stolz auf Bosch", sagt der eine. "Wir sind stolz auf Stuttgart", antwortet der andere; und dann zitieren sie jene Sätze des Firmengründers, die immer gern zitiert werden, wenn der Mythos Robert Bosch gepflegt werden soll: Der Oberbürgermeister erinnert an dessen Ausspruch: "Ich zahle nicht gut, weil ich reich bin, sondern weil ich so viel zahle, bin ich reich", während der Gastgeber Robert Boschs vielleicht berühmtesten Satz zitiert: "Ich möchte lieber Geld verlieren als Vertrauen."

Sechs Wochen später, Ende Oktober, ist das Jubiläum Anlass einer ganz anderen Feier, deren Gastgeber diesmal der Feuerbacher Betriebsrat ist. In der Bosch-Kantine in Stuttgart-Feuerbach sitzen 700 Beschäftigte und Gäste auf Holzstühlen, der Boden ist braun gefliest, an der Decke verlaufen Stahlträger und Abzugsrohre, die Lüftung rauscht. Es ist ein stocknüchterner Ort; kein Blumenschmuck, keine Schleifen, keine Häppchen, keine Sektgläser deuten auf Feierstimmung. Zur Veranstaltung sind zwar Firmenchef Franz Fehrenbach und IG-Metall-Chef Berthold Huber gekommen, aber an diesem Abend geht von diesem Ort nur ein Signal aus: Jubiläum hin oder her - die Zeiten sind hart, wir sparen uns das Geld für Sekt und Schnickschnack. Und vorne am Pult steht Hartwig Geisel, der Betriebsratsvorsitzende, und sagt, man habe es sich sehr lange überlegt, überhaupt eine Feier auszurichten.

DROHENDER VERLUST_ Dabei ist Bosch in Feuerbach die Geschichte eines großen Erfolgs. 100 Jahre nachdem der Firmengründer hier seine zweite Fabrik ins Handelsregister eintragen ließ, ist das Werk mit seinen 12 000 Mitarbeitern trotz der extremen Internationalisierung des Konzerns immer noch der größte Standort und gilt als Zentrum der Dieseltechnologie. Doch die Stärke des Werks ist jetzt seine Schwäche: Von der Weltwirtschaftskrise im Allgemeinen und der Automobilkrise im Besonderen ist Feuerbach besonders gebeutelt. Umsatzrückgänge um rund 20 Prozent in der Kraftfahrzeugtechnik und sogar mehr als 40 Prozent im Maschinenbau bedeuten Kurzarbeit für etwa 1000 Beschäftigte und Arbeitszeitabsenkungen (mit entsprechenden Lohneinbußen) für 9000 Mitarbeiter. Zum ersten Mal in der Nachkriegszeit wird in diesem Jahr für die Bosch-Gruppe ein Verlust erwartet, nach Presseberichten sollen es mehr als zwei Milliarden Euro sein - ein wahres "Schreckensjahr für Bosch", wie das "Handelsblatt" schrieb.

Die Stimmung ist seit Monaten trüb und wird immer schlechter, weshalb die Versuchung naheläge, wenigstens für die kurze Dauer einer Jubiläumsfeier in schönen Erinnerungen zu schwelgen und einmal mehr die große Gründerfigur Robert Bosch und die soziale Ausrichtung des Unternehmens als vorbildlich zu feiern. Doch Betriebsrat Hartwig Geisel und seine Kollegen haben der Versuchung widerstanden und ein dickes Buch zum Jubiläum herausgebracht. Es trägt den Titel "Auch bei Bosch gibt's nichts umsonst" und zeigt die weniger bekannte Seite des Technologiekonzerns.

KEINE RENDITEGIERIGEN AKTIONÄRE_ Bekannt und geradezu berühmt ist die Bosch-Gruppe für ihre gesellschaftsrechtliche Konstruktion als Stiftungsunternehmen. Dem Testament des Gründers folgend, gehört das Unternehmen zu 92 Prozent der gemeinnützigen Robert Bosch Stiftung, die Familie Bosch hält nur gut sieben Prozent der Anteile. Während als Dividende für die Familie und die gemeinnützigen Zwecke der Stiftung (Bildung, Jugend, Kultur, Wissenschaft, Gesundheit u.a.) jährlich in der Regel ein Betrag in der Größenordnung von 50 bis 75 Millionen Euro ausgeschüttet wird, verbleibt der große Rest des Nachsteuer-Ergebnisses (von 2005 bis 2007 waren dies zum Teil weit über zwei Milliarden Euro) im Unternehmen. "Natürlich sehen wir es positiv", sagt Roland Saur, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender in Feuerbach, "dass der Profit nicht wie bei börsennotierten Unternehmen an anonyme Aktionäre abfließt, die oft kein anderes Interesse am Unternehmen haben als eine hohe Rendite." Und weil Bosch so viel in die Rücklagen stellen kann, kann die Firma regelmäßig rekordverdächtige Summen in Forschung und Entwicklung investieren, die wiederum ihre Position als Innovationsführer festigen, oder durch den Zukauf kleinerer Firmen ihr industrielles Spektrum verbreitern.

Der lange Atem des Stiftungsunternehmens als Vorteil gegenüber der Kurzatmigkeit herkömmlicher Aktiengesellschaften, die sich von Quartal zu Quartal und von Analyst zu Analyst hecheln müssen - das wird als Generalvorteil Boschs beschrieben. "Wir haben Geschäftsbereiche, die schon seit Jahren ein Tal durchlaufen und trotzdem gehalten werden, weil man langfristig an ihren Erfolg glaubt", sagt Betriebsrat Roland Saur. An der Hochdruck-Dieseltechnik zum Beispiel hat Bosch bis zum Markterfolg 15 Jahre lang gearbeitet und so lange herbe Rückschläge und hohe Anlaufverluste weggesteckt; ebenso sieht der Weg zu ABS und ESP im Rückblick wie ein Hindernislauf aus, bei dem andere Firmen längst aufgegeben hätten.

Jörg Hofmann, IG-Metall-Bezirksleiter in Baden-Württemberg und seit vielen Jahren im Aufsichtsrat der Firma, pflichtet bei: "Die nachhaltige Unternehmensstrategie zieht eine nachhaltige Personal- und Beschäftigungspolitik nach sich." Bosch leiste mehr als viele andere für die Qualifizierung seiner Mitarbeiter und sei "sehr stark sozialpartnerschaftlich orientiert", findet Hofmann. So hat die Firma gerade das zweite Welt-Treffen ihrer Arbeitnehmervertreter finanziert, und dass ein Trainee des IG-Metall-Vorstands im Betriebsratsbüro ein Praktikum macht - "früher undenkbar" - ist heute kein Problem mehr. Die Gesprächskultur bei Bosch sei deutlich besser als etwa bei Daimler und anderen großen Unternehmen, meint Betriebsratschef Hartwig Geisel.

SOZIALIST UND VISIONÄR_ All das gilt vielen letztlich als Vermächtnis des bekennenden Sozialisten Robert Bosch, der sich mehr als andere Unternehmer seiner Lehrlinge annahm, der 1906 als einer der Ersten in Deutschland freiwillig den Achtstundentag und später den freien Samstagnachmittag und die Urlaubsregelung einführte; der überdurchschnittlich bezahlte, der eine Alters- und Hinterbliebenen-Fürsorge gründete und zum 50. Firmenjubiläum das Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart stiftete. Die Wochenzeitung "Die Zeit" hat den Großbauern-Sohn jüngst in eine Reihe 50 deutscher "Vordenker, Vorbilder und Visionäre" aufgenommen.
Dieser legendäre "Bosch-Geist" hat auch den heutigen Vorstandsvorsitzenden Franz Fehrenbach angezogen, wie er bei der Jubiläumsfeier berichtet: "Ich war nach dem Abitur Ende der 60er Jahre ziemlich links eingestellt, und die gesellschaftsrechtliche Struktur von Bosch hat mich überzeugt, zu diesem Unternehmen zu gehen. Als ich dann hier gearbeitet habe und sah, wofür das verdiente Geld eingesetzt wurde, war ich noch überzeugter." In Vorträgen kritisiert Fehrenbach heute die "kasinoartigen Rendite- und Risikoexzesse", die der Finanzkrise vorausgingen, und hält es für schlimm, wenn "die Kosten dieser unbeherrschten Gier auch noch sozialisiert werden sollen." Dass ihr Chef sich als ehemaliger Linker outet, lässt die Betriebsräte schmunzeln, doch die Ehrlichkeit seiner Kapitalismuskritik streiten sie ihm nicht ab.

MITBESTIMMUNGSFREIE ZONE_ Und dennoch haben sie ihrem Buch den Titel gegeben "Auch bei Bosch gibt's nichts umsonst". Denn zunächst einmal bringt die eigentlich positive Stiftungskonstruktion einen Nachteil mit sich: Die gemeinnützige Stiftung ist zwar Hauptanteilseigner, hat ihre Stimmrechte aber an die Robert Bosch Industrietreuhand KG übertragen - ein elfköpfiges Gremium, das die unternehmerische Gesellschafterfunktion ausübt und in dem der ehemalige Bosch-Chef Hermann Scholl den Ton angibt. "Der Aufsichtsrat der Bosch GmbH entscheidet zwar über die Bilanz und damit auch über die Zuweisungen an die gemeinnützige Stiftung", erläutert Aufsichtsrat Jörg Hofmann, "aber im Grunde ist die Industrieholding, die in anderen Stiftungen ‚Beirat‘ genannt wird, ein zweites Machtzentrum ohne Mitbestimmung."

Unisono sagen Hofmann und sein Aufsichtsratskollege Hartwig Geisel auch: "Man darf sich Bosch nicht schönreden. Auch ein Stiftungsunternehmen setzt den Markt nicht außer Kraft und unterliegt den gleichen Zwängen zur Renditeerzielung wie andere Unternehmen auch." So macht der baden-württembergische IG-Metall-Chef dem Unternehmen den Vorwurf, den er "zurzeit fast jedem Arbeitgeber machen muss - dass auch Bosch die Krise dazu nutzt, Arbeitsbedingungen zu verschlechtern und mit Entlassungen zu drohen, um der Belegschaft Gegenleistungen abzupressen." Noch hat es in deutschen Bosch-Werken keine betriebsbedingten Kündigungen gegeben, wohl aber einen Beschäftigungsabbau über die natürliche Fluktuation und über Abfindungsangebote; weltweit hat die Bosch-Gruppe die Zahl ihrer Mitarbeiter in diesem Jahr um 10.000 auf 270.000 verringert, teilweise durch Entlassungen im Ausland. So sicher die Jobs bei Bosch bisher waren - in der schwersten Krise seit Jahrzehnten könnte auch das soziale Vorzeigeunternehmen unsozial werden. Dass Bosch auch vor Entlassungen nicht zurückschreckt, hat Hofmann selbst schon bei einer Bosch-Tochter erlebt, gerade mal 15 Jahre ist das her.

MÖRDERISCHES ARBEITSTEMPO_ Aus den Recherchen für das Jubiläumsbuch hat Betriebsrat Geisel die Einschätzung gewonnen: "Sobald der ,rote Bosch‘ ein Großindustrieller wurde und den Zwängen des Marktes unterworfen war, gab es harte Zäsuren in seinem Verhalten." So etwa bei einem Streik 1913 in Feuerbach. "Den hat Robert Bosch so heftig geführt, dass man ihm die Absicht unterstellen muss, die Gewerkschaft regelrecht demontieren und bloßstellen zu wollen." Und auch die berühmte Einführung des achtstündigen Arbeitstags entsprang nicht allein seiner arbeitnehmerfreundlichen Einstellung. Es ging ihm auch um die Einführung des Mehrschichtbetriebs und damit um eine bessere Maschinenauslastung. In einem früheren Jubiläumsbuch heißt es dazu: "Nachdem der Achtstundentag eingeführt war, galt es, die Arbeiterschaft nach und nach zu einer solchen Arbeitsleistung zu bringen, dass in acht Stunden ohne Überanstrengung dasselbe geleistet werden konnte wie früher in neun Stunden." Und das aktuelle Jubiläumsbuch zitiert dazu aus der "Schwäbischen Tagwacht" von 1913: "Niemals würde die Arbeiterschaft bei Bosch eine bleibende Stätte suchen, wenn nicht als Gegenleistung für die mörderische Arbeitsmethode ein höherer Lohn gezahlt würde. Die Boschwerke würden ohne die höheren Löhne einem Taubenschlag gleichen."

Bis heute ist dieses "Bosch-Tempo" ein beherrschendes Thema. Bei der 100-Jahr-Feier in Feuerbach provoziert die Bosch-Theatergruppe den stärksten Beifall mit dem Stück "Vergangenheit trifft Zukunft und wundert sich". Es geht darin um das "Bosch Produktions-System" BPS, eine Produktionsmethode, bei der im Takt von 40 Sekunden zwei bis drei Arbeitsplätze im Stehen und Gehen bedient werden müssen; das Montagekonzept trägt auch den Namen Chaku-Chaku, was auf japanisch Hasenjagd bedeutet, bei Bosch aber offiziell als "Stafettenlauf" umschrieben wird. "Durch unsere Intervention wurde der Arbeitsablauf im August entschärft, um die Gefahr von Schwindelgefühl und Kopfweh zu vermeiden", sagt der zweite Vorsitzende des Betriebsrates, Roland Saur - damit das legendäre "Bosch-Tempo" nicht auch noch den Rest des legendären "Bosch-Geists" verflüchtigt.

Zum Bosch-Geist gehört nach 100 Jahren freilich auch das Bewusstsein einer gut organisierten Arbeitnehmerschaft, keineswegs machtlos zu sein. Bei der 100-Jahr-Feier in Feuerbach mahnt der Konzernbetriebsratsvorsitzende Alfred Löckle freundlich, aber bestimmt: "In der Belegschaft besteht ein großer Konsens darüber, dass wir mit unseren Opfern dazu beitragen, dass alle an Bord bleiben. Die Kampfbereitschaft wäre sofort vorhanden, wenn ein Teil der Kollegen in die Arbeitslosigkeit geschickt würde. Dann würden alte Tugenden durchschlagen, und wir erlebten hier eine heftige Auseinandersetzung."

Möglicherweise eine, die viel Platz braucht im nächsten Jubiläumsbuch.

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