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Magazin Mitbestimmung

Vattenfall: Der Braunkohleverfechter

Ausgabe 11/2013

Aus für die Atomkraft, Boom für die Braunkohle: Gesamtbetriebsratsvorsitzender Wilfried Schreck erlebt beim schwedischen Energiekonzern Vattenfall gerade die Extreme der Energiewende. Von Carmen Molitor

Die Renaissance der Braunkohle hat viele überrascht. Wilfried Schreck nicht. Der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrates der Vattenfall Europe Generation AG und Aufsichtsrat der Vattenfall GmbH arbeitet seit rund 30 Jahren im Kraftwerk Jänschwalde mitten im Braunkohlerevier in der Lausitz und hat hier viel wirtschaftliches Auf und Ab erlebt. Als die Energiewende begann, witterte Schreck die große Chance für den fast schon totgesagten Energieträger: „Man kann nicht aus Kernenergie und Braunkohle zeitgleich aussteigen, weil die erneuerbaren Energien nicht jederzeit zur Verfügung stehen“, so sein Argument. „Wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht, wer macht’s dann?“ Als Industrieland brauche Deutschland eine sichere, bezahlbare Brückentechnologie, bis die erneuerbaren Energien zuverlässig speicherbar sind – und die beste Option dafür ist nach Schrecks Meinung klar die Braunkohle. Sie ist gefragt wie selten: 62 Millionen Tonnen hat Vattenfall 2012 in der Lausitz gefördert. „Diese Zahlen haben wir das letzte Mal 1994 erreicht“, berichtet der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete. „Das zeigt ganz deutlich: Wir werden gebraucht, und darauf sind wir stolz.“ Neue Jobs sind durch den Boom freilich nicht entstanden.

Abgesehen vom Markterfolg der Braunkohlesparte, durch die Vattenfall hierzulande 85 Prozent seines Stroms produziert, dringen zurzeit aus Deutschland kaum noch erfreuliche Nachrichten in die Stockholmer Konzernzentrale. Ganz im Gegenteil: Die deutsche Energiewende bringt den Energieriesen, der zu 100 Prozent dem schwedischen Staat gehört, Stück für Stück ins Wanken: Die AKWs Krümmel und Brunsbüttel mussten stillgelegt werden. Den Plan einer Versuchsanlage in Jänschwalde, die die Abscheidung und unterirdische Speicherung von Kohlendioxid testen sollte, begrub der Konzern wieder – weil ihm die gesetzlichen Grundlagen für die Einführung der Carbon-Capture-and-Storage-(CCS)-Technik zu schwammig und die Bürgerproteste gegen mögliche Lagerstätten in Deutschland zu laut waren.

Inzwischen fordern Umweltschützer wegen der Klima- und Umweltbelastung immer vehementer auch den baldigen Ausstieg aus der Braunkohleverstromung. Und nachdem die Hamburger Bürger im September in einem Volksentscheid für den Rückkauf der Netze durch die Stadt stimmten, ist obendrein eine erneuerte Konzession für Vattenfall als Betreiber des Hamburger Stromnetzes fraglich. All das führte dazu, dass bei dem Energieversorger, der in Deutschlang lange Jahre satte Gewinne einfahren konnte, 2013 dunkelrote Warnleuchten angingen: Das Staatsunternehmen schrieb Milliarden Euro ab und kündigte harte Einsparungen an, inklusive des (sozialverträglichen) Abbaus von 1500 Stellen in Deutschland und eines Einstellungsstopps. Eine Exitstrategie deutet sich an: Ab 2014 wird das Geschäft in die Einheiten Kontinentaleuropa/Großbritannien und Skandinavien aufgeteilt. Vattenfall gehe davon aus, dass „sich der Markt in absehbarer Zeit nicht erholen wird“, heißt es resignativ in einer Pressemitteilung.

Wilfried Schreck wundert sich nicht, dass sich die Gerüchte über einen Rückzug von Vattenfall aus dem Deutschlandgeschäft hartnäckig halten, obwohl Deutschlandchef Tuomo Hatakka sie wiederholt dementiert hat. Wie lange Vattenfall angesichts des erklärten Unternehmensziels, Strom und Wärme völlig CO2-neutral zu produzieren (bis 2050), an den Braunkohlewerken festhalten wird, ist fraglich. „Es kann durchaus passieren, dass die irgendwann die Nase voll haben“, glaubt der IG-BCE-Mann. Dann könnte es vielen der 17 000 Vattenfall-Beschäftigten in Deutschland ähnlich ergehen wie den Mitarbeitern aus den Atomkraftwerken, die sich neu orientieren müssen, fürchtet Schreck.

Speziell um das Lausitzer Revier, wo circa 5000 Menschen für die Vattenfall Europe Mining AG (Braunkohlebergbau) und knapp 3000 Beschäftigte für die Vattenfall Europe Generation AG (Braunkohlekraftwerke) arbeiten, macht sich der 58-Jährige aber weniger Sorgen: „Wenn Vattenfall geht, macht’s ein anderer weiter. Für Investoren ist es zwar zurzeit nicht leicht, aber das Geschäft ist robust und die Preise nicht vom Weltmarkt abhängig und gut kalkulierbar. Man weiß im Prinzip heute schon, was Braunkohle 2030 kostet – das weiß man von Steinkohle, Gas und Erdöl nicht. Ich habe keine Bedenken, dass es hier nicht weitergeht, wenn die Schweden sich zurückziehen.“ Wann die Braunkohle als Brückentechnologie der Energiewende ausgedient haben wird, dazu will sich Schreck nicht festlegen: „Wir meinen aber, dass die Lausitzer Kraftwerke noch bis 2050 und durchaus auch länger laufen“, sagt der Gesamtbetriebsrat. „Wir sollten die Brücke nicht abreißen, solange das rettende Ufer nicht erreicht ist.“

 

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