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Magazin Mitbestimmung

: dazu Mitbestimmungsdebatte 'Da hat einer genauer hingeschaut'

Ausgabe 04/2010

Dietmar Hexel, DGB-Vorstandsmitglied und Mitglied der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex, zur Dissertation von Nico Raabe

Die Arbeit von Nico Raabe ist die erste qualitative Befragung sowohl von Anteilseigner- als auch von Arbeitnehmervertretern in Aufsichtsräten. Statt mit Statistiken hat sich einmal jemand mit den tatsächlichen Erfahrungen der Aufsichtsratsarbeit befasst - das ist bedeutsam. Wie auch die Tatsache, dass Nico Raabe, der im Umfeld des Berliner Corporate-Governance-Netzwerkes studiert hat, mit seiner Arbeit die meisten der Behauptungen dieser Professorenrunde empirisch und kritisch kontert. Da ist jemand einem Erkenntnisinteresse gefolgt und nicht vorgefassten Meinungen.

Denn was die Kapitalvertreter dem jungen Wissenschaftler über die Wirklichkeit der Unternehmensmitbestimmung berichtet haben, hebt sich stark von der harschen Kritik ab, die einige Professoren und die Verbände BDA/BDI an der Mitbestimmung vorgebracht haben. Offensichtlich haben sich die Verbände nicht die Mühe gemacht, genauer hinzuschauen, was gute und was schlechte Aufsichtsratsarbeit ist. Die Arbeit hat bestätigt, was wir in der Krise alle hautnah erleben: Die Unternehmensmitbestimmung ist kein Blockadeinstrument - Kooperation ist ein Stabilitätsfaktor und Mitbestimmung auch kein Hindernis für effektive Aufsichtsratsarbeit. Und die Rolle der Gewerkschaftsvertreter wird als positiv bestätigt. Die Mängel der Aufsichtsratsarbeit liegen ganz woanders - in einer fehlenden Vertrauenskultur, in unzureichender Information der Aufsichtsratsmitglieder und der Hauptversammlung. Und darin, dass Anteilseignervertreter das Unternehmen nicht gut genug kennen. Diese Mängel müssen wir angehen. Richtig ist auch die Erinnerung daran, dass es sich bei der sozialen Marktwirtschaft "nicht allein um ein Wirtschafts-, sondern vielmehr um ein Gesellschaftsmodell handelt". Deshalb ist ein Gesetz über diese gesellschaftliche Teilhabe absolut notwendig.

Verhandlungen über die Mitbestimmung im europäischen Rahmen wie bei der SE werden dem Aufeinandertreffen unterschiedlicher Regelungsmodelle industrieller Beziehungen gerecht. Für uns in Deutschland besteht diese Notwendigkeit nicht. Wir als Gewerkschaften wollen, dass hier nur Verbesserungen der bestehenden Mitbestimmung Gegenstand einer Vereinbarungslösung durch Tarifvertrag sein können. Raabe hat aber recht, wenn er bei der SE kritisiert, dass Vorstände sich ihre eigene Aufsichtsratskonstruktion aushandeln.

Kritisch sehe ich Raabes Behauptung, Aufsichtsräte seien zu groß und nicht mehr zeitgemäß. Das wird an keiner Stelle seiner Arbeit belegt. Fakt ist, dass zwei Drittel aller Unternehmen nur einen Zwölfer-Aufsichtsrat haben. Und von den 16er- und 20er-Aufsichtsräten sind jede Menge freiwillig vergrößert worden, um unterschiedliche Stakeholder-Interessen zu berücksichtigen.

Drei Dinge folgen für mich aus dieser Aufsichtsrats-Studie: Bisherige angeblich wissenschaftliche Studien, die niemals in die Praxis geschaut haben, müssen neu geschrieben werden. Forderungen bestimmter Verbände zur Reduktion der Mitbestimmung stehen wegen ihrer Fragwürdigkeit einmal mehr auf dem Prüfstand. Und die Aufsichtsräte müssen sich noch stärker über die Bänke hinweg verständigen und sich eigene Spielregeln geben: wie sie miteinander arbeiten und wie sie die Vorstände beraten und kontrollieren wollen. Das bringt die Unternehmen als Ganzes nach vorne und die Mitbestimmung auch.

Foto: Peter Bennett

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