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Magazin Mitbestimmung

: dazu Interview mit dem Berliner Rechtsanwalt Dieter Hummel 'Mitbestimmungsrechte offensiv wahrnehmen'

Ausgabe 03/2010

Herr Hummel, noch gibt es kein eigenes Arbeitnehmerdatenschutzrecht. Haben Betriebsräte trotzdem eine Handhabe, um eine ungerechtfertigte Überwachung der Beschäftigten zu verhindern?
Das wichtigste rechtliche Instrument des Betriebsrats ist sein Mitbestimmungsrecht bei der Einführung von technischen Einrichtungen, die zur Verhaltens- und Leistungskontrolle geeignet sind. Das muss er offensiv wahrnehmen. Wenn Betriebsräte ihren Job im Bereich des Datenschutzes ernst nehmen, ist das zwingend. Mit Betriebsvereinbarungen müssen sie Vorkehrungen dafür treffen, dass Daten nur in dem Umfang erfasst und weitergegeben werden, in dem das notwendig ist.

Reicht das?
Natürlich müssen die Betriebsräte dann auch aufpassen, dass sich der Arbeitgeber hinterher daran hält. Überwachungsskandale, wie sie in jüngerer Zeit immer wieder durch die Medien gegangen sind, können allerdings auch durch die Mitbestimmung nicht verhindert werden. Denn das ist schlicht rechtswidriges und in weiten Teilen sogar strafbares Verhalten der Arbeitgeber.

Welche technischen Einrichtungen sind überhaupt mitbestimmungspflichtig?
Das ist ein sehr weiter Begriff. Darunter fällt alles, was grundsätzlich geeignet ist, irgendeine überwachende Funktion zu haben. Dabei geht es nicht darum, ob der Arbeitgeber das überhaupt bezweckt. Es kommt auf die objektive Eignung an.

Und konkret?
Das kann beispielsweise Videoüberwachung sein, das Mitlesen von E-Mails, die Kontrolle der Zugriffe aufs Internet, die Weitergabe personenbezogener Arbeitnehmerdaten von einem Unternehmensteil an den anderen, die Einführung von Business-Warehouse-Systemen, in denen Daten aus verschiedenen Quellen zusammengeführt werden. Sogar eine Dienstanweisung, dass eine Lesebestätigung abgeschickt werden muss, wenn man eine E-Mail von Vorgesetzten öffnet, kann mitbestimmungspflichtig sein. Denn damit kann eine Aussage darüber getroffen werden, wer was wann liest.

Wie detailliert sollte das in Betriebsvereinbarungen geregelt sein?
Es ist schon notwendig, ein relativ ausdifferenziertes Werk abzuschließen - eine Drei-Seiten-Betriebsvereinbarung reicht nicht aus. Unter anderem muss die technische Einrichtung und die dafür verwendete Software-Anwendung sehr präzise beschrieben werden. Dabei sind auch Regelungen zu treffen für den Fall, dass der Arbeitgeber eine neue Version einer Software aufspielen will. Und dann sind viele Fragen genau zu klären: Wer hat Zugriff auf die Daten? Was darf etwa die Personalabteilung anschauen? Können unmittelbare Vorgesetzte nur erkennen, wer anwesend ist und wer nicht, oder dürfen die auch die Gründe für eventuelle Abwesenheiten sehen? Das heißt, es muss ein sehr abgestuftes Berechtigungssystem ausformuliert werden.

Nun drängen Arbeitgeber häufig auf verstärkte Überwachung, weil sie Diebstähle verhindern wollen. Welches Vorgehen empfehlen Sie in solchen Fällen?
Das Bundesarbeitsgericht schreibt vor, dass immer erst die milderen Mittel ausgeschöpft werden müssen - auf Diebstähle beispielsweise mit mehr Taschenkontrollen oder mehr Aufsichtspersonal zu reagieren. Ein so tiefer Eingriff in das Persönlichkeitsrecht wie eine Videoüberwachung ist nur als letztes Mittel erlaubt, wenn sich ein dringender Tatverdacht anders nicht nachweisen lässt. In der Betriebsvereinbarung sollte stehen, dass der Arbeitgeber dann zum Betriebsrat kommen und ihm seine Verdachtsmomente konkret darlegen muss. Der Betriebsrat kann darauf Ja oder Nein sagen. Sagt er Ja, sind dann die Einzelheiten noch zu vereinbaren - etwa die Zeiten der Überwachung, die Speicherung, die Art und Weise der Auswertung.

Und wie steht es mit dem ebenfalls legitimen Ziel der Korruptionsbekämpfung?
Dafür kann man genau das gleiche System festlegen. Ein Arbeitgeber darf nicht einfach von vornherein jede E-Mail im Unternehmen mitlesen, sondern muss bei einem konkreten Verdacht mit dem Betriebsrat vereinbaren, dass bei dem einzelnen verdächtigen Beschäftigten - und nur bei diesem - jetzt vier Wochen lang die E-Mails überwacht werden. Und danach setzt man sich zusammen, wertet aus und vereinbart, wie es weitergeht.

Auch an der Auswertung der Daten sollte der Betriebsrat also beteiligt sein?
Unbedingt. Es muss ein Vier-Augen-Prinzip festgeschrieben werden, dass der Arbeitgeber Videobilder oder E-Mails nur zusammen mit dem Betriebsrat anschauen darf. Darüber hinaus sollte sich der Betriebsrat sowieso ein ständiges Kontrollrecht in puncto Datenschutz sichern: Wir versuchen in Betriebsvereinbarungen immer durchzusetzen, dass der Betriebsrat von seinem Rechner im Betriebsratsbüro jederzeit nachvollziehen kann, was gerade mit den gespeicherten Daten passiert. Und zur Ausübung dieses Kontrollrechts muss er sich auch technischer Sachverständiger bedienen dürfen. Denn in aller Regel sind Betriebsräte nicht gut genug ausgebildet, um das selbst wirklich kontrollieren zu können.

Was ist mit Informationen, die ein Arbeitgeber unter Verstoß gegen die Betriebsvereinbarung gewonnen hat? Kann man deren Verwendung in Prozessen verhindern?
Ein solches Beweisverwertungsverbot steht in vielen Betriebsvereinbarungen drin. Aber das ist rechtlich schwierig. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts darf ein Arbeitgeber auch rechtswidrig gewonnene Erkenntnisse gegen die Beschäftigten verwenden. Wenn er beispielsweise einen Diebstahl nur durch eine betriebsverfassungsrechtlich illegale Videoüberwachung nachweisen kann, dann darf er dieses Videomaterial auswerten. Ich halte diese Rechtsprechung für falsch. Aber wir müssen damit leben.

Die Fragen stellte Joachim F. Tornau/Foto: Rolf Schulten

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