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Magazin Mitbestimmung

: Buckeln und Kratzen

Ausgabe 10+11/2007

MITTELSTAND Beim Autozulieferer Hornung wollten türkische Beschäftigte gegen den Willen des Chefs einen Betriebsrat gründen. Das Recht ist auf Seiten der Betriebsratsgründer und kann sie doch nicht wirklich schützen.

Von HENDRIK ANKENBRAND. Der Autor arbeitet als freier Journalist in Köln.

Den Krieg hat der Chef begonnen, sagen die Türken. Er hat uns traktiert. Wir mussten uns wehren. Im Büro der IG Metall in Leipheim sitzen Satilmis Ergün und Erol Cangi, zwei türkische Maschinendreher, die um ihr vom Betriebsverfassungsgesetz garantiertes Recht kämpften. Der Chef sagt: Die Gewerkschaft ist schuld. Die IG-Metaller haben die Türken aufgehetzt, zuvor war Frieden.

Die Geschichte vom Konflikt beim Vöhringer Automobilzulieferer Hornung existiert in zwei Versionen, doch die Bilder fügen sich zusammen zu einem Lehrstück über Gewerkschaften, deren Macht bei kleinen Unternehmen oft am Werkstor endet und deren Hilfe die Schwachen dennoch brauchen. Ein Fall, von dem man vielleicht lernen kann, damit nicht jeder Konflikt so eskalieren muss wie hier im bayerischen Illertal.

Vöhringen: Das sind 13000 Einwohner, ein Kulturzentrum, ein Gymnasium, ein Minigolfplatz. Der Mann, der den einarmigen Banditen erfand, kam hier zur Welt. Wer nicht aufpasst, hat Vöhringen durchfahren und es nicht gemerkt. Eine Hochburg der Kommunisten soll hier bis 1933 gewesen sein, heute regiert die CSU. Größter Arbeitgeber ist der Kupferrohrproduzent Wieland Werke, daneben bilden Metallverarbeitungsbetriebe die Wirtschaftsstruktur. Mittelschwaben, Mittelstandsland.

Geschafft wird in kleinen Firmen, die in den 50er Jahren gegründet wurden, in den 70ern stark gewachsen sind und nun ein paar hundert Beschäftigte haben. Man kennt sich, die Arbeit ist hart, aber ehrlich. Betriebsräte gibt es kaum. Denken die Menschen an Gewerkschaften, dann denken viele an Ärger hier in Vöhringen.

Wie ein Paukenschlag_ Am 18. Oktober 2005 bekommt Dieter Hornung ihn trotzdem. Als Einschreiben mit Rückschein landet er auf seinem gebeizten Schreibtisch: "Sehr geehrte Herren, in Ihrem Betrieb existiert noch kein Betriebsrat." Deshalb, so der weitere Text, wolle die IG-Metall-Verwaltungsstelle Neu-Ulm-Günzburg als im Betrieb vertretene Gewerkschaft zu einer Betriebsversammlung einladen, die einen Wahlvorstand bestellen solle.

Dieter Hornung ist keiner, den jeder Windstoß umhaut. Vor 30 Jahren hat der gewichtige Mann seinen Metallverarbeitungsbetrieb gegründet, mittlerweile beschäftigt er 80 Leute. Lässig sitzt er braungebrannt in T-Shirt und Goldkette im Ledersessel, er ist der Boss. Und ist zu einem Gespräch bereit, allerdings in Anwesenheit seines Rechtsanwaltes.

Auf dem Regal an der Wand stehen diverse Weine. "Der Brief von den Metallern hat mich erwischt wie ein Paukenschlag", sagt Hornung. Der Chef fährt sich durch die Silbermähne. Gewerkschaften kamen in seiner Welt bislang nicht vor. Es lief doch gut. "Alle waren zufrieden", sagt Hornung.

Auch seine Kontrahenten unter den türkischen Arbeitern sagen, er könne ganz nett sein. Wenn er denn wolle. Zu Satilmis Ergün wollte er irgendwann nicht mehr. Der 28-jährige Türke lebt seit 1991 in Deutschland und arbeitet seit gut vier Jahren für Hornung. Meistens steht er dabei an der Drehmaschine in einer von zwei Werkshallen, in denen fast nur Ausländer arbeiten.

Mit 8,70 Euro Stundenlohn fängt Ergün bei Hornung an. Der Chef, so Ergün, sagt, dass es nach drei Monaten eine Lohnerhöhung gebe. Als nichts passiert und Ergün drei weitere Monate später nachgefragt habe, bekommt er zu hören, für mehr Lohn solle er an der Maschine auch die gleiche Stückzahl wie der Kollege aus der Gegenschicht produzieren.

Ergün verspricht, sich anzustrengen. Es täte ihm leid, die Firma habe im Moment weniger zu produzieren, sagt ihm Hornung drei Monate später. Aber da sei die Tür: "Ich schreibe Ihnen gute Arbeitszeugnisse." Ergün fragt nie wieder.

EIN MANN, DER ZUHÖREN KANN_ Günter Frey sagt, solche Geschichten seien bei Hornung an der Tagesordnung. Frey ist Gewerkschaftssekretär der örtlichen IG-Metall-Verwaltungsstelle - und er war Stipendiat der Hans-Böckler-Stiftung, hat Volkswirtschaft und Geschichte studiert. Sein Haar trägt er lang, er kann gut zuhören, steckt voller Energie. Bevor im Sommer 2005 fünf Türken und ein Nigerianer in seinem Büro standen, wusste er nicht einmal, dass eine Firma Hornung existierte.

In konservativ geprägten Gegenden wie Mittelschwaben ist es für die IG Metall schwer, Fuß zu fassen. Der Organisationsgrad in den kleinen Betrieben ist oft gleich null, von außen gelangen die Gewerkschaftssekretäre kaum an Informationen.

Die Gruppe um Cangi und Ergün war deshalb für Frey wie ein Geschenk. Sie wollten einen Betriebsrat gründen, sagten die Türken, wie das denn gehe. Frey sagte seine Hilfe zu. Dass viele der Türken kaum oder gar kein Deutsch sprachen, fand er nicht schlimm. Die IG Metall bietet Deutsch-Kurse für ausländische Betriebsräte an, auch das Betriebsverfassungsgesetz gibt es mittlerweile in einer kommentierten türkischen Version. Bei der Betriebsratswahl wollte Frey selbst helfen.

Auf Wunsch der Firma legt der Gewerkschaftssekretär die Betriebsversammlung auf den 9. November, dann sollte ein Wahlvorstand gewählt werden. Dieter Hornung sagt, er habe damit kein Problem gehabt. Bis dahin habe er allerdings gar nicht gewusst, wer denn da für einen Wahlvorstand kandidieren wolle. Er selbst sei zudem nicht anwesend gewesen. Sondern gerade bei McDonalds. Frey sagt, Hornung habe gar nicht damit gerechnet, dass es überhaupt Leute gebe, die für eine Kandidatur den Mut aufbringen würden.

"Für ihn war das ein harter Schlag", sagt Frey. "Da war eine türkische Minderheit, die in seinen Augen die Macht im Betrieb an sich reißen wollte." Ob die restlichen Beschäftigten das genauso sahen, ist umstritten. Frey sagt, die Leute hätten Angst gehabt. Zumindest ist ihr Votum vom 9. November eindeutig: Die zwei Türken und der Deutsche, den sie für ihre Sache gewinnen konnten, erlitten - als sie sich als Wahlvorstand installieren lassen wollten - eine herbe Abstimmungsniederlage. Niemand von den anderen Beschäftigten hob für sie die Hand.

"Das war heftig", sagt Günter Frey. Dass keiner den mutigen Kollegen zur Seite stehen will, kann er nicht fassen. Als einer der Beschäftigten fragt, wie es nun weitergehe, antwortet Frey, nun werde man vor Gericht ziehen. Bis zu diesem Punkt hätte man sich noch friedlich einigen können, sagt Dieter Hornung. Man hätte eben miteinander reden müssen. "Doch der Gang zum Gericht war eine Kampfansage an die Belegschaft." Sein Anwalt neben ihm nickt.

EIN FALL FÜR DIE JUSTIZ_ Michael Staudenmayr ist Hornungs Anwalt. Er sieht viel jünger aus, als man sich ihn am Telefon vorstellt. Sein braunes Haar ist fast ebenso lang wie das vom Metaller Frey. Er trägt ein kurzärmeliges, gestreiftes Hemd, sein Ton ist verbindlich - er kann aber auch anders. Vor Gericht schlägt Staudenmayr schon mal mit der Hand auf den Tisch und herrscht die Gegenseite an, sie solle gefälligst die Wahrheit sagen.

Einen seiner ersten großen Einsätze hat Staudenmayr am frühen Morgen des 6. Dezember 2005. In der Zeitung vom Vortag hatte Günter Frey angekündigt, vor der Firma Flugblätter zu verteilen. "Hornung dreht auf!" steht dort in großen Lettern. Die Firma wolle Betriebsratswahlen verhindern. Von Einschüchterungen ist die Rede. Die IG Metall strebe die gerichtliche Einsetzung eines Wahlvorstands an.

Staudenmayr erteilt den Metallern Hausverbot. Viele Flugblätter werden Günter Frey und seine Kollegen ohnehin nicht los. Jetzt bestimmen Arbeitsrichter das Geschehen. Drei Tage vor Heiligabend verkündet die Neu-Ulmer Kammer des Arbeitsgerichts Augsburg ihr Urteil: Die beiden Türken und der Deutsche werden zum Wahlvorstand bestellt.

Die Argumentation des Anwalts Staudenmayr, eine Betriebsratswahl stehe gegen den Willen der Mehrheit der Beschäftigten, weist es zurück. Der Richter kann nicht erkennen, warum die Arbeitnehmer dadurch in ihren Grundrechten verletzt sein sollen. Auch den Einwand, die Türken könnten kein Deutsch und seien deshalb unfähig, die Wahl zu organisieren, weist er zurück.

Vom Urteil lässt sich der Anwalt Staudenmayr nicht beirren. "Die Gewerkschaften hätten es doch nicht ohne weiteres akzeptiert, keine Wahlvorstände gegen die Mehrheit einer Belegschaft gerichtlich zu installieren", sagt er. "Das wird für das Gericht letztlich mitentscheidend gewesen sein."

Sind die Gerichte hierzulande nicht unabhängig, Herr Staudenmayr? "Theoretisch schon." Staudenmayr ist sich sicher: Hier werden die Rechte der übrigen Arbeitnehmer mit Füßen getreten. Ende Januar 2006 legt er Beschwerde gegen das Urteil beim Landesarbeitsgericht München ein.

Währenddessen werden die vom Gericht bestellten Wahlvorstandsmitglieder vom Unternehmer in die Zange genommen. Der Deutsche ist bereits entlassen, vor Gericht hat er sich mit Firmenchef Hornung auf eine Abfindung geeinigt. Auch drei der Türken müssen gehen. Der Grund: Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten.

So kassiert Alparslan Oruc, der als Ersatzmitglied des Wahlvorstands vorgesehen ist, eine Abmahnung, weil er sich für einen Fehltag nicht rechtzeitig entschuldigt habe. In der Nacht hatte Oruc seine Frau ins Krankenhaus gefahren. Sie stand kurz vor einer Frühgeburt von Zwillingen. Oruc sagt, er habe morgens in der Firma angerufen, dort sei niemand ans Telefon gegangen. Später habe er einen Kollegen gebeten, den Meister zu informieren.

Im Mai 2006 entscheidet das Landesarbeitsgericht München positiv über die Einsetzung eines Wahlvorstands. Eine Rechtsbeschwerde beim Bundesarbeitsgericht lässt es nicht zu, Staudenmayr kann gegen diese Entscheidung aber eine so genannte Nichtzulassungsbeschwerde einlegen. Das tut er.

Ende Juli wird Satilmis Ergün, der immer noch 8,70 Euro verdient, gekündigt. Er ist zwar keiner der Wahlvorstände, doch er unterstützt seine Kollegen beim Kampf um die Betriebsratswahl, fährt mit ihnen zu Gerichtsterminen, hilft bei der Organisation. Grund für Ergüns Kündigung seien dessen zahlreiche Krankheitstage gewesen, die seit 2005 angelaufen seien, sagt Hornung. In jenem Jahr hat Ergün einen schweren Autounfall mit einem LKW.

Der Handgelenkwirbel ist gebrochen, das Gesicht zur Hälfte zerschnitten. Der Rettungshubschrauber fliegt Ergün ins Krankenhaus. Zweieinhalb Monate kann er nicht zur Arbeit erscheinen. 2006 hat Ergün einen erneuten Unfall. Auf der Landstraße fährt ihm ein anderes Auto auf. Diesmal ist es die Halswirbelsäule. Zwei Wochen krank. Ergün sagt, der Chef habe ihn zu Hause angerufen und gefragt: "Sind Sie schuld oder der andere?"

ES GIBT STRAFARBEITEN_ Gegen die Kündigung geht Ergün vor Gericht. Vor dem dritten Gütetermin ruft Hornung an: Er könne wieder kommen. Am ersten Arbeitstag im vergangenen Januar kommt der Obermeister auf ihn zu und drückt ihm einen Spachtel in die Hand. Was Ergün damit machen solle? Den Boden der Werkshalle abkratzen. Dort haben sich in den vergangenen dreißig Jahren viel Öl und Sägespäne angesammelt. Für die 400 Quadratmeter braucht der Türke zwei Wochen.

In den nächsten Monaten schneidet Satilmis Ergün mit einer kleinen Eisenschere einen acht mal zehn Meter großen baufälligen Eisenzaun auseinander, was mit der Flex eine halbe Stunde gedauert hätte. Für einen Holzzaun braucht er mit einer Handsäge drei Tage. Er streicht die Küche, das Klo, kratzt PVC-Böden weg. Zwischendurch habe ihn Hornung ins Büro bestellt und ihm klargemacht, dass er von sich aus gehen solle, sagt Ergün. Doch er geht nicht. Wenn die Kollegen über ihn lachen, lacht er zurück und denkt an seine Kinder. Für einen Ungelernten seien das "ganz normale Arbeiten" gewesen, entgegnet Hornung, er habe halt keine Maschine frei gehabt.

Nachdem das Bundesarbeitsgericht die Nichtzulassungsbeschwerde des Anwalts Staudenmayr abgelehnt hat, ist der Weg für Betriebsratswahlen eigentlich frei. Doch die Firma rückt die Unterlagen zur Erstellung der Wählerlisten nicht raus. Wieder geht es vor Gericht. Im Juli 2007 ist es dann so weit: Die vom Gericht dazu bestimmten Türken organisieren mit dem Metaller Frey die Betriebsratswahl. Gegen die Liste der IG Metall treten zwei andere Listen an, sie nennen sich nach den beiden Listenführern.

Während der Wahlvorstand die Stimmen auszählt, rücken die anderen Beschäftigten immer näher heran, bis sie schließlich wie eine Mauer direkt vor den IG Metallern stehen. Anwalt Staudenmayr hat eine Digitalkamera dabei. Die Türken erhalten acht Stimmen, die überwältigende Mehrheit der insgesamt 80-köpfigen Belegschaft votiert für die anderen. Betriebsratsvorsitzender wird der 52-jährige Werner Strobel.

Der oberste Arbeitnehmervertreter sitzt im Büro des Chefs und spricht über sein Amt. "Als guter Demokrat" müsse er sich eben zur Wahl stellen, sagt Strobel, auch wenn es im Betrieb viel Arbeit gebe. Da müsse er die fünf Stunden, die ihm für sein neues Amt vom Gesetz her zuständen, eben ins Wochenende verlegen. "Ich versuche, es jedem recht zu machen", beteuert Strobel. Von ihm aus könne er dafür auch mal was unter der Woche machen, sagt Dieter Hornung. Hauptsache, es ist wieder Frieden.

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