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Magazin Mitbestimmung

BRIC-Konferenz: Besser als ihr Ruf

Ausgabe 12/2013

Die von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie BRICINVEST zeichnet ein überwiegend positives Bild der neuen Investoren aus Brasilien, Russland, Indien und China. Von Carmen Molitor

Globalisierung ist längst keine Einbahnstraße mehr: Den Deutschen kommen immer häufiger finanzstarke Global Player aus den BRIC-Staaten Brasilien, Russland, Indien und China entgegen. Sie eröffnen hierzulande eigene Dependancen und übernehmen kriselnde Unternehmen.  „Die wollen nur unser Knowhow, eine hohe Rendite abschöpfen und machen dann den Laden dicht“, befürchten die verunsicherten Beschäfigten.  Doch in der Praxis bestätigen sich Vorbehalte wie diese oder dass die Mitbestimmung von den Investoren aus Fernost nicht respektiert werden, eher nicht, so das Fazit des Workshops „Investoren aus den BRIC-Staaten“ am 26. September in Düsseldorf.

Beispiel: Chinesische Anleger. „Sie sind industrielle Anleger mit langfristigem Interesse und machen in den Unternehmen teilweise Investitionen, die von deutschen Besitzern jahrelang nicht getätigt wurden“, bilanzierte Wolfgang Müller von der IG Metall-Bezirksleitung in Bayern die Erfahrung von Betriebsräten. Statt an „Tabula Rasa“ seien die Chinesen beim Personal an Kontinuität interessiert und legten Wert auf harmonische Beziehungen. Teilweise beklagten die Betriebsräte laut Müller allerdings, dass sie keinen direkten Kontakt zu den Investoren in fernen Firmenzentralen oder zu den Arbeitnehmervertretern in China bekommen. 

Veranstalter der Tagung war die Böckler-Stiftung in Kooperation mit der Philipps-Universität Marburg, der Project Consult GmbH aus Essen und dem Leibnitz-Institut für Länderkunde in Leipzig – den Projektpartnern der Studie „BRICINVEST“, die seit Januar 2013 die Lage der Unternehmens-Investoren aus den BRIC-Staaten in Deutschland und die ihrer Beschäftigten analysiert. „Wir haben da eine Forschungslücke identifiziert“, sagt Marc Schietinger von der Abteilung Forschungsförderung der HBS.  

Danach schaffen die meisten Arbeitsplätze in Deutschland die indischen Unternehmen. Laut Martin Franz von der Philipps-Uni Marburg entfallen von den insgesamt knapp 42.000 durch BRIC-Investitionen geschaffenen Jobs 19.000 auf indische Firmen, 14.000 auf chinesische, 6.600 auf russische und 1.800 auf brasilianische. Darunter die chinesische SANY Group, die den Betonpumpenhersteller Putzmeister schluckte. Der indische Aluminiumproduzent Novelis, der in Lüdenscheidt ein Walzwerk hat. Die russische Gazprom und ei Luitpoldhütte in Amberg, die in russischem Mehrheitsbesitz ist. Oder der brasilianische Kunststoffhersteller Braskem. Anders als diese globalen Großkonzerne vermuten lassen, beschäftigen die BRIC-Unternehmen in Deutschland im Durchschnitt  rund 41 Mitarbeiter und knapp 70 Prozent der Unternehmen sind laut Franz sogar noch kleinere Firmen ohne Beschäftigungsrelevanz. Die Nähe zu den Kunden in Deutschland und Europa, eine gute Verkehrsinfrastruktur und eine spezialisierte Arbeitnehmerschaft gehörten zu den wichtigsten Gründen, weshalb sich BRIC-Investoren ansiedeln, ergänzten Kai Bollhorn von der Uni Marburg und Sophie Gollinski vom Leipzig-Institut. Wenn Firmen übernommen wurden, sähen die Unternehmen das häufig selbst als letzte Chance, einen Bankrott abzuwenden und die Beschäftigten hätten bisher nahezu keinen Widerstand gegen die neuen Besitzer geleistet. „Die Investoren haben die finanzielle Situation genutzt, aber nicht ausgenutzt“, fassten die Wissenschaftler zusammen.

Nicht als Megatrend, aber in stetiger Aufwärtsbewegung sehen andere Experten die Rolle der BRICs in Deutschland. Die Investitionsvolumina seien mit 4,5 Milliarden Euro im Jahr und zurzeit 2.500 Unternehmen im Vergleich zu anderen Ländern überschaubar, betonte Robert Hermann von der internationalen Wirtschaftsfördergesellschaft der Bundesregierung, Germany Trade & Invest. Hermann hält die interkulturellen Unterschiede für die größten Herausforderungen bei BRIC-Investitionen, dass es in Deutschland eine Mitbestimmung gibt, sei dagegen „kein relevanter Entscheidungsfaktor“ für oder gegen Investitionen.

An die ersten Kontakt zu japanischen Investoren in den 70er- und 80er-Jahren fühlte sich Karl-Uwe Bütof vom NRW-Wirtschaftsministerium erinnert: „Damals hieß es auch: Wieso holen wir uns die Konkurrenz ins Haus?“ Heute gebe es 500 japanische Unternehmen in Nord-Rhein-Westfalen mit über 30.000 Arbeitsplätzen, davon sind allein 320 Firmen in Düsseldorf zu finden. Aus China seien bereits 800 Unternehmen im Land NRW tätig, aus Russland 400 und aus Indien 100. „Wir haben uns bisher noch nicht damit beschäftigt, was das für die Beschäftigten bedeutet“, gab Bütof zu. Große Probleme könne er aber nicht erkennen. Dem stimmte Achim Vanselow vom DGB NRW zu: „Bei den BRICs gibt es keinen Grund zur Sorge, dass etwas in die falsche Richtung läuft“, sagte er.  Er wünsche sich mehr Fakten und eine „höhere Rationalität“ der Debatte über die neuen Investoren.

Positiv waren auch die Erfahrungen, die Karl Krause, Vorstandschef der Kiekart AG, dem Weltmarktführer für Schließsysteme bei Autos, und der dortige Betriebsratsvorsitzende Uwe Höhndorf seit 2012 mit dem neuen Hauptaktionär Hebei Lingyun Industrial, einem börsennotierten Automobilzulieferer aus Peking gemacht haben.  Betriebsrat Höhndorf erlebte  einen für Arbeitnehmerfragen aufgeschlossenen chinesischen CEO, Krause spürte „keine Einflussnahme auf das Tagesgeschäft“.

Dagegen habe bei der Linde Hydraulics in Aschaffenburg „jeder Geschäftsführer einen Chinesen an seiner Seite“, seit Weichai Power, eines der führenden Unternehmen der Nutzfahrzeug- und Automobilzulieferindustrie in China, 2012 eine 70prozentige Beteiligung an dem Unternehmen erwarb,  berichtete Betriebsrat Robert Hock. Einen direkten Einfluss der neuen Eigentümer aus Fernost hätten die Beschäftigten aber auch dort noch nicht gespürt. Mit mehrtägigen China-verstehen-Kursen sei die Linde-Belegschaft über die kulturellen Unterschiede aufgeklärt worden.  

Das ist nicht überall selbstverständlich: Für die Kultur und den Alltag der neuen Investoren müssten sich die Deutschen noch mehr interessieren und ihnen respektvoll auf Augenhöhe begegnen, monierte der Inder Debjit D. Chaudhuri, Gründer der Investitionsberatungsfirma ValueWerk, die sich auf deutsch-indische Wirtschaftsbeziehungen spezialisiert hat. „Inder wissen alles Mögliche über Deutschland, wenn sie hier investieren – von der Bundesliga bis zum Wahltermin“, sagte Chaudhuri. „Aber die Deutschen wissen nichts über unseren Nationalsport Kricket, sie kennen nur die Zahlen der Firma, um die es geht.“  Ganz offensichtlich reicht das in Zeiten der Globalisierung nicht mehr.

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