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Landarbeiter auf Feldern in Deutschland Magazin Mitbestimmung

Landwirtschaft: Ausbeutung auf deutschen Feldern

Ausgabe 02/2023

Saisonbeschäftigte aus Osteuropa werden nach wie vor Opfer gieriger Bauern und Winzer. Von Annette Jensen

Levan I. war schockiert, als er vor zwei Jahren mit zwei Dutzend Kolleginnen und Kollegen aus Georgien auf einem Obsthof am Bodensee ankam. Gutes Geld für gute, harte Arbeit war ihnen von den Vermittlern zugesagt worden. Und nun das: Sie hausten in Containern mit Schimmel an den Wänden und voller Kakerlaken, in einer Toilette war der Bretterboden durchgebrochen, und statt in der versprochenen Arbeitskleidung mussten sie die Erdbeeren in ihren Sandalen vom matschigen Feld ernten. Für sechs Wochen Plackerei erhielten sie am Ende ganze 300 Euro Lohn. Dokumentiert ist dieser Fall im Jahresbericht „Saisonarbeit in der Landwirtschaft 2022“, den die Initiative Faire Landarbeit (IFL) im Februar veröffentlicht hat. Die IFL ist ein Bündnis aus gewerkschaftsnahen Organisationen, der IG BAU, kirchlichen Beratungsstellen sowie weiteren Organisationen, das sich seit 2016 für bessere Arbeitsbedingungen für Saisonarbeitende in der Landwirtschaft einsetzt.

Überlange Arbeitszeiten, unzureichende Kontrollen, mangelhafter Krankenversicherungsschutz und skandalöse Arbeitsbedingungen – so sieht der Alltag vieler osteuropäischer Beschäftigter auf deutschen Feldern laut IFL-Jahresbericht immer noch aus. Etwa eine Viertelmillion Menschen reisen jedes Jahr nach Deutschland, um Erdbeeren zu ernten, Spargel zu stechen oder bei der Weinlese zu helfen. Sie kommen zu 60 Prozent aus Rumänien, aber auch aus Polen, Ungarn, Bulgarien und zunehmend aus der Ukraine und Kirgisistan.

Ab dieser Saison gilt auch für die Landarbeiterinnen und -arbeiter der gesetzliche Mindestlohn von zwölf Euro. Zu befürchten ist allerdings, dass erneut viele um ihre berechtigten Ansprüche geprellt werden. In vielen Betrieben ist nämlich die geerntete Menge Grundlage für die Lohnabrechnung. Arbeitszeiten werden häufig nur in handschriftlichen Notizen festgehalten, in die die Beschäftigten keine Einsicht erhalten, Überstunden werden vielfach ignoriert.

Kontrollen sind die Ausnahme

„Das ist alles äußerst unübersichtlich, und es wird viel getrickst“, bilanziert Anja Piel vom DGB-Vorstand. Hinzu kommen nicht selten hohe Lohnabzüge für miese Unterkünfte. So mussten zwei Bewohner für ein winziges Zweibettzimmer monatlich jeweils 360 Euro zahlen. Gelegentlich stellen Arbeitgeber sogar illegal Vermittlungsgebühren oder Arbeitsgeräte in Rechnung. Weil die Löhne häufig erst kurz vor der Abreise ausgezahlt werden, sind Reklamationen kaum möglich.

Im Vergleich zu anderen Branchen wie etwa dem Bau oder der Logistik werden landwirtschaftliche Arbeitgeber zudem wesentlich seltener kontrolliert. Nur 1,1 Prozent der Betriebe mussten 2021 ihre Lohnabrechnungen vorlegen, 2022 lag die Kontrolldichte noch niedriger – und das, obwohl im Jahr zuvor bei 8,6 Prozent der Überprüfungen Verfahren wegen Verstoß gegen das Mindestlohngesetz eingeleitet wurden.

150 Euro für zehn Tage Arbeit

Die Initiative Faire Landarbeit organisierte im vergangenen Jahr 48 Feldaktionen, bei denen Flyer in verschiedenen Sprachen verteilt wurden. Seit 2020 bietet die IG BAU für Saisonbeschäftigte eine günstige einjährige Mitgliedschaft mit vollem Rechtsschutz an.

Wie die Betriebe mit den Beschäftigten umgehen, sei extrem unterschiedlich, berichtete Benjamin Luig, Koordinator der Initiative. Als Beispiel nannte er kleine Weingüter in Rheinland-Pfalz. In einem Betrieb kämen seit Jahrzehnten im Herbst dieselben Helfer aus Polen, und es gehe sehr fair zu, während ein anderer Winzer seinen Saisonkräften nicht einmal einen Arbeitsvertrag aushändigt und ihre Pässe einzieht.

Das erlebten auch zwölf Saisonbeschäftigte aus Rumänien, die sich im September 2022 beim Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt Mannheim meldeten. Ein Vorarbeiter hatte ihnen einen Wochenlohn von 400 bis 600 Euro netto versprochen – tatsächlich bekamen sie nach zehn überlangen Arbeitstagen nur 150 Euro ausgehändigt. Außerdem sollten sie noch 50 Euro für die Jobvermittlung sowie 150 Euro für den Transport aus Rumänien nach Baden-Württemberg bezahlen. Die Initiative Faire Landarbeit unterstützt sie nun bei ihrer Klage.

Ein heikles Thema ist in vielen Fällen die Krankenversicherung, zu der die Arbeitgeber seit 2022 verpflichtet sind. „Kurzfristig Beschäftigten in der Landwirtschaft muss der volle Krankenversicherungsschutz zustehen“,  fordert Harald Schaum, stellvertretender Vorsitzender der IG BAU und Mitglied im Vorstand der Hans-Böckler-Stiftung. Er sei „enttäuscht, dass die Bundesregierung entsprechende Zusagen immer noch nicht eingelöst hat“. Problematisch ist etwa, dass Gruppenpolicen für kurzfristig Beschäftigte in den ersten vier Wochen häufig nicht gelten. In einem Fall wurden Erntehelferinnen, die bald nach der Ankunft in Deutschland erkrankt waren,
kurzerhand nach Hause geschickt. Auf ihren Kosten blieben sie sitzen.

Levan I. und seine georgischen Kolleginnen und Kollegen warten übrigens immer noch auf den ihnen vorenthaltenen Lohn. Ihr Fall beschäftigt mittlerweile die Arbeitsgerichte. In erster Instanz bekamen sie Recht, doch der Arbeitgeber legte Berufung ein. Dass sie überhaupt klagen konnten, verdanken die Beschäftigten aus Georgien der Unterstützung der IG BAU – in die sie mittlerweile alle eingetreten sind.

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