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Magazin Mitbestimmung

: 'Eine Arbeitsplatzgefährdung? Das ist unsinnig'

Ausgabe 04/2005

Der DGB begrüßt es, die Arbeitgeberverbände wettern, die Politiker raufen miteinander - was ist dran an den Warnungen und Vorbehalten gegen das von Rot-Grün vorgelegte Antidiskriminierungsgesetz (ADG)? Fragen an Prof. Dr. Heide Pfarr, Fachfrau in Sachen Arbeitsrecht und Gleichstellung.

Heide Pfarr ist wissenschaftliche Direktorin des WSI in der Hans-Böckler-Stiftung und Professorin für Arbeitsrecht an der Universität Hamburg. Politische Ämter hatte sie als Senatorin in Berlin und Ministerin in Hessen; sie hat mehrere Gesetze und Gesetzentwürfe zur Gleichstellung auf den Weg gebracht.

Ein Politiker äußerte kürzlich die Befürchtung, in Deutschland weite sich die ökonomische Krise zu einer politischen Krise aus. Damit spielte er nicht zuletzt auf die aufgeregten Debatten um das Antidiskriminierungsgesetz an: Was ist denn hierzulande los?
Seit Jahren ist die Bundesrepublik mit der Umsetzung verbindlicher europäischer Richtlinien gegen die Diskriminierung in Verzug - wir sind deshalb schon vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt worden. Alle Welt weiß, dass der größte Teil der Inhalte des Gesetzes durch Europa vorgegeben ist. So verblüfft es schon, wie viele politische Akteure und Medien jetzt reagieren. Da äußern sich selbst in der SPD Minister negativ, deren Haus den Gesetzentwurf miterarbeitet und abgesegnet hat.

Arbeitgeber und CDU monieren, der Gesetzentwurf von Rot-Grün ginge weit über die europarechtlichen Vorgaben hinaus.
Da irren sie sich, jedenfalls was den Bereich des Arbeitsrechts betrifft. Da sind die Regulierungen im ADG weitestgehend vom europäischen Recht zwingend vorgegeben. Auch alle Gruppen, die das Gesetz jetzt auch nennt, müssen aufgenommen sein. Die Beweiserleichterung für das Vorliegen einer Diskriminierung darf nach europäischem Recht nicht fehlen. Die Verantwortung der Verbände wird darin betont, der soziale Dialog angemahnt. All das dürfte die Bundesrepublik gar nicht verweigern, …

… die in ihrem Grundgesetz, Artikel 3, festlegt: "Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse ... benachteiligt oder bevorzugt werden."
Diesen hohen Wert, der prägend für unsere Gesellschaft ist, hat auch die Wirtschaft zu beachten. Sie muss lernen, wenn sie es noch nicht weiß: Es gibt kein Grundrecht auf Diskriminierung!

Aber geht es nicht zu weit, wenn etwa ein Arbeitgeber beweisen muss, dass er niemanden wegen Religion oder Alter benachteiligt hat?
Auch die Beweiserleichterung verlangt die europäische Richtlinie, und das zu Recht. Denn ohne eine solche Erleichterung könnte eine diskriminierte Person gar nichts machen. Diskriminierung findet doch im Kopf des Arbeitgebers statt - wie soll man das von außen beweisen? Deshalb muss es ausreichen, wenn jemand Tatsachen vortragen und glaubhaft machen kann, die eine Diskriminierung vermuten lassen. Dann ist es Sache des anderen, also hier des Arbeitgebers, zu beweisen, dass dieser Anschein trügt.

Behauptet wird: Das ADG gefährdet Arbeitsplätze und verhindert die Schaffung neuer Arbeitsplätze.
Das ist ganz gewiss unsinnig. Wir reden jetzt über den arbeitsrechtlichen Teil des ADG. In anderen europäischen Ländern sind bereits Antidiskriminierungsgesetze in Kraft, die hierin mindestens so weit gehen wie der jetzt diskutierte Entwurf. Und da gab es keinerlei negativen Einfluss auf die Beschäftigung. Im Gegenteil: Einige Länder haben einen größeren Beschäftigungsaufbau als die Bundesrepublik. Das gilt vor allem für Großbritannien. Das ADG wird also keinesfalls schädlichen Einfluss auf bestehende und die Schaffung neuer Arbeitsplätze haben.

Auch wenn das immer wieder behauptet wird …
Schädlich für die Arbeitsmarktlage ist vor allem die Art, wie die Diskussion um das Antidiskriminierungsgesetz geführt wird. Arbeitgeber, besonders die von kleinen und mittleren Unternehmen, sind in der Regel nicht rechtskundig. Sie werden durch die Fülle falscher Informationen verunsichert. Diejenigen, die wider besseres Wissen negative Arbeitsmarkteffekte beschwören, statt zu beruhigen und aufzuklären, tragen zur pessimistischen Stimmung im Lande bei, mit all den negativen Wirkungen in der Wirtschaftspolitik.

Gibt es Erfahrungen, die wir aus den Gleichstellungsgesetzen nutzen können?
Was die Benachteiligung wegen des Geschlechts betrifft, bringt das ADG nichts Neues, aber wir können diese Erfahrungen für die Beurteilung der Wirkungen des ADG nutzen. Das Verbot der Geschlechterdiskriminierung ist ja bereits seit 25 Jahren geltendes Recht - und zwar einschließlich der Beweiserleichterung. Hier hat die Arbeitsgerichtsbarkeit praxisnahe Entscheidungen getroffen. Wer beispielsweise in der Stellenausschreibung nach einer Person eines bestimmten Geschlechtes sucht, obwohl die Arbeit von Frauen wie von Männern erbracht werden kann, der hat eben Tatsachen gesetzt, nach denen man bezweifeln kann, dass hier keine Benachteiligung beabsichtigt war.

Sind das nicht mittlerweile Selbstverständlichkeiten, denen die Unternehmen nachkommen? Warum dann diese Gefährdungsszenarien von Seiten der Wirtschaftsverbände?
Vor 25 Jahren waren die Vorwürfe genau dieselben wie heute: Unerträgliche Bürokratisierung, drohende Klageflut, schlimmer Missbrauch - so lauteten die Prognosen. Nichts davon ist eingetreten. Über all die Jahre hat die Wirtschaft, haben die Unternehmen keinerlei Probleme mit dieser Regulierung gehabt. Wer jetzt die gleichen Vorwürfe erhebt, der irrt sich nicht mehr nur. Nein, der argumentiert wider besseres Wissen.

Gab es denn gar keine Klagen?
Doch, natürlich. Und wenn ein Gesetz gegen Missbrauch und Benachteiligung so formuliert ist, dass sich gar niemand darauf berufen kann und beruft, dann sollte man es gleich ganz lassen. Es gab - und es gibt - Diskriminierung, aber es gab keine Klageflut. Die Anzahl der gerichtlichen Verfahren in diesen 25 Jahren blieb im dreistelligen Bereich; die amtlich unterstützte Dokumentation aller Urteile zählt ganze 112 Klagen. Das bedeutet: nur ca. 0,0005 Prozent der Arbeitsgerichtsprozesse haben sich mit dem Problembereich "Gleichstellung" beschäftigt. Ungefähr die Hälfte der Klagen wurde abgewiesen. Die Gerichte haben auch geprüft, ob Klagen nur erhoben wurden, um Geld abzuzocken, oder es sich um ernsthafte Bewerbungen handelte. Sie haben also Missbrauch nicht zugelassen. All das ist allgemein bekannt - wer dennoch so schwarz malt und von Klageflut spricht, der desinformiert.

Aber nun werden ja auch andere, von Diskriminierung bedrohte Menschen, sprich Personengruppen - wegen Behinderung, Rasse, sexueller Neigung - in das ADG einbezogen.
Das wird diese entspannte Situation nicht ändern. Die Erfahrungen derjenigen Länder, die wie Großbritannien und die Niederlande schon länger - schärfer formulierte - Antidiskriminierungsgesetze haben, belegen, dass diese Gruppen nicht konfliktfreudiger und klagebereiter sind als die Frauen. In den Niederlanden stellt immer noch
die Geschlechtsdiskriminierung zirka 80 Prozent der Beschwerde- und Klageeingänge.

Ist in Deutschland die Rechtsprechung in punkto Diskriminierung unterentwickelt?
Wir haben im Prinzip bisher durchaus eine ordentliche Rechtsprechung zur Geschlechtsdiskriminierung. Aber ein Urteil aus Wuppertal aus dem Jahre 2003 macht deutlich, dass auch die Arbeitsgerichtsbarkeit ein ADG braucht. Das Arbeitsgericht Wuppertal hat in einem Kündigungsschutzprozess die Kündigung eines Personalleiters wegen Arbeitsverweigerung als gerechtfertigt erklärt. Der Personalleiter hatte sich nämlich geweigert, einer wiederholten Anweisung seines Arbeitgebers zu folgen, grundsätzlich keine Türkinnen einzustellen. Wir haben also Handlungsbedarf.

Die Wirtschaftsverbände argumentieren: Das ADG hemmt die Einstellungsbereitschaft. Sollte man also künftig Schutzgesetze besser ganz unterlassen, weil sie sich gegen die Geschützten richten?
Die Behauptung, durch das ADG geschützte Personen würden dann noch mehr Probleme haben, eingestellt zu werden, ist bereits widerlegt - nicht nur durch die anders lautenden Erfahrungen im Ausland. Auch in der Bundesrepublik hat das Verbot der Benachteiligung wegen des Geschlechts, das seit 1980 gilt, den Frauen ja nicht geschadet, obwohl das auch bei Erlass dieses Gesetzes behauptet worden war. Die Daten über die Beschäftigung belegen, dass die Gleichstellung zwar immer noch nicht erreicht ist - bei weitem nicht -, dass sich aber die Situation für die Frauen seit Inkrafttreten des Diskriminierungsverbots verbessert und keineswegs verschlechtert hat. Auch das ist allgemein bekannt.

Brauchen wir überhaupt ein Gesetz? Reichen nicht Selbstverpflichtungen, etwa der Unternehmen, um das Bewusstsein gegen Diskriminierungen und für Chancengleichheit zu schärfen?
Recht führt zu Bewusstseinsänderung. Es leitet kulturellen Wandel ein und verstärkt ihn. Und das ADG wie auch die ihm zugrunde liegenden europäischen Richtlinien setzen ja gar nicht vorrangig auf eine konfliktorische, gar gerichtliche Durchsetzung des Verbots der Diskriminierung. Sondern die Verbände, Betriebsräte und Unternehmen sind aufgefordert, sich im sozialen Dialog und durch Vereinbarungen darum zu bemühen, dass in den Betrieben - noch mehr als jetzt schon - ein partnerschaftliches Miteinander herrscht und diskriminierungsfreie Bedingungen für das Arbeiten und Leben geschaffen werden.

Gibt es überhaupt nichts zu meckern an dem Gesetzentwurf von Rot-Grün?
Doch. Das Verbot einer Diskriminierung wegen des Alters ist zu unpräzise gefasst. Zwar gibt es auch hier europäische Vorgaben, die nicht unterschritten werden dürfen. Aber die tarifliche und betriebliche Praxis kennt so viele Regelungen, die am Lebensalter festmachen - bei der betrieblichen Altersversorgung, beim Kündigungsschutz, oft auch beim Entgelt, bei der Verrentung, ja auch bei der Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen. Da darf das Gesetz nicht offen lassen, was davon nun nicht mehr gerechtfertigt erscheint und was doch zu akzeptieren ist.

Natürlich kann nicht jeder Einzelfall im Gesetz genau geregelt werden, aber präziser als jetzt im Entwurf sollte es schon formuliert sein. Eine Studie belegt: In Sachen "Diversity & Antidiskriminierung in der betrieblichen Praxis" haben deutsche Unternehmen erheblichen Nachholbedarf gegenüber ihren internationalen Wettbewerbern. Da kommt doch das Antidiskriminierungsgesetz genau richtig! Dazu fordert es auf - und auch die Betriebsräte können sich darauf berufen, wenn sie eine solche Politik für den Betrieb einfordern.

Die Fragen stellte Cornelia Girndt.

Was regelt das Antidiskriminierungsgesetz?
Das Gesetz will Benachteilungen aufgrund der ethnischen Herkunft, Religion oder Weltanschauung, des Alters, Geschlechts, einer Behinderung und der sexuellen Identität verhindern und beseitigen. Das gilt für gewerbliche Vermietungen von Wohnungen genauso wie etwa für private Versicherungen. Im beruflichen Alltag gilt als Benachteiligung jede direkte oder indirekte Ungleichbehandlung einschließlich des Bewerbungsverfahrens, es sei denn, es handelt sich um eine im Gesetz fixierte Ausnahme. Als Benachteiligung wird auch die Belästigung am Arbeitsplatz angesehen.

Arbeitgeber haben die Beschäftigten zu sensibilisieren und zu qualifizieren, um Benachteiligungen vorzubeugen. Findet eine Benachteiligung statt, kann der oder die betroffene Beschäftigte sich beschweren und unter bestimmten Umständen die Arbeit verweigern. Wenn Beschäftigte Schadensersatz wegen einer Benachteiligung einklagen wollen, müssen sie dem Gericht eine beweisbare Tatsache mitteilen, auf die sie ihre Diskriminierungsvermutung stützen. Wenn dies gelingt, muss sich der Arbeitgeber durch eigene Beweise entlasten. Auch Betriebsrat und im Betrieb vertretene Gewerkschaften können notfalls gerichtlich verlangen, dass eine Benachteiligung unterbunden wird.
Mehr dazu im Internet unter www.spdfraktion.de/rs_rubrik/0,,3076,00.htm
Christine Zumbeck


 

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