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Magazin Mitbestimmung

: 60 Prozent für den Flächentarif

Ausgabe 07/2004

Betriebsvereinbarungen sind beliebt - umstritten ist aber ihr Verhältnis zu Tarifverträgen: Hardliner propagieren Abkommen auf Betriebsebene nicht als Ergänzung, sondern als Ersatz. Doch Personalmanager sprechen sich meist für das heutige System aus.

Von Werner Nienhüser und Heiko Hoßfeld.
Werner Nienhüser ist Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Duisburg-Essen, Diplom-Kaufmann Heiko Hoßfeld ist dort wissenschaftlicher Mitarbeiter.

Kaum noch ein größeres Unternehmen verzichtet auf eine Betriebsvereinbarung. In 99 Prozent aller Unternehmen, die 100 oder mehr Beschäftigte und einen Betriebsrat haben, gibt es mindestens einen solchen Vertrag - im Schnitt sind es sogar 14 Stück. Vor 20 Jahren errechneten Wissenschaftler noch Werte um die 80 Prozent - Betriebsvereinbarungen haben also an Bedeutung gewonnen. Schließlich gibt es kaum etwas, das in diesen Verträgen nicht geregelt werden kann - das Spektrum reicht von Weiterbildungsangeboten über die private Nutzung des Internets am Arbeitsplatz bis hin zur betrieblichen Alterssicherung. Alles kein Problem - wäre die Diskussion um dieses Instrument nicht in hohem Maße politisiert.

Kritiker des Flächentarifvertragssystems fordern, auch die Aushandlung von Löhnen oder Arbeitszeiten, die bisher tarifvertraglich - mit vielfältigen Öffnungsklauseln - geregelt sind, noch stärker als bisher auf die betriebliche Ebene zu verlagern. Sie argumentieren, Flächentarifverträge sollten allenfalls noch Rahmenregelungen enthalten, während Betriebsvereinbarungen Tarifverträge unter Berücksichtigung der besonderen Umstände im Betrieb mit Inhalten füllen oder sogar ganz ersetzen könnten. Angesichts dieser Diskussion überrascht es, dass es bisher kaum aktuelle Untersuchungen zur tatsächlichen Verbreitung und Bewertung von Betriebsvereinbarungen gibt.

So war bisher unbekannt, wie Personalmanager Betriebsvereinbarungen - auch im Verhältnis zum Flächentarifvertrag - bewerten. Dabei sind sie es, die auf Arbeitgeberseite von den Folgen eines tarifpolitischen Strukturwandels betroffen wären, der die betriebliche Ebene stärken würde: Sie wären es, die ihn in der Praxis umzusetzen hätten. Jetzt liegen, als Ergebnis einer Zusammenarbeit zwischen der Universität Duisburg-Essen und der Hans-Böckler-Stiftung, erstmals Zahlen einer Telefonumfrage unter 1000 Personalverantwortlichen vor. Befragt wurden Unternehmen, die einen Betriebsrat und wenigstens 100 Mitarbeiter haben.

60 Prozent der Befragten wollen den Flächentarif

Die meisten Personalverantwortlichen sehen in den Betriebsvereinbarungen ein Instrument der Flexibilisierung sowie der Flankierung und Ausgestaltung von Flächentarifverträgen. Knapp drei Viertel der Befragten (74 Prozent) stimmen der Aussage zu, dass die im Betrieb geltenden Betriebsvereinbarungen die Flexibilität erhöhen - nur rund ein Fünftel (21 Prozent) glaubt, Betriebsvereinbarungen führten zu mehr Starrheit im Unternehmen. Doch wie viel Tarifpolitik wollen sie tatsächlich - wie gewichten sie Betriebsvereinbarungen gegenüber dem Flächentarifvertrag?

Lediglich sechs Prozent der Befragten stimmen der Aussage zu, die verbindlichen Regelungen des Flächentarifvertrages sollten auf jeden Fall erhalten bleiben, während 41 Prozent der Auffassung sind, Betriebsvereinbarungen sollten Vorrang vor Tarifverträgen haben. Eine Mehrheit von 53 Prozent allerdings entscheidet sich für die dritte Alternative: Sie geben Flächentarifverträgen den Vorrang, wollen diese aber mit Betriebsvereinbarungen anpassen. Damit befürworten fast 60 Prozent der Personalverantwortlichen das Instrument des Flächentarifvertrages. Er hat also bei den Praktikern auf der Arbeitgeberseite durchaus nicht das Negativimage, das die öffentliche Diskussion prägt. Die Forderungen der Deregulierungsbefürworter finden bei den betrieblichen Personalpraktikern weniger Widerhall als erwartet.

Die Mehrheit der Personalmanager sieht in Betriebsvereinbarungen keinen Ersatz für Tarifverträge, sondern ein komplementäres Regulierungsinstrument. So erklärt sich, dass der Flächentarifvertrag gerade von denjenigen positiv eingeschätzt wird, die Vorteile in Betriebsvereinbarungen sehen. Umgekehrt fordern diejenigen Personalverantwortlichen den Vorrang von Betriebsvereinbarungen vor dem Flächentarifvertrag, die meinen, Betriebsvereinbarungen förderten die betriebliche Starrheit. Wie kommt ein solches, auf den ersten Blick paradox erscheinendes Ergebnis zustande? Vermutlich ist eine kleine Gruppe der Personalverantwortlichen negativ gegen jegliche Form der Regulierung eingestellt, bei der Gewerkschaften oder Betriebsräte beteiligt sind. Vor dem Hintergrund einer solchen Einstellung erscheinen Betriebsvereinbarungen als das kleinere Übel, weil sie im Vergleich zu Flächentarifverträgen den vermeintlich geringsten Regulierungsgrad mit sich bringen.

Das Verhältnis zum Betriebsrat beeinflusst die Meinung mit

Neben den politischen Überzeugungen der Personalmanager spielen noch andere Faktoren eine Rolle bei der Bewertung von Betriebsvereinbarungen. So sprechen sich Manager größerer und tarifgebundener Betriebe tendenziell stärker für den Flächentarifvertrag und in geringerem Maße für eine Tarifpolitik auf Betriebsebene aus. Zum anderen kommt es darauf an, wie die Personalverantwortlichen die Rolle des Betriebsrates subjektiv einschätzen: Je mehr die Befragten glauben, der Betriebsrat sei unkooperativ oder "schwierig", desto weniger sehen sie Flexibilisierungseffekte, um so mehr vermuten sie Erstarrungseffekte und sprechen sich weniger dafür aus, dass Betriebsvereinbarungen größere Bedeutung zukommen sollte. Gleichzeitig jedoch lehnen Manager, die den Betriebsrat als antagonistisch und wenig kooperativ wahrnehmen, Flächentarifverträge in stärkerem Umfang ab und geben Betriebsvereinbarungen den Vorrang.

In diesen Befunden drückt sich ein generelles Dilemma der Deregulierungsbefürworter und Gegner des Systems der Flächentarifverträge aus: Man will zwar eine Verlagerung der Regelungskompetenz auf die Betriebsebene, handelt sich damit aber bei einem konfliktbewussten, Gegenposition beziehenden und womöglich durchsetzungsfähigen Betriebsrat zusätzliche Aushandlungskosten ein, die man nicht in Kauf nehmen will. Gleichwohl deuten die Ergebnisse der Umfrage darauf hin, dass "harte" Gegner des Flächentarifvertragssystems unter den befragten Personalverantwortlichen die Minderheit darstellen. Die Mehrheit befürwortet das bisherige Regulierungssystem mit seinen vorhandenen Flexibilisierungsmöglichkeiten.

Die Studie
Werner Nienhüser/Heiko Hoßfeld: Bewertung von Betriebsvereinbarungen durch Personalmanager. Ergebnisse einer empirischen Untersuchung. Reihe: Betriebs- und Dienstvereinbarungen. Bund-Verlag, Frankfurt am Main 2004.

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