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Ernesto Klengel Magazin Mitbestimmung

Zur Sache: "Wer auf Dienstreise fährt, arbeitet fremdbestimmt."

Ausgabe 02/2020

Ernesto Klengel erklärt, warum Dienstreisen zur Arbeitszeit zählen. Er arbeitet am Hugo Sinzheimer Institut der Hans-Böckler-Stiftung und ist Arbeitsrechtler.

Für die einen ist es der Weg zur Montage, für die anderen der zur Kundin oder zum Meeting: Dienstreisen gehören für immer mehr Menschen zum Arbeitsalltag. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts stieg ihre Zahl in den letzten Jahren auf fast 190 Millionen in 2018 an. Ob Dienstreisen zur Arbeitszeit zählen, darüber gingen die Meinungen von Juristinnen und Juristen immer wieder auseinander. Zwar besteht weitgehend Einigkeit, dass Arbeitszeit die Zeit ist, die während der Arbeit im Sinne des Arbeitsrechts erbracht wird. Unterschiedliche Ansichten gibt es aber dazu, ob Reisezeit als normale Dienstzeit zu vergüten ist, ob die Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes zu Höchstarbeits- und Pausenzeiten einzuhalten sind und wann der Betriebsrat mitbestimmen kann. Die Rechtswissenschaftler Ulrich Preis und Katharina Schwarz von der Universität Köln haben in einem Gutachten für das Hugo Sinzheimer Institut der Hans-Böckler-Stiftung diese Frage beantwortet: Dienstreisen sind Arbeitszeit und müssen vergütet werden.

Die Juristen beziehen sich unter anderem auf die Entscheidung Matzak des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Rufbereitschaft vom Februar 2019. Der EuGH stellte darin fest, dass auch eine Rufbereitschaft unter die Arbeitszeitrichtlinie der EU falle, wenn die Beschäftigten, wie im Fall von Feuerwehrleuten in der belgischen Stadt Nivelles, sich innerhalb von acht Minuten am Arbeitsplatz einfinden müssen. Schließlich könnten Beschäftigte unter solchen Umständen ihr Privatleben nicht frei gestalten. Was für Rufbereitschaft gilt, trifft auf die Dienstreise in einem noch stärkeren Maße zu, befanden Preis und Schwarz. Schließlich halte sich ein Dienstreisender im Gegensatz zum Bereitschaftsdienst nicht einmal in seinem privaten Umfeld auf. Dienstreisen seien daher auch dann Arbeitszeit, wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht verpflichtet sind, während der Reise zu arbeiten.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mehrfach über die Frage entschieden, ob Dienstreisen zu Arbeitszeiten zählen, und kam je nach Zusammenhang zu unterschiedlichen Ergebnissen. So müssen Dienstreisen zwar bezahlt werden, in Fragen des Arbeitsschutzes und der Mitbestimmung entschied das Gericht aber gegen eine Berücksichtigung als Arbeitszeit.
Angesichts der widersprüchlichen Rechtsprechung des BAG und der Entscheidung des EuGH schlagen Preis und Schwarz eine einheitliche Definition vor: „Die unselbstständige fremdbestimmte, fremdnützige, weisungsgebundene und in der Regel räumlich begrenzte Tätigkeit ist abhängige Arbeit – die Zeit, während der der Arbeitnehmer einer solchen Tätigkeit nachgeht, ist arbeitsrechtliche Arbeitszeit.“ Dienstreisen müssen somit bezahlt werden.

Auch auf Dienstreisen müssen die Gesetze zur Arbeitszeit eingehalten und in der Reiseplanung die zulässigen Arbeitszeiten bestmöglich berücksichtigt werden. Das bedeute aber nicht, dass Dienstreisen abgebrochen werden müssen, sobald Beschäftigte die arbeitszeitrechtliche Höchstgrenze erreicht haben. Das Europarecht erlaube dem Gesetzgeber, Ausnahmen zu schaffen. Auch Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte bestünden häufiger, als es das BAG bislang zugestanden hat. Für Gewerkschaften ist ein weiteres Ergebnis von Bedeutung: Wie Dienstreisen arbeitszeitrechtlich zu behandeln, aber auch wie sie zu vergüten sind, kann schon heute in Tarifverträgen vereinbart werden.

Das Gutachten als PDF zum Herunterladen gibt es hier.

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