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HBS Böckler Impuls

Arbeitswelt: Zeitsouveränität hilft beim Ehrenamt

Ausgabe 12/2012

Über ein Viertel der Beschäftigten in Deutschland engagiert sich ehrenamtlich. Arbeit am Abend oder am Wochenende behindert Engagement. Arbeitszeitkonten helfen.

Ob Sportvereine, Parteien, Gewerkschaften oder die freiwillige Feuerwehr: Zahlreiche Institutionen des öffentlichen Lebens basieren im Wesentlichen auf ehrenamtlichem Engagement. Ein solches Engagement kostet Zeit – die Beschäftigte neben ihrer Erwerbstätigkeit aufbringen müssen. Wie ihnen das gelingt, haben der ehemalige Leiter des WSI, Hartmut Seifert, und mehrere Forscher der Technischen Universität Dortmund im Auftrag des nordrhein-westfälischen Ministeriums für Arbeit, Integration und Soziales untersucht. Ihre Studie, für die über 10.000 Personen befragt wurden, zeigt: Freiwilligentätigkeit ist unter abhängig Beschäftigten weit verbreitet. Atypische Arbeitszeiten erschweren das Engagement, Arbeitszeitkonten können zu einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Ehrenamt beitragen.

Das Ausmaß ehrenamtlicher Tätigkeit hat im Laufe des vergangenen Jahrzehnts deutlich zugenommen: 2011 waren der Studie zufolge 28 Prozent aller Beschäftigten ehrenamtlich engagiert – im Vergleich zu 18 Prozent 1999. Auch das Potenzial ist in diesem Zeitraum gewachsen. Fast jeder siebte noch nicht engagierte Beschäftigte gab 2011 an, dass er gerne ein Ehrenamt übernehmen würde. 1999 war es knapp jeder dreißigste. „Von einer ,Krise des Ehrenamtes‘ kann demnach keine Rede sein“, betonen die Sozialforscher.

Generell gehen Männer mit 31 Prozent häufiger einer Freiwilligentätigkeit nach als Frauen, von denen 24 Prozent ehrenamtlich engagiert sind. Ein Grund dafür dürfte die traditionelle Aufgabenverteilung in Familien sein, vermuten die Autoren. Frauen müssten oft die Hauptlast bei Kinderbetreuung, Hausarbeit und Pflege tragen. Sowohl für Erwerbsarbeit als auch für ein Ehrenamt bleibe ihnen daher weniger Zeit. Viele Männer dagegen betrachteten ehrenamtliches Engagement auch als eine Form von Networking, also als Investition in ihre berufliche Karriere.

Besonders stark variiert Freiwilligentätigkeit mit der Qualifikation: Nur 17 Prozent der an- und ungelernten Arbeiter und der Angestellten mit einfachen Tätigkeiten üben ein Ehrenamt aus. Hochqualifizierte, also Meister oder Angestellte mit umfassenden Führungsaufgaben, sind mit 37 Prozent nicht nur häufiger engagiert, sie investieren mit durchschnittlich 18 Stunden pro Monat auch am meisten Zeit in ihre ehrenamtliche Tätigkeit – obwohl sie im Schnitt am längsten arbeiten. Die Erklärung der Forscher: Hochqualifizierte seien in der Lage, vergleichsweise autonom über ihre Arbeitszeit zu verfügen.

Eine insgesamt zunehmende Zeitautonomie könnte auch erklären, warum die Zahl der Beschäftigten mit Ehrenamt seit 1999 gewachsen ist. Damals gab etwa ein Drittel der ehrenamtlich Tätigen an, dank flexibler Arbeitszeiten regelmäßig freinehmen zu können. 2011 hatten mehr als zwei Drittel diese Möglichkeit. Vor allem Arbeitszeitkonten, schreiben die Sozialforscher, seien in den vergangenen Jahren kontinuierlich ausgebaut worden. „Es ist diese spezifische Form von ,regulierter Flexibilität‘, die ehrenamtliches Engagement befördert und für dessen Zuwachs in den letzten zwölf Jahren mitverantwortlich sein dürfte.“

Probleme bereiten dagegen atypische Arbeitszeiten. Der Anteil der Beschäftigten, die im Schichtdienst, nachts oder am Wochenende arbeiten, ist unter Ehrenamtlichen mit 50 Prozent geringer als unter allen Befragten, die zu 57 Prozent von solchen Arbeitszeiten betroffen sind. Ehrenamtlich Tätige mit atypischen Arbeitszeiten klagen zu 28 Prozent über Konflikte zwischen Beruf und Ehrenamt, diejenigen mit Normalarbeitszeit nur zu 7 Prozent. Insbesondere Wochenendarbeit, so die Wissenschaftler, wirke sich negativ auf den zeitlichen Aufwand für Freiwilligentätigkeit aus.

Wie wichtig angemessene Arbeitszeitregelungen sind, zeigen auch die Motive derjenigen Befragten, die ihr Ehrenamt aufgeben oder einschränken wollen. Zeitkonflikte spielen hier eine zentrale Rolle: „Wer zeitliche Vereinbarkeitsprobleme hat, erwägt eher, das Engagement zu reduzieren. Ungünstige, immer wieder Reibungen verursachende Arbeitszeiten können Exit-Entscheidungen fördern.“

  • Die meisten Beschäftigten mit Ehrenamt sind in den Bereichen Sport, Kirche, Rettungswesen und Kultur aktiv. Zur Grafik
  • Beschäftigte, die im Schichtdienst, nachts oder am Wochenende arbeiten, klagen wesentlich häufiger über Konflikte zwischen Beruf und Ehrenamt als diejenigen mit Normalarbeitszeit. Zur Grafik

Hartmut Seifert, Hermann Groß u. a.: Erwerbsarbeit und Ehrenamt in der Bundesrepublik Deutschland und in Nordrhein-Westfalen. Bestandsaufnahme des ehrenamtlichen Engagements im Europäischen Jahr der Freiwilligentätigkeit, Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, März 2012

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