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HBS Böckler Impuls

Finanzmarktkapitalismus: Wo nur die Rendite zählt

Ausgabe 12/2006

Trotz Rekordgewinnen bauen viele Unternehmen Beschäftigung ab. Ein Grund: Sie stehen unter starkem Druck, dem Kapitalmarkt üppige Renditen zu liefern. Eine Studie analysiert, wie Investmentfonds, Analysten und Rating-Agenturen die harte Konkurrenz des Finanzmarkts in die Unternehmen übertragen - und so deren Strategie bestimmen.

Pensions- und Investmentfonds besaßen 2003 gut 60 Prozent der Anteile an den 1.000 größten US-Aktiengesellschaften. Allein die 20 größten Fonds verfügten über rund 40 Prozent der Aktien amerikanischer Konzerne. In Deutschland verwalteten institutionelle Anleger im Jahr 2000 ein Vermögen, das 80 Prozent des deutschen Bruttosozialproduktes entsprach. Zehn Jahre vorher war es nur ein Drittel.

Die Wirtschaft verändert sich, weil sich das Eigentum an großen Unternehmen auf institutionelle Anleger konzentriert: Investment- und Pensionsfonds dringen machtvoller als Kleinanleger auf hohe Eigenkapitalrenditen, denken aber anders als sonstige Großeigentümer. Der Druck zwingt Manager zu einer "kurzfristigen Strategie der Profitmaximierung", so Professor Paul Windolf. Langfristige Geschäftsstrategien lassen sich unter diesem Einfluss nur schwer verfolgen. Wie es den institutionellen Anlegern gelingt, Unternehmensziele zu diktieren, analysiert der Soziologe in der Literaturstudie "Was ist Finanzmarktkapitalismus?".

Die Konkurrenz der Investment- und Pensionsfonds um Anleger treibt die Renditeerwartungen in die Höhe. Die Attraktivität eines Fonds für neue Kunden hängt von seinen bisherigen Erträgen ab: Erzielt ein Fondsmanager eine Rendite, die 1 Prozent über dem Schnitt der Konkurrenten liegt, kann er im Folgejahr mit 1,3 Prozent mehr Einlagen rechnen, so eine Untersuchung in den USA. Ein nicht konkurrenzfähiges Ergebnis gefährdet hingegen seinen Arbeitsplatz. "Der extreme Konkurrenzdruck führt dazu, dass die Erträge, die die Investmentfonds publizieren, häufig manipuliert sind", schreibt Windolf. Die Fonds verwenden Berechnungsmethoden, die nicht vergleichbar sind, oder publizieren nur die überdurchschnittlichen Erträge. Ein weiteres Problem: Die Erwartungen der Anleger bestimmen - stärker als das Ertragspotenzial - die angestrebte Rendite der Unternehmen.

Die Investmentfonds geben den Konkurrenzdruck an die Unternehmen weiter, deren Aktien sie besitzen. Sie bedienen sich einer Doppelstrategie von Exit und Voice. Exit: Die Fonds erwerben selten mehr als zwei Prozent an einem Unternehmen. So können sie ihre Aktien jederzeit verkaufen und in eine renditeträchtigere Anlage umleiten. Im Schnitt verabschieden sich Fonds nach 20 Monaten von ihrem Investment. Die Verkaufsdrohung macht wegen zu erwartenden Kursverlusten das Management gegenüber den Forderungen der Fonds  gefügig. Voice: Obwohl sie in der Regel nur Minderheitsgesellschafter sind, finden sie auch auf Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften Gehör. Stimmen sich 20 Fonds mit je zwei Prozent ab, ist das eine relevante Gruppe. Die Kombination von Exit und Voice kann Unternehmen schaden. Windolfs Beispiel ist die Deutsche Börse: "Eine Gruppe von Investmentfonds, die im Durchschnitt weniger als 18 Monate Eigentümer eines Unternehmens sind, kann das Management zwingen, eine auf langfristige Entwicklung angelegte Geschäftsstrategie aufzugeben und die kurzfristigen Renditeforderungen der Eigentümer zu erfüllen."

Die Helfer der neuen Eigentümer

Auch Analysten und Rating-Agenturen tragen dazu bei, Unternehmen auf Renditeziele zu verpflichten. Analysten reduzieren komplexe Prozesse eines Unternehmens auf wenige Kennzahlen. Wenn sie die künftigen Erträge des Unternehmens höher einschätzen, als der gegenwärtige Kurs widerspiegelt, raten sie zum Kauf, andernfalls zum Verkauf. Ihre Arbeitsweise wird kritisch gesehen:

  • Viele Analysten haben nur wenig Berufserfahrung. Eine Untersuchung unter 12.300 Analysten an der Wall Street von 1983 bis 2000 ergab: Fast 50 Prozent von ihnen sind erst zwei oder drei Jahre in diesem Job. Das beeinträchtigt die Qualität ihrer Arbeit, denn es ist belegt: Je länger ein Analyst in seinem Beruf ist, umso präziser werden seine Prognosen.
  • Analysten arbeiten häufig für Wertpapierhäuser, die mit Aktien handeln. Sie werden von ihrem Arbeitgeber gedrängt, Prognosen zu publizieren, die geeignet sind, den Umsatz von Wertpapieren zu steigern. Darum werden sie eher für optimistische Prognosen als für Genauigkeit belohnt. Wer hohe Gewinne prognostiziert, hat bessere Chancen auf einen Job bei einem Top-Wertpapierhaus, so eine Studie - der Wert darf nur nicht allzu weit vom tatsächlichen abweichen.

Rating-Agenturen entscheiden über die Kapitalkosten von Unternehmen. Ein gutes Bonitätsurteil kann den Kurs von Anleihen und Aktien beleben oder Kreditzinsen senken. Der Rating-Markt ist hoch konzentriert, drei Agenturen dominieren ihn weltweit: Standard & Poor's, Moodys (beide zu je 40 Prozent) und Fitch Ratings (15 Prozent). "Es sind die Unternehmen, die um Rating-Agenturen mit hohem Prestige werben, um eine möglichst günstige Bewertung zu erhalten", so Windolf. Die Agenturen kontrollieren, ob Unternehmen bestimmte Kapitalmarktstandards erfüllen - ob sie Quartalszahlen pünktlich veröffentlichen und Bilanzierungsvorschriften einhalten, Geschäftspolitik und Strategie transparent darstellen. Dadurch erleichtern sie institutionellen Anlegern das Exit- und Voice-Vorgehen. Ratings mit einer Skala von bis zu zehn Stufen suggerieren zudem "eine Genauigkeit der Prognose, die tatsächlich nicht möglich ist."

Rating-Agenturen sind die eigentlichen Schöpfer eines globalen Finanzmarktes. Sie bewerten Unternehmen weltweit in standardisierter Form, ihre Informationen stehen allen Marktteilnehmern zur Verfügung. Sie eröffnen damit Investmentfonds den raschen Zugriff auf Unternehmen.

Wie Fonds Manager disziplinieren

Feindliche Übernahmen können Unternehmen treffen, deren Börsenkapitalisierung kleiner ist als ihr Wert. Das lockt so genannte Raider an, Finanzmarktakteure, die Aktionären höhere Preise als den Börsenkurs anbieten und üppige Erträge durch Restrukturierungen oder den Verkauf einzelner Unternehmensteile anstreben. Top-Manager werden nach einer feindlichen Übernahme häufiger entlassen als nach anderen Unternehmenskäufen - ein Grund, warum Manager willig die Vorgaben des Kapitalmarktes berücksichtigen und einen niedrigen Aktienkurs ihres Unternehmens zu vermeiden versuchen. "Wenige, tatsächlich durchgeführte feindliche Übernahmen disziplinieren durch ihre abschreckende Wirkung Tausende von US-Großunternehmen", schreibt Windolf. Zwischen 1979 bis 1998 wurden 7,5 Prozent der an der Wall Street notierten Unternehmen feindlich übernommen. Die Kosten einer feindlichen Übernahme waren meist sehr hoch, für manche Unternehmen ruinös.

Der Verkauf von Tochtergesellschaften gegen den Willen der lokalen Führungskräfte hat einen ähnlichen Effekt. Schon die Drohung wirkt. Investmentfonds fordern, dass alle Unternehmensteile Renditen erreichen, die sich an Benchmarks - etwa der Eigenkapitalrendite führender Konkurrenten - orientieren. Bleibt eine Sparte dahinter zurück, steht sie zur Disposition. Das erschwert es den Unternehmenstöchtern, langfristig zu planen.

Aktienoptionen für Manager bergen ein beträchtliches Risiko, zeigen Erfahrungen in den USA. Sie "verlagern die Interessen der Manager tendenziell auf die Finanzmärkte" und unterminieren dadurch die Loyalität der Führungskräfte zum sozialen Gebilde "Unternehmen", warnt der Soziologe. "Je höher die kurzfristigen Gewinne aus Aktienoptionen im Vergleich zu den langfristigen Einkommenschancen, die Manager im internen Arbeitsmarkt des Unternehmens erwarten können, umso stärker ist der Anreiz zum Opportunismus." Der Betrugsfall des amerikanischen Energiekonzerns Enron - sein ehemaliger Vorstandschef Kenneth Lay erhielt aufgrund von Finanzmanipulationen 131 Millionen US-Dollar im Jahr in Form von Aktienoptionen - war in dieser Anreizstruktur begründet. "Wenn Aktienoptionen so exorbitante Einkommenschancen bieten, ist Loyalität zum Unternehmen kein starkes Handlungsmotiv mehr".

  • Analysten von Banken entscheiden über den Wert von Unternehmen - dabei haben sie selbst oft wenig Berufserfahrung. Zur Grafik
  • Investmentfonds verfügen über mehr Geld als ganze Volkswirtschaften. Zur Grafik
  • Eine Typologie von Finanzinvestoren nach dem Anlagestil. Zur Grafik

Paul Windolf (Hrsg.): Finanzmarkt-Kapitalismus. Analysen zum Wandel von Produktionsregimen, VS-Verlag, Wiesbaden 2005
Aus der Reihe: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie Sonderhefte Bd. 45

Paul Windolf: Das Regime des Finanzmarkt-Kapitalismus
in: Magazin Mitbestimmung 06/2006

Weitere Infos zum Thema:

Corporate Governance: Vom Kapitalmarkt getrieben
in: Böckler Impuls 11/2006

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