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HBS Böckler Impuls

Lohnpolitik: Wirtschaftskrise bremst Mindestlöhne

Ausgabe 04/2010

Knapp die Hälfte der 20 EU-Länder mit gesetzlichem Mindestlohn hat die Untergrenze zum Januar 2010 angehoben. Doch die Wirtschaftskrise bremst die Dynamik.

Nach einem knappen Jahrzehnt mit kräftigem Wachstum haben die Mindestlöhne in der EU 2009 deutlich auf die Wirtschaftskrise reagiert: Die Erhöhungen fielen geringer aus. Das zeigt Tarifexperte Thorsten Schulten im neuen WSI-Mindestlohnbericht. Mehrere Staaten haben ihre Lohnminima sogar eingefroren. Es gab allerdings auch Ausnahmen: EU-Länder wie Portugal, die Slowakei oder Polen nahmen kräftige Erhöhungen vor. In einigen Staaten außerhalb der EU stiegen die Mindestlöhne sogar zweistellig. Das mache deutlich, "dass es auch unter den Bedingungen der Krise alternative politische Handlungsmöglichkeiten" bei der Gestaltung von Mindestlöhnen gibt, schreibt Schulten: Während in einigen Ländern das Thema Kostensenkung die Debatte dominiere, verfolgen andere das Ziel, die Binnennachfrage zu stärken und Deflationsgefahren zu bekämpfen.

Nach den jüngsten Erhöhungen liegen die niedrigsten erlaubten Stundenlöhne in den westeuropäischen Euro-Ländern zwischen 8,41 Euro und 9,73 Euro brutto. Der britische Mindestlohn beträgt umgerechnet 6,51 Euro. Dieser Wert ist jedoch stark von der Abwertung des Pfunds beeinflusst. Sonst "würde der britische Mindeststundenlohn heute etwa bei 8,50 Euro liegen", erklärt Schulten.

Die EU-15-Staaten in Südeuropa haben Lohnuntergrenzen ab knapp drei Euro. In den mittel- und osteuropäischen Staaten liegen die Mindestlöhne noch niedriger. Allerdings haben viele Beitrittsländer während des vergangenen Jahrzehnts aufgeholt - ihre Mindestlöhne stiegen schneller als in der "alten" EU. Zudem spiegeln die Niveauunterschiede auch unterschiedliche Lebenshaltungskosten wider. Legt man Kaufkraftparitäten zugrunde, reduziert sich das Verhältnis zwischen dem niedrigsten und dem höchsten gesetzlichen Mindestlohn in der EU von 1:14 auf etwa 1:6.

Schultens berichtet, dass im vergangenen Jahr kontroverser über die Entwicklung der Lohnminima debattiert wurde. Als Reaktion auf die Wirtschaftskrise stiegen die Mindestlöhne in etlichen EU-Ländern 2009 relativ schwach. So wurde die Lohnuntergrenze in Großbritannien, Frankreich oder den Niederlanden lediglich um nominal ein bis zwei Prozent angehoben. Dagegen waren die Mindestlöhne in den alten EU-Ländern zwischen 2000 und 2008 im Jahresmittel um gut vier Prozent gewachsen. Dank niedriger Preissteigerungen verzeichneten Mindestlohnbezieher aber in vielen Ländern mit nominalen Erhöhungen 2009 auch reale Lohnzuwächse.

Die heftigsten Diskussionen gab es in Irland. Dort forderten Arbeitgebervertreter und konservative Politiker sogar eine Absenkung des Mindestlohns. Die irische Lohnuntergrenze ist seit mehr als zwei Jahren eingefroren, ebenso wie die in Belgien oder mehreren osteuropäischen Staaten. Im größten östlichen EU-Land Polen stieg das Lohnminimum hingegen um gut drei Prozent, in Griechenland und Portugal um mehr als fünf Prozent.

Uneinheitlich verlief die Mindestlohnentwicklung auch in mehreren außereuropäischen Ländern, die Schulten erstmals untersuchte. Während die Lohnuntergrenze in Australien 2009 bei umgerechnet 8,08 Euro verharrte, stieg der nationale US-Mindestlohn um rund zehn Prozent. In Brasilien wurde der Mindestlohn um knapp 23 Prozent erhöht und liegt nun bei umgerechnet 0,97 Euro.

Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) hat die expansive brasilianische Mindestlohnpolitik als positive Strategie zur Krisenbewältigung gelobt. Und in ihrem "Global Jobs Pact" weist die ILO auf eine zentrale Rolle von Mindestlöhnen hin, um deflationäre Lohn-Preis-Spiralen zu verhindern. Die Analyse der ILO-Ökonomen sei auch in Europa hoch aktuell, betont Schulten. Eine strukturelle Erhöhung von Mindestlöhnen würde "nicht nur vielen Beschäftigten einen angemessenen Lohn oberhalb des Existenzminimums ermöglichen, sondern zugleich auch einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der Krise leisten". 

  • Eine Übersicht über die Höhe der Mindestlöhne in der EU und in einigen anderen Ländern – und wie stark die untere Lohngrenze jeweils 2009 angehoben wurde. Zur Grafik

Thorsten Schulten: WSI Mindestlohnbericht 2010, in: WSI Mitteilungen 3/2010

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