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HBS Böckler Impuls

Niedriglohn: Wenige Euro die Stunde: Das Lohnspektrum franst nach unten aus

Ausgabe 03/2008

Der Niedriglohnsektor wächst. Schon seit mehr als einem Jahrzehnt, aber in der jüngsten Vergangenheit immer schneller.

6,5 Millionen Arbeitnehmer oder 22 Prozent der Beschäftigten in Deutschland bekommen Niedriglöhne. Das geht aus einer neuen Untersuchung des Forschungsinstituts Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Uni Duisburg-Essen hervor. "Während Deutschland lange für seine ausgeglichene Einkommensstruktur bekannt war, ist der Anteil der Niedriglohnbeschäftigung seit Mitte der 90er-Jahre deutlich gestiegen", so die Studie. Die Autoren fanden  "vermehrt Hinweise darauf, dass das Lohnspektrum in Deutschland zunehmend nach unten ausfranst".

Die Wissenschaftler verwenden die Niedriglohndefinition der OECD. Demnach gilt als Geringverdiener, wer weniger als zwei Drittel des mittleren Lohns bekommt. In Westdeutschland liegt diese Grenze bei einem Bruttostundenlohn von 9,61 Euro, in Ostdeutschland bei 6,81 Euro. Die Analyse des IAQ stützt sich auf das sozio-oekonomische Panel 2006. Sie umfasst alle Beschäftigungsformen inklusive Minijobs und Teilzeitarbeit.

Allein zwischen 2004 und 2006 stieg die Niedriglohnbeschäftigung um  zehn Prozent. Und das bedeutet nicht nur, dass die Verdienste der Geringverdiener hinter der allgemeinen Lohnentwicklung zurückbleiben: Die durchschnittlichen Stundenlöhne der Niedriglöhner sind während der letzten beiden Jahre des Untersuchungszeitraums sogar absolut gesunken - in Westdeutschland von 7,25 Euro auf 6,89 Euro und im Osten von 5,48 Euro auf 4,86 Euro.

Ein weiterer Beleg für die Einschätzung, dass sich "das Lohnspektrum nach unten weiter ausdehnt": Mit einem Bruttostundenlohn von fünf Euro oder weniger mussten 2006 etwa 1,9 Millionen Arbeitnehmer auskommen. Das sind 400.000 mehr als zwei Jahre zuvor.
  
Auch gut Qualifizierte werden schlecht bezahlt. Knapp drei Viertel der Beschäftigten im Niedriglohnbereich haben eine Berufsausbildung absolviert oder studiert. 1995 lag ihr Anteil erst bei knapp 67 Prozent.

Nur ein gutes Viertel der Niedriglöhner hat keine Berufsausbildung. Gleichzeitig gilt jedoch: Fast die Hälfte der Beschäftigten ohne Berufsausbildung arbeitet für einen Lohn unterhalb der Niedriglohnschwelle. Überdurchschnittlich häufig müssen sich auch Frauen, Jüngere und Ausländer mit geringen Verdiensten zufrieden geben.

Nicht nur Minijobber sind von Niedriglohnbeschäftigung betroffen - die allerdings besonders häufig. Mehr als 90 Prozent der geringfügig Beschäftigten beziehen Niedriglöhne. Doch auch jeder siebte Vollzeitbeschäftigte und jeder vierte sozialversicherungspflichtig teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer kommt nicht über die Niedriglohngrenze.

Das IAQ zeichnet die Verschiebungen zwischen den verschiedenen Beschäftigungsformen im Niedriglohnsektor nach: Vollzeitbeschäftigte stellten 1995 mit 58 Prozent noch eindeutig  die Mehrheit unter den Geringverdienern. Bis 2006 nahm ihr Anteil auf 46 Prozent ab. Im Gegenzug verdoppelte sich der Anteil der geringfügig Beschäftigten.

Im internationalen Vergleich zeigt sich, dass Deutschland einen höheren Niedriglohnanteil hat als Frankreich, Dänemark oder Holland. Die deutsche Quote liegt kaum unter den Werten für Großbritannien und die Vereinigten Staaten. Und in keinem der anderen Länder sei die Niedriglohnbeschäftigung in den vergangenen Jahre so stark gestiegen wie hierzulande, schreibt das IAQ. Eine "Ausdifferenzierung der Löhne nach unten", wie sie in Deutschland stattfindet, sei in den Nachbarländern nicht denkbar - weil gesetzliche Mindestlöhne oder Tarifstandards dies verhinderten.

Gerade im Vergleich mit anderen Ländern falle der hohe Anteil qualifizierter Niedriglöhner in Deutschland auf, bemerkt das IAQ. Gleichzeitig sei die Chance, aus einem schlecht bezahlten in einen besser dotierten Job zu wechseln, hierzulande besonders gering.

Die Ausweitung des Niedriglohnsektors hat Folgen für das gesamte Lohngefüge, wie die Forscher erläutern: Die Möglichkeit der Arbeitgeber, auf schlechter bezahlte Beschäftigte zurückzugreifen, bleibe vielfach "nicht ohne Rückwirkung auf die übrigen Arbeitsplätze". Um zu verhindern, dass ein Teil der Arbeit Minijobbern oder Zeitarbeitern übertragen werde, sähen sich Gewerkschaften und Betriebsräte oft gezwungen, der Streichung von Zuschlägen, Verlängerung der Arbeitszeit, oder Lohnkürzung zuzustimmen. Das Gleiche könne geschehen, wenn Tätigkeiten durch Outsourcing in Bereiche mit niedrigen oder ohne Tariflöhne verlagert würden.

Thorsten Kalina und Claudia Weinkopf: Weitere Zunahme der Niedriglohnbeschäftigung (pdf), in: IAQ-Report 1/2008

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