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Votum für ein soziales Europa Böckler Impuls

EU-Wahl: Votum für ein soziales Europa

Ausgabe 03/2019

Die Wahlberechtigten in Deutschland erwarten in Europa mehr Engagement für Arbeitnehmerinteressen.

Die EU durchlebt vor der Europawahl am 23. Mai schwierige Zeiten: Der Brexit droht chaotisch zu werden, der US-Präsident droht mit Handelskrieg, rechtspopulistisch dominierte Regierungen strapazieren die Geduld der europäischen Partner. Nichtsdestoweniger bringen die meisten Deutschen dem europäischen Projekt Wohlwollen entgegen. Das zeigt eine repräsentative Befragung von rund 2700 Wahlberechtigten, die das Berliner Forschungsinstitut Policy Matters im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung durchgeführt hat. Die EU sollte sich nach Ansicht der Befragten neben sicherheitspolitischen Zielen mehr Lohngerechtigkeit und Arbeitnehmerrechte auf die Fahnen schreiben.

Was den grundsätzlichen Nutzen angeht, betrachten der Umfrage zufolge 37 Prozent der Deutschen die Mitgliedschaft in der EU als eher vorteilhaft, 24 Prozent als nachteilig. 39 Prozent gehen davon aus, dass sich Vor- und Nachteile die Waage halten. Deutliche Unterschiede zeigten sich dabei, wenn man die Befragten in „politische Typen“ einteilt, schreiben die Experten. Ausgesprochen EU-affin seien die „kritische Bildungselite“ und das „engagierte Bürgertum“. Die „zufriedene Generation Soziale Marktwirtschaft“ und die „konservativen Besitzstandswahrer“ sähen zwar auch Nachteile, hätten aber insgesamt ein eher positives Bild von der EU. Bei den „gesellschaftlichen Einzelkämpfern“, den „verunsicherten Leistungsindividualisten“, den „desillusionierten Arbeitnehmern“ und den „missachteten Leistungsträgern“ hielten sich Licht- und Schattenseiten die Waage. Das „abgehängte Prekariat“ empfinnde die EU-Mitgliedschaft als nachteilig.

Über die reine Kosten-Nutzen-Erwägung hinaus fällt die Bewertung mehrheitlich positiv aus: 56 Prozent aller Befragten halten die EU für „eine gute Sache“, nur jeder Siebte ist dezidiert gegenteiliger Ansicht. Unter den Arbeitnehmern fällt das Urteil noch etwas günstiger aus als in der Gesamtbevölkerung: 40 Prozent sehen vor allem Vorteile, 61 Prozent attestieren der EU, eine gute Sache zu sein.

Von dieser positiven Grundhaltung zeugt auch der Wunsch nach mehr Kooperation. Eine große Mehrheit von 83 Prozent spricht sich für eine intensivere Zusammenarbeit aus, bei der allerdings nicht zwingend die gesamte Union im gleichen Tempo vorangehen muss: 72 Prozent votieren für ein Kerneuropa. Bei der Frage, ob es eine Europäische Regierung geben sollte, ist die Bevölkerung gespalten: 53 Prozent sind dafür, 47 Prozent dagegen. Die Aufnahme weiterer Länder in die EU wird überwiegend abgelehnt.

Eher skeptisch stehen die Deutschen der Auswertung zufolge den institutionellen Strukturen gegenüber: „Die grundsätzliche Sympathie für die Mitgliedschaft Deutschlands in der EU ist nicht unterfüttert mit einer ausgeprägten Akzeptanz ihrer Institutionen.“ Nur ein Drittel hat demnach großes oder sehr großes Vertrauen in die Kommission, die Europäische Zentralbank oder das Parlament. Am besten schneidet noch der Europäische Gerichtshof ab – ähnlich wie bei Befragungen zu nationalen Institutionen genießt die Justiz relativ viel Vertrauen.

Vornehmste Pflicht der EU ist nach Ansicht der Befragten die Friedenssicherung auf dem Kontinent: Die Wichtigkeit dieser Aufgabe wird auf einer Skala von 1 bis 7 im Schnitt mit 6,2 beziffert. Ähnlich hohe Werte erreichen die Themen Terrorbekämpfung und Schutz vor Kriminalität. Das Sicherheitsbedürfnis der Wähler scheine also sehr ausgeprägt zu sein, heißt es in der Analyse. Andererseits werde ebenfalls erwartet, dass die EU die Freiheit des Einzelnen bewahrt.

Darüber hinaus liegt den Wahlberechtigten die Durchsetzung von Gerechtigkeit am Herzen: Die Aufgabe, Frauen und Männern gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit zu garantieren, rangiert auf der Wichtigkeits-Skala im Schnitt bei 5,8. Genauso hoch im Kurs steht die gerechte Besteuerung internationaler Unternehmen. Den Zielen, Beschäftigte vor Arbeitsplatzverlust zu schützen sowie die Arbeitnehmerrechte auszubauen, wird jeweils ein Wert von 5,5 zugemessen. Dagegen ist die Einführung einer europäischen Arbeitslosenversicherung den Deutschen weniger wichtig, auch Migration zählt nicht zu den Top-Themen.

Den von den Befragten wahrgenommenen Handlungsbedarf haben die Experten von Policy Matters ermittelt als Differenz zwischen der Wichtigkeit einer Aufgabe und dem Grad der Erfüllung durch die EU, der ebenfalls auf einer siebenstufigen Skala erfasst wurde. Am größten fällt diese Differenz mit 2,6 bei der fairen Besteuerung internationaler Konzerne aus, die gleiche Bezahlung von Frauen und Männern steht mit 2,4 an zweiter Stelle. Beim Schutz vor Jobverlust und bei der Stärkung der Arbeitnehmerrechte werden Werte von 2,0 und 1,8 erreicht. Resümee der Meinungsforscher: „Die Vertretung der Belange von Arbeitnehmern gehört aus Sicht der Deutschen zu den wichtigsten Aufgaben des künftigen Europaparlaments und zudem zu den Aufgaben mit dem größten Handlungsdruck.“

  • Die Deutschen bewerten die Mitgliedschaft in der EU mehrheitlich positiv. Zur Grafik

Richard Hilmer, Norman Prange: Europa vor der Wahl – in Sorge vereint (pdf), Februar 2019

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