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HBS Böckler Impuls

Atypische Beschäftigung: Vielfalt in der Arbeitswelt: Immer öfter ohne soziales Netz

Ausgabe 10/2006

Vollzeit, unbefristet, fest angestellt - das typische Normalarbeitsverhältnis ist immer stärker der Konkurrenz ausgesetzt. Millionen Erwerbstätige arbeiten heute in Teilzeit, Minijobs, befristet, als Leiharbeitnehmer oder selbstständige Miniunternehmer. Die WSI-Mitteilungen analysieren die Konsequenzen so genannter atypischer Beschäftigung für Arbeitnehmer, Betriebe und soziale Sicherungssysteme: Einkommensunsicherheit und Beitragsausfälle können die Kehrseite flexiblerer Beschäftigungsformen sein.

Seit den 1980er-Jahren fördert die Arbeitsmarktpolitik atypische Beschäftigungsformen. Inzwischen hat ein Drittel aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer - über die Hälfte der abhängig beschäftigten Frauen - ein solches Beschäftigungsverhältnis:

  • 23 Prozent aller abhängig Beschäftigten arbeiten in Teilzeit.
  • 14 Prozent sind ausschließlich geringfügig beschäftigt, weitere 5 Prozent haben einen Minijob als zweites Standbein.
  • 8 Prozent der Arbeitsverträge sind befristet.
  • 1,3 Prozent der Beschäftigten arbeiten als Leiharbeitnehmer.
  • Hinzu gerechnet werden müssen - wenn auch nicht abhängig beschäftigt - die Ich-AGs mit 0,6 Prozent aller Erwerbstätigen.

Zuweilen werden mehrere dieser Beschäftigungsformen kombiniert. Beispiel: befristete Teilzeitverträge. Wer ausschließlich einen Minijob hat, zählt gleichzeitig als teilzeitbeschäftigt.

Als wichtigste Ziele dieser Deregulierung gelten: Flexiblere Kostenstrukturen sollen den Betrieben bei der Bewältigung des Strukturwandels helfen, für stärkeres Wirtschaftswachstum sorgen. Arbeitslosen sollen die neuen Erwerbsformen Brücken in Beschäftigung bauen. Analysen der Arbeitsmarktforscher und Sozialpolitikexperten zeigen: Negative Folgen für die sozialen Sicherungssysteme zeichnen sich ab. Ebenso problematisch seien die Auswirkungen auf die geforderte Qualifizierung in der Wissensgesellschaft und auf die persönliche Lebensplanung der Beschäftigten durch unsichere, prekäre Beschäftigung. Sechs zentrale Fragen ziehen sich als roter Faden durch die Betrachtungen:

Sind atypische Beschäftigungsverhältnisse unverzichtbar für Betriebe, die auf Auftragsschwankungen reagieren müssen? Beinahe 80 Prozent der Betriebe setzen vor allem auf interne Flexibilisierungsinstrumente, um Veränderungen der Auftragslage zu bewältigen, wie Untersuchungen des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) zeigen. Also auf Überstunden, Urlaubsplanung, Arbeitszeitmodelle, Kurzarbeit. Gerade Hightech-Betriebe, die auf hoch qualifizierte Mitarbeiter angewiesen sind, passen sich den Schwankungen des Marktes eher mit geschmeidigen Arbeitszeitänderungen an als mit Entlassungen und Einstellungen. Einen zwingenden Zusammenhang zwischen Globalisierung und "hire and fire" fanden die IAB-Forscher nicht: "Die Annahme, Betriebe müssten aufgrund der zunehmenden Volatilität internationaler Märkte auf externe Flexibilisierung zurückgreifen, bestätigt sich in unserer Analyse nicht."

Schafft atypische Beschäftigung zusätzliche Jobs? Zumindest die Arbeitszeitverkürzung über Teilzeitarbeit scheint positiv auf den Arbeitsmarkt zu wirken: Das IAB hat versucht, mit einer Überschlagsrechnung den Teilzeit-Effekt auf die Gesamtbeschäftigung zu beziffern. Ergebnis: Hätte die Zahl der Teilzeitstellen seit 1994 nicht erheblich zugenommen, gäbe es heute 2,6 Millionen Jobs weniger. Diese Kalkulation enthalte zwar grobe Vereinfachungen, trotzdem deute vieles daraufhin, "dass negative Beschäftigungseffekte des Strukturwandels über eine Ausweitung der Teilzeitarbeit abgefedert werden können", schreiben die Wissenschaftler. Die Zahl der versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse insgesamt sinkt aber seit Jahren. Indizien deuten darauf hin, dass Minijobs zunehmend reguläre Arbeit ersetzen, so auch die Einschätzung des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung und des Instituts für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik.

Atypische Beschäftigung - ein Weg zum Normalarbeitsverhältnis? Als Sprungbrett in den klassischen Fulltimejob wirken Teizeitarbeit, Minijobs und Leiharbeit nur selten: Zwischen 1995 und 2003 fanden nur 5,4 Prozent der Arbeitsuchenden den Weg aus der Arbeitslosigkeit zu einem Vollzeitjob auf dem Umweg über eine sozialversicherungspflichtige Teilzeitstelle. Auch Minijobs sind "kaum geeignet, den Übergang in ein Normalarbeitsverhältnis zu ebnen", so das IAB. Empirische Untersuchungen zeigen, dass der umgekehrte Weg häufiger eingeschlagen wird: In den Jahren 2003 und 2004 wechselten rund 50.000 Arbeitnehmer mehr aus sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung in einen Minijob als andersherum. Bei befristet Beschäftigten ist die Bilanz deutlich besser als bei Teilzeit oder Minijob: 40 Prozent aller Zeitverträge werden in unbefristete umgewandelt.

Qualifizierung? Für alle atypisch Beschäftigten gilt: Sie haben schlechtere Chancen, Zugang zu betrieblichen Weiterbildungsangeboten zu bekommen. Beruflich weiterqualifizieren können sie sich meist nur in Eigenregie und selbst finanziert- aufgrund ihres geringen Einkommens schwierig. In einer wissensbasierten Gesellschaft ist dies ein starkes Handicap und eine Hypothek für die Zukunft.

Jobben ohne soziales Netz? Das soziale Netz für atypisch Beschäftigte ist besonders durchlässig. Gerade für diejenigen mit geringer Arbeitszeit kann aus atypisch schnell prekär werden: niedriges Einkommen, abnehmende Karrierechancen, unsichere Zukunftsperspektiven.

Dauerhafte Teilzeitarbeit erhöht das Risiko der Altersarmut. Wer nur 75 Prozent des Durchschnittseinkommens verdient, braucht bereits 33 Erwerbsjahre, um später überhaupt eine Rente oberhalb des Sozialhilfeniveaus zu bekommen. Besonders schlecht gesichert sind Minijobber. Sie erwerben nur winzige Ansprüche auf Altersrente, haben keinen Anspruch auf Pflegeleistungen, sind nicht arbeitslosenversichert. Ausschließlich geringfügig Beschäftigte - 83 Prozent der Minijobber - sind nicht automatisch krankenversichert. Bei denen, die nicht bei Ehepartner oder Eltern mitversichert sind, steigt der Anteil der Personen ohne Krankenversicherungsschutz.

Dennoch heißt atypisch nicht zwingend prekär. Familiäre Situation und Dauer solcher Beschäftigungsverhältnisse spielen eine entscheidende Rolle, so das WSI. Beispiel Minijob: Hat der Ehepartner einen reguläres Arbeitsverhältnis, ist der Minijobber - häufig die Minijobberin - meist per Familienversicherung krankenversichert und kassiert den Lohn von maximal 400 Euro im Monat steuer- und sozialabgabenfrei. Und dass die erworbenen Rentenansprüche bescheiden sind, ist weniger problematisch, wenn die geringfügige Beschäftigung nur eine kurze Episode in der Erwerbsbiografie bleibt.

Werden die Sozialversicherungen ausgehöhlt? Die Sozialversicherungen bauen auf dem Konzept des Vollzeit-Normalarbeitsverhältnisses auf. Die neuen Erwerbsformen berühren die Grundlagen dieses Systems. Mehr- oder Mindereinnahmen der Sozialversicherungen durch die steigende Zahl der Minijobs lassen sich bislang zwar nicht genau beziffern. Das WSI sieht jedoch klare Anhaltspunkte dafür, dass in Deutschland zunehmend sozialversicherungspflichtige durch andere - beitragsfreie - Formen der Erwerbsarbeit ersetzt werden. Insbesondere durch die Förderung geringfügiger Beschäftigung und nichtversicherungspflichtiger Selbstständigkeit drohen erhebliche Sicherungslücken. Diese müssen dann später mit ALG II und Altersgrundsicherung auf Kosten der Steuerzahler geschlossen werden.

Befristete Beschäftigung wird dann zum Problem, wenn darauf eine Arbeitslosigkeitphase folgt und wiederum die Soidargemeinschaft einspringen muss.

Reguläre Teilzeitarbeit ist weniger problematisch für die Rentenkasse: Zwar zahlen diese Beschäftigten weniger ein als Fulltime-Jobber, erhalten jedoch auch entsprechend weniger Leistungen. Gleichzeitig bremst eine Zunahme der Teilzeitbeschäftigung den allgemeinen Rentenanstieg, weil dadurch das Durchnitteinkommen sinkt.Zudem gehen mit zunehmender Frauenerwerbstätigkeit die Ausgaben für Hinterbliebenenrenten zurück. Belastend wirken allerdings einige aus der Rentenkasse subventionierte Formen der Teilzeitbeschäftigung wie Altersteilzeitmodelle.

  • Jüngere Beschäftigte arbeiten zu einem großen Anteil mit befristeten Verträge. Zur Grafik
  • Ein Problem für die Sozialkassen und die Erwerbstätigen: Ein geringerer Anteil der Beschäftigten zahlt in die gesetzlichen Versicherung ein. Zur Grafik
  • Befristete Arbeitsverträge waren 1991 unter den Neueinstellungen noch eher die Ausnahme. Zur Grafik
  • So passen sich Firmen an Nachfrage-Schwankungen an. Zur Grafik
  • Atypische Jobs haben im vergangenen Jahrzehnt deutlich zugenommen. Zur Grafik

WSI-Mitteilungen 5/2006, Schwerpunktheft Atypische Beschäftigung - sozialverträglich oder prekär?

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