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HBS Böckler Impuls

Arbeitsmarkt: Transferangebote: Zweiter Puffer in der Krise

Ausgabe 04/2010

Nicht alle Beschäftigten werden an ihren alten Arbeitsplatz zurückkehren können, wenn die Kurzarbeit ausläuft. Dann sind Weiterbildung und Hilfen für Übergänge in neue Jobs gefragt. Arbeitsmarktexperten zeigen, wie Transfergesellschaften das besser leisten können.

Wenn in den kommenden Monaten nach und nach mehr Betriebe die maximale Bezugszeit des konjunkturellen Kurzarbeitergeldes ausgeschöpft haben, könnte die Stabilität von Deutschlands Arbeitsmarkt noch einmal auf eine harte Probe gestellt werden. Hat die Wirtschaft bis dahin nicht genug Schwung aufgenommen, kann es doch noch zu den befürchteten Entlassungen kommen. Dann wäre ein neuer Puffer gefragt: das Transfer-Kurzarbeitergeld.

Das Transfer-Kurzarbeitergeld (Transfer-KuG) soll   nicht mehr Schwankungen der Wirtschaft überbrücken, sondern die Folgen des Strukturwandels mildern. Es wird an Beschäftigte gezahlt, die  Angebote einer Transfergesellschaft wahrnehmen: Qualifizierung, Beratung, Vermittlung in einen neuen Job. Was das Transfer-KUG und die Transferangebote leisten können, wo es hakt und wie sie besser werden können, haben die beiden Wissenschaftler Mathias Knuth und Gernot Mühge im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung untersucht.

Was fördert die Bundesagentur für Arbeit? Die Arbeitsagenturen unterstützen mit dem Transfer-KuG Erwerbstätige, die in "einer schwerwiegenden strukturellen Verschlechterung der Lage des Wirtschaftszweiges" ihren Job verloren haben, schreiben die Forscher vom Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ). Allerdings kann nicht der einzelne Betroffene Hilfe beantragen; er erhält sie nur auf Basis eines Sozialplans. Das Transfer-KuG beläuft sich wie das Arbeitslosengeld I auf 67 Prozent des bisherigen Entgelts. Es bietet seinem Empfänger den Vorteil, dass er erst nach Ablauf der Transferbemühungen als arbeitslos gilt. Und der drohende Übergang in Hartz IV wird damit um bis zu zwölf weitere Monate aufgeschoben.

In wessen Auftrag arbeiten Transfergesellschaften? Der Beschäftigtentransfer baut normalerweise auf dem betrieblichen Sozialplan auf und wird im so genannten dreiseitigen Vertrag zwischen Beschäftigtem, Arbeitgeber und Transfergesellschaft geregelt. Dieser Vertrag legt Folgendes fest: Erstens löst der von der Kündigung bedrohte Beschäftigte  seinen Arbeitsvertrag freiwillig auf - und verzichtet damit auf das Klagerecht gegen die im Raum stehende Kündigung. Zweitens bietet die vom Arbeitgeber beauftragte Transfergesellschaft ihm dafür einen befristeten Arbeitsvertrag von bis zu einem Jahr an. Darin wird geregelt, welche Förderung und Qualifizierung er erhält. Der so Beschäftigte bekommt von jetzt ab nicht mehr sein Gehalt, sondern das Transfer-KuG, das von der alten Firma aufgestockt und durch eine zusätzliche Abfindung ergänzt werden kann. Drittens müssen  Betriebsrat und Arbeitgeber im Rahmen der Sozialplanverhandlungen Qualität und Umfang der Dienstleistungen klären. Das abgebende Unternehmen zahlt zudem die Beiträge zu Sozialversicherung und Berufsgenossenschaften sowie die Personalkosten für Feier- und Urlaubstage.

Was leisten Transfergesellschaften für die Beschäftigten? Transfergesellschaften entlasten in Krisenzeiten die Arbeitsagenturen. Sie arbeiten sehr ähnlich: Sie erstellen ein Profil des Betroffenen, analysieren Stärken und Schwächen, beraten bei der Neuorientierung, bieten bei Bedarf Kurse an und versuchen, in neue Stellen zu vermitteln. Was aber einen Unterschied machen kann: Wenn die Transfergesellschaft durch den beauftragenden Betrieb gut ausgestattet ist, dann ist der Betreuungsschlüssel deutlich besser als bei der Arbeitsagentur. Die Jobsuchenden bekommen zudem einen Arbeitsvertrag mit der Transfergesellschaft, sie sind also bei ihren Bewerbungen nicht mit dem Status "arbeitslos" behaftet. Transfergesellschaften sind darüber hinaus oft in örtliche Unternehmensnetzwerke eingebunden und kennen den regionalen Arbeitsmarkt genau. Welchen Erfolg Qualifizierung und Vermittlung haben, lässt sich indes kaum beziffern. "Es kommt immer darauf an, in welcher Region und mit welchen Teilnehmern Beschäftigungstransfer versucht wurde", stellen Knuth und Mühge fest. Die Forscher verweisen aber auf beachtliche Vermittlungsquoten, die in zahlreichen Beispielen  erzielt wurden. Von der vormaligen BenQ-Belegschaft in Kamp-Lintfort etwa hatten nach einem Jahr über 70 Prozent wieder eine feste Stelle.

Was haben die Unternehmen davon? Die Betriebe haben beim Personalabbau weniger rechtliche Komplikationen, wenn die Arbeitnehmer freiwillig kündigen. Das geschieht allerdings nicht ohne Gegenleistung: Die Betriebe übernehmen einen großen Teil der Kosten des Transfers. Insgesamt machen die Transferangebote den Personalabbau konfliktärmer und stabilisieren dadurch die Betriebe, beobachten Mühge und Knuth. Dieser Effekt könne sich sogar auf ganze Regionen ausbreiten: "In Ostdeutschland nach der Wende war Beschäftigtentransfer ein wesentlicher Faktor bei der friedlichen Bewältigung des durch die Wirtschafts- und Währungsunion ausgelösten Strukturbruchs."

Welche Schwächen gibt es beim Transferangebot? Es gibt keinen nach Kriterien des Erfolgswettbewerbs strukturierten Markt, berichten die Wissenschaftler.  Eine Erfolgskontrolle sei schwierig, denn es fehle an ausreichenden Daten über den Verbleib der Teilnehmer, die eine systematische Evaluation erlauben. Hinzu kommt, dass die verschiedenen Transferprojekte finanziell ganz unterschiedlich ausgestattet sind. Zum einen ist es Verhandlungssache, wie viel Geld der bisherige Arbeitgeber zur Verfügung stellt, zum anderen ist die Ausstattung auch von der Vergabe von EU-Fördermitteln abhängig, etwa aus dem Europäischen Sozialfonds oder dem Europäischen Fonds für die Anpassung an die Globalisierung. Ob die aber gewährt werden, ist kaum kalkulierbar. "Der Transfermarkt bietet immer noch zu wenig Transparenz über die Leistungsfähigkeit der Anbieter", fassen Knuth und Mühge zusammen.

Bekommen alle Betroffenen gleichermaßen Hilfe? Die Transferangebote werden in der Regel im Sozialplan vereinbart - und um einen Sozialplan auszuhandeln, braucht es einen Betriebsrat. Das ist der Grund, warum die Belegschaften kleiner Betriebe, die seltener einen Betriebsrat haben, bei Personalabbau kaum von Qualifizierung und Vermittlung durch Transfergesellschaften profitieren. Eine "sozialplanähnliche Vereinbarung" ist zwar denkbar, aber eher die Ausnahme, sagen Knuth und Mühge. Nur in Glücksfällen verschaffe betriebsratslosen Firmen ein versierter Insolvenzverwalter Zugang zu Beschäftigtentransfers.

Unter welchem Gegensatz leiden die Transferangebote? Der Beschäftigtentransfer hat sich in Deutschland aus der betrieblichen Praxis heraus entwickelt, mittlerweile besteht er aber aus der Kombination von betrieblichem Sozialplan und dem Kurzarbeitergeld. Diese beiden Elemente haben jedoch unterschiedliche Ziele, setzen gegensätzliche Anreize und blockieren sich manchmal, kritisieren Knuth und Mühge. So spielt bei der Gestaltung des Sozialplans das Interesse der Beschäftigten an einer möglichst hohen Abfindung eine große Rolle - wem eine Kündigung bevor steht, der hat zunächst wenig Hoffnung auf eine neue Stelle. Das kann jedoch in der Praxis zu Regelungen führen, die einer Neubeschäftigung im Weg stehen. Manchmal erhalten nur diejenigen die maximale Abfindung, die bis zum Schluss bei der Transfergesellschaft bleiben. Das kann dazu motivieren, möglichst keine neue Stelle anzunehmen, was im Gegensatz zur Intention des Transfer-KuG steht, das eine rasche berufliche Neuorientierung unterstützt.

Was schlagen die Experten vor? Die Wissenschafter empfehlen, die Arbeit von Transfergesellschaften nicht mehr nur in Sozialplänen zu vereinbaren. Sie regen eine überbetriebliche Lösung an, wie es sie etwa in Schweden gibt. Dort wird der Beschäftigtentransfer in Tarifverträgen geregelt. Das bietet mehrere Vorteile, so Knuth und Mühge: Die Ausstattung der Transferangebote ist verlässlicher und nicht von dem in einer Notlage ausgehandelten Sozialplan abhängig. Und die Angebote kommen den Belegschaften kleiner Betriebe zugute.


Erfolgreiche Modelle in Europa

Viele europäische Länder haben ein eigenes arbeitmarktpolitisches Instrument, um Opfern von Personalabbau zu helfen. Vor allem in Schweden und der belgischen Wallonie liefern diese Instrumente auch gute arbeitsmarktpolitische Ergebnisse. Das zeige, so Knuth und Mühge: "Der Beschäftigtentransfer ist unter den richtigen Rahmenbedingungen sehr gut in der Lage, seiner arbeitsmarktpolitischen Brückenfunktion gerecht zu werden."

In der Wallonie hat die Arbeitsverwaltung nach dem Niedergang von Kohle, Stahl und  Textil eigene Zentren für den Beschäftigtentransfer gegründet. Er hängt nun nicht mehr von der Finanzstärke des abgebenden Betriebs und vom Verhandlungsgeschick des Betriebsrates ab. Und es gibt verlässliche Statistiken: Etwa 60 Prozent der Teilnehmer sind nach einem Jahr wieder in Arbeit, 75 Prozent nach zwei Jahren.

In Schweden hat jeder Erwerbstätige im Falle einer Entlassung Anspruch auf eine intensive und umfassende Unterstützung bei der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz - das ist per Tarifvertrag geregelt, und aufgrund der hohen Tarifbindung werden die meisten Beschäftigten des Landes davon erfasst. Die Arbeitgeber zahlen 0,3 Prozent der tariflichen Lohnkosten als Beitrag zu einer der elf Arbeitsplatz-Sicherungsstiftungen. Diese Stiftungen arbeiten im Unterschied zu den deutschen  Transfergesellschaften kontinuierlich und mit vielen Festangestellten. Sie sind vergleichsweise gut ausgestattet und können sich darum individuell um die Entlassenen kümmern. Die Stiftungen bieten laut IAQ Existenzgründern Räume an; Beratung und Weiterbildung spielen eine große Rolle, Zwang hingegen nicht. Eine über drei Jahre laufende Entgeltsicherung erleichtert zudem die Aufnahme geringer dotierter Jobs. Die tarifliche Arbeitsförderung gilt im Vergleich zur staatlichen als Premiumsystem. Das erklärt Knuth und Mühge zufolge auch, warum in Schweden die Schließung selbst von so großen Unternehmen wie Saab vergleichsweise wenig Aufsehen erregen.

  • Grundlage des Beschäftigtentransfers ist der so genannte dreiseitige Vertrag – vereinbart zwischen Beschäftigtem, Arbeitgeber und Transfergesellschaft. Zur Grafik

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