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HBS Böckler Impuls

Arbeitsrecht: Streit um Streiks in Europa

Ausgabe 01/2010

Seit 2007 hat der Europäische Gerichtshof mit einigen Urteilen kollektive Arbeitnehmerrechte beschränkt - und damit seine Kompetenzen überschritten. Professorin Eva Kocher plädiert dafür, die Rechte der Beschäftigten wieder zu stärken.

Der EuGH hat in jüngster Zeit mehrfach kollektive Arbeitnehmerrechte beschnitten. Was bedeutet das für das Tarif- und Streikrecht in Deutschland?

Kocher: Das heißt, dass bei grenzüberschreitenden Arbeitskämpfen strengere Regeln gelten als in Deutschland. Von Bedeutung wäre dies bei geplanten Betriebsverlagerungen. Und: Die Kooperation von Gewerkschaften innerhalb Europas wird so nicht erleichtert.

Demnächst wird das Bundesverfassungsgericht sich indirekt mit einem Urteil aus Luxemburg befassen. Könnte Karlsruhe die Rechte der Arbeitnehmer stärken?

Kocher: Auch viele Gewerkschafter würden sich freuen, wenn das Bundesverfassungsgericht den EuGH im anstehenden Honeywell-Urteil ausbremsen würde. Doch bei Honeywell geht es um Antidiskriminierungsrecht, nicht um Streikrecht. Beim Thema Antidiskriminierung haben die euro- päischen Urteile den Beschäftigten bislang eher genützt. Ein Rüffel in dieser Frage würde für das Streikrecht letztlich nichts bringen.
Ich teile das Vertrauen auf das Bundesverfassungsgericht aus einem zweiten Grund nicht: Anlässlich des EU-Reformvertrags haben sich die Verfassungshüter erst kürzlich zu sozialen Fragen geäußert. Zwar sagt das Gericht zu Recht, Entscheidungen über die sozialstaatliche Gestaltung von Lebensverhältnissen seien sehr sensibel für die demokratische Selbstgestaltungs- und Steuerungsfähigkeit der Mitgliedstaaten. Eine Verlagerung von Kompetenzen auf die europäische Ebene ist hier also besonders problematisch. Das Gericht äußert sich jedoch nicht dazu, welche sozialen Themen den Mitgliedstaaten vorbehalten bleiben sollten - und es hat die Viking-Entscheidung sogar ausdrücklich gelobt.
Insgesamt gilt: Die nationale Ebene als solche ist nicht per se besser als die europäische. Die europäische Handlungsebene aufzugeben ist keine Option.

Viele Beobachter haben den Eindruck, dass infolge der EU-Osterweiterung Institutionen wie die Europäische Kommission oder der EuGH in vielen Fragen der freien Marktwirtschaft den Vorzug geben. Bleiben Arbeitnehmerrechte nun eher auf der Strecke?

Kocher: Ja, es gibt tatsächlich solche Veränderungen in der europäischen Politik. Das liegt jedoch nicht an unterschiedlichen Kulturen, sondern hat wirtschaftliche und politische Gründe. Wir haben es mit einer Verschärfung der transnationalen Entgeltkonkurrenz zu tun. Früher gab es das auch schon, denn die Löhne in Portugal waren und sind in wichtigen Bereichen niedriger als in Deutschland. Diese Unterschiede haben heute aber eine ganz andere Dimension. Durch die vielen neuen Mitgliedstaaten haben sich die Gewichte verschoben. Wenn sich nun der EuGH zu Arbeitskampfrechten äußert, dann lässt sich dies nicht als die Einzeltat einiger Richterinnen und Richter abtun.

Bisher galten Koalitions- und Streikrecht als Aufgabe der Mitgliedstaaten. Sind die EuGH-Urteile das letzte Wort?

Kocher: Tatsächlich sind die Urteile in den Arbeitskampfsachen gerade deshalb so problematisch, weil die europäische Gesetzgebung hier keine Kompetenz hat und nicht direkt gegensteuern kann. Auf politischer Ebene gibt es deshalb gar nicht so viele Möglichkeiten, die Rechte der Beschäftigten zu stärken - vor allem wäre dies die Aufnahme sozialer Schutzziele in den Vertrag. Juristisch interessant wird es aber, wenn es vor den Gerichten den nächsten transnationalen Arbeitskampf zu verhandeln gibt - sei es auf deutscher oder auf europäischer Ebene.

Angenommen, eine komplette Produktion soll in die Slowakei verlagert werden. Wäre ein Streik der deutschen Beschäftigten in den Augen des EuGH unverhältnismäßig?

Kocher: Ganz wichtig bleibt die Kooperation der Gewerkschaften in den betroffenen Ländern. Die sollten sich vom EuGH in solch einem Fall nicht aufhalten lassen. Das Viking-Urteil hat zwar Grundsatz-Charakter, ist aber noch nicht gefestigt. Der Protest gegen die Entscheidung war stark. Bei einem neuen Fall könnte die Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht mehr so eng ausfallen.  

 

Textbox:

Strittige EuGH-Urteile

In jüngster Zeit hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit Entscheidungen zu grenzüberschreitenden Arbeitskämpfen heftigen politischen Protest hervorgerufen.

Zum Beispiel im Fall "Viking": Geklagt hatte die finnische Reederei Viking gegen die finnische Seearbeitergewerkschaft FSU und die Internationale Transportarbeiter-Föderation ITF. Gegenstand waren Streiks der FSU gegen die Ausflaggung einer Fähre nach Estland. Außerdem hatte die ITF im Rahmen ihrer Billigflaggenpolitik ihren anderen Mitgliedsgewerkschaften untersagt, mit der Reederei zu verhandeln - auch den estnischen Seearbeitergewerkschaften. In seinem Urteil verlangte der EuGH von den zuständigen Gerichten, diese Mittel des Arbeitskampfes einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung zu unterziehen.

Einige Experten setzen nun auf das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), das EuGH-Urteile auf ihre Übereinstimmung mit den Grundrechten überprüfen könnte.

Der Fall "Mangold": Die Karlsruher Richter haben in Kürze über eine solche Verfassungsbeschwerde zu entscheiden - allerdings in ganz anderer Sache. Das Bundesarbeitsgericht hatte sich in einem Urteil zur Befristung von Arbeitsverträgen auf eine Entscheidung des EuGH bezogen. Dieser hatte die Befristung eines Arbeitsvertrags allein aufgrund des Alters des Arbeitnehmers als nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung eingestuft. Dagegen erhob der Arbeitgeber Honeywell Beschwerde vor dem BVerfG.

Eva Kocher ist Jura-Professorin an der Universität Frankfurt (Oder). Sie ist Expertin für deutsches und europäisches Arbeitsrecht. Ihre jüngste Veröffentlichung zum Thema: Das "Sozialthema" zwischen EuGH und Nationalstaat, in: Arbeit und Recht 10/2009.

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