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HBS Böckler Impuls

Hartz-Reformen: Staat zahlt weniger für Arbeitslose

Ausgabe 12/2006

Millionen neue Anspruchsberechtigte? Massenhafter Sozialmissbrauch? Kostenexplosion? Das WSI hat die verfügbaren Daten zu den Folgen der letzten Hartz-Reform zusammengestellt. Ergebnis: Bisherige Erfahrungen stützen die Befürchtungen nicht. Insgesamt hat der Staat gespart.

Die Kosten der Arbeitslosigkeit sind seit der Hartz-IV-Reform nicht gestiegen. Zwar lagen die Ausgaben für Langzeitarbeitslose und ihre Familien 2005 um 5,8 Milliarden Euro höher als im Vorjahr. Dem stehen jedoch andere Einsparungen gegenüber:

  • Für Arbeitslosengeld I und Insolvenzgeld hat die Bundesagentur für Arbeit im vergangenen Jahr 2,3 Milliarden Euro weniger ausgegeben als 2004.
  • 5,5 Milliarden Euro hat die Arbeitsagentur bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik für ALG-I-Bezieher eingespart.
    Von einer Kostenexplosion könne keine Rede sein, kommentiert das WSI. Die Forscher konstatieren vor allem "Einschnitte in der regulären Arbeitsförderung, zum Beispiel der Weiterbildung".

5,8 Milliarden Euro Mehrausgaben für die Grundsicherung Arbeitsloser gehen größtenteils nicht auf das Konto von Hartz IV: Auch ohne die Reform hätten die Kosten laut WSI 2005 um 4,9 Milliarden Euro höher gelegen als im Vorjahr.  2006 werde ein weiterer Anstieg erwartet - auf insgesamt 47,8 Milliarden. Das liegt an einer zunehmenden Zahl von Bedarfsgemeinschaften. Die Zuwächse haben drei Gründe:

  • Weniger verdeckte Armut: Heute beziehen viele Menschen ALG II bzw. Sozialgeld, die früher ihre Ansprüche auf Leistungen wie ergänzende Sozialhilfe nicht wahrgenommen haben. Allein die Quote der so genannten Aufstocker, die mit ALG-II-Leistungen die Lücke zwischen Arbeitseinkommen und Existenzminimum schließen, ist von 12 Prozent aller ALG-II-Bezieher im Jahr 2004 auf 18 Prozent 2005 gestiegen. Das sei die Folge einer "politisch gewollten und geförderten Ausweitung des Niedriglohnsektors", so das WSI.
  • Mehr Langzeitarbeitslose: Die Zahl der Erwerbslosen, die seit über einem Jahr ohne Job sind, steigt stetig an, von 1,3 Millionen Menschen im Jahr 2003 über 1,4 Millionen 2004 auf 1,5 Millionen 2005.
  • Weniger ALG-I-Bezieher: Weniger Erwerbslose bekommen - trotz steigender Arbeitslosenzahlen - Arbeitslosengeld I und fallen so auf die Grundsicherung zurück. Im ersten Quartal 2006 lag die Zahl der ALG-I-Empfänger um 190.000 Erwerbslose unter dem Wert des Vorjahreszeitraums. Mögliche Erklärungen: Die seit 2006 verkürzte Bezugsdauer und die Konzentration der Arbeitsagenturen auf einen Teil der ALG-I-Bezieher bei der Jobvermittlung.

Für einen relevanten Einfluss des Leistungsmissbrauchs auf die Kostensteigerungen bei ALG II und Sozialgeld gebe es keine Hinweise, stellt das WSI fest. Die Auswertung eines Datenabgleichs der Bundesagentur mit anderen Behörden von 2005 ergab bislang lediglich zu Unrecht ausgezahlte ALG-II-Leistungen von 27 Millionen Euro.

  • Mehr Langzeitarbeitslose, weniger verdeckt Arme, weniger Bezieher des Arbeitslosengeld I: Das hat sich von 2004 bis 2005 geändert. Zur Grafik
  • Mit dem beginn von Hartz IV sparte die Bundeagentur für Arbeit viel Geld für aktive Arbeitsmarktpolitik ein. Zur Grafik

Judith Aust, Silke Bothfeld u.a.: Missbrauch und Kostenexplosion bei Hartz IV?
WSI-Thesenpapier, Juni 2006

Analyse des WSI zu Hartz IV: Debatte um angebliche Kostenexplosion verstellt den Blick auf tatsächliche Probleme der Arbeitsmarktreform (Pressemitteilung vom 23.06.2006)

weitere Beiträge zum Thema:

Arbeitslosengeld II: Arbeit bringt mehr als Hartz IV
in: Böckler Impuls 11/2006

Hartz IV: Trotz Vollzeitjob zu wenig Geld
in: Böckler Impuls 10/2006

Grundsicherung: Zum Leben zu wenig
in: Böckler Impuls 09/2006

Hartz IV: Verteilung von unten nach ganz unten
in: Böckler Impuls 04/2006

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