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HBS Böckler Impuls

Finanzpolitik: Richtungswechsel an der Zeit

Ausgabe 15/2006

Seit Jahren versucht der Fiskus, den Staatshaushalt zu konsolidieren - ohne nachhaltigen Erfolg. Haupthindernis ist das bislang schwache Wirtschaftswachstum. Damit die Konjunktur jetzt nicht wieder abgewürgt wird, ist eine andere Finanzpolitik nötig, argumentiert Dieter Vesper.

Die gegenwärtige Situation der Staatshaushalte ist alarmierend, so der Wirtschaftswissenschaftler vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Sie zeichnet sich aus durch:

  • eine extrem niedrige Steuerquote von 20 Prozent des BIP,
  • eine extrem niedrige Investitionsquote des Staates von 1,3 Prozent (im europäischen Durchschnitt sind es 2,5 Prozent),
  • extrem niedrige Ausgaben für Bildung und Wissenschaft,
  • Umverteilung zugunsten der oberen Einkommen,
  • hohe Defizite trotz gesunkener Ausgaben.

Den Weg in die Misere hat der Ökonom eingehend untersucht. Seine Ergebnisse:

Die Jahre nach 2000 waren geprägt von einer hartnäckigen wirtschaftlichen Stagnation mit hoher Arbeitslosigkeit. Das führte zu einem geringeren Steueraufkommen, gepaart mit höheren Sozialausgaben. Massive Steuerentlastungen ließen die Finanzierungsdefizite in den Etats von Bund, Ländern und Gemeinden noch zusätzlich in die Höhe schnellen. Für das Jahr 2005 allein nimmt Vesper wegen der Steuersenkungen aus der Zeit der rot-grünen Koalition Steuerausfälle in Höhe von 45 Milliarden Euro an.

2001 und 2002 entlastete der Fiskus die Bundesbürger erheblich - hauptsächlich über die Reform der Einkommensteuer. Den privaten Konsum stimulierte dies jedoch kaum. Vespers Erklärung: "Offensichtlich ist ein gewichtiger Teil der Entlastungen nicht konsumiert, sondern gespart worden." Das sei kein Wunder, denn von einer Senkung der Einkommensteuersätze profitierten Bezieher höherer Einkommen besonders stark. Diese haben sich ihre Konsumwünsche ohnehin erfüllen können und erhöhen mit den zusätzlichen Steuergeschenken eher ihre Sparquote.

Auch die Unternehmensteuerreform 2001 hat die Wirtschaft nicht belebt. Eigentlich sollten niedrigere Steuersätze Deutschland für ausländische Investoren attraktiver machen. Die Ausrüstungsinvestitionen der Unternehmen schrumpften jedoch im Zeitraum 2001/2002 real um elf Prozent.

Erschwerend kam hinzu: Die fehlenden Steuereinnahmen ließen sich nur wenig über zusätzliche Kredite ausgleichen, denn nach den Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes durfte sich Deutschland kaum weiter verschulden. Die Konsequenz: Alle politischen Ebenen mussten sparen. Besonders die öffentlichen Investitionen sanken dramatisch. Vor allem 2004 schränkte die öffentliche Hand ihre Ausgaben massiv ein; nach Vespers Berechnungen entzog sie der Wirtschaft so 31 Milliarden Euro. Das entspricht reichlich einem Prozent des nominalen Bruttoinlandsprodukts (BIP), damit wurden die Effekte der Steuerentlastungen überkompensiert.

Für das Jahr 2006 prognostiziert Vesper zwar zusätzliche Einnahmen für die öffentlichen Kassen: Die Unternehmen machen wieder Gewinne und zahlen kräftig Steuern, die Bürger ziehen große Anschaffungen vor, weil die höhere Mehrwertsteuer droht. Doch die Staatsausgaben sind insgesamt immer noch so niedrig, dass sie das Wachstum bremsen; der Forscher beziffert diesen Effekt auf 13 Milliarden Euro.

2007 steigt die Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung sollen sinken. Insgesamt will die Bundesregierung ihren Sparkurs fortsetzen. Die Finanzpolitik würde so insgesamt einen Nachfrageverlust von 25 bis 30 Milliarden Euro verursachen, befürchtet Vesper. Die Haushaltskonsolidierung könnte nur mit einer erneuten konjunkturellen Abkühlung erkauft werden.

Doch es geht auch anders - sogar, wenn die Mehrwertsteuererhöhung kommt wie geplant: Die Mehreinnahmen sollten in eine Investitionsoffensive fließen, fordert der Ökonom. Dazu gehörten eine modernere Infrastruktur, bessere Bildungseinrichtungen und mehr Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Insgesamt müssten dafür jährlich mindestens 25 Milliarden Euro mobilisiert werden.

Eine Senkung der Unternehmensteuern sei angesichts der Infrastrukturdefizite nicht sinnvoll. "Auch die Unternehmen müssen, soll der Äquivalenzgedanke weiterhin als Grundprinzip beibehalten werden, ihren Finanzierungsbeitrag leisten", so Vesper. Bliebe eine aufkommensneutrale Reform: Würden die Steuerbemessungsgrundlagen verbreitert (zum Beispiel über die Einbeziehung von Mieten und Lizenzgebühren), entstehe Raum für eine Senkung der Steuersätze.

  • Sparpolitik macht sich beim Wirtschaftswachstum bemerkbar. Zur Grafik

Dieter Vesper: Was läuft falsch in der Finanzpolitik?, in: WSI-Mitteilungen 9/2006.

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