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HBS Böckler Impuls

Gesundheitsreform: Private mit ins Boot

Ausgabe 12/2006

Ein Gesundheitsfonds als zentrale Inkassostelle für die Krankenversicherung allein wird die Finanzprobleme im deutschen Gesundheitssystem nicht lösen. Als Werkzeug für einen fairen Wettbewerb zwischen Gesetzlicher (GKV) und Privater Krankenversicherung (PKV) könnte er aber nützlich sein, analysieren Gesundheitsexperten von IMK und WSI.

Bei der konkreten Ausgestaltung eines möglichen Gesundheitsfonds, wie ihn zuerst der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium vorgeschlagen hatte, sind noch viele Punkte offen. Zu früh also für eine abschließende Bewertung aller Risiken und Nebenwirkungen. Bei einem zentralen Defizit des deutschen Systems könnte die Inkassostelle aber eine Lösung erleichtern, schreiben die Gesundheitsfachleute Simone Leiber und Rudolf Zwiener aus WSI und IMK in einem Diskussionspapier: Der Fonds biete grundsätzlich einen "optimalen Anknüpfungspunkt", die PKV in das einkommensabhängige Beitrags- und Umverteilungssystem mit einzubeziehen.

Somit könnte eine Inkassostelle dabei helfen, GKV und PKV in ein gemeinsames System zu integrieren, sprich: endlich Wettbewerb unter gleichen Voraussetzungen zu ermöglichen. Denn bislang haben die PKV und ihre oft gut verdienenden Mitglieder große Vorteile - sie beteiligen sich weder am Einkommensausgleich für Personen mit geringem Einkommen, noch an den Ausgaben für versicherungsfremde Leistungen, noch am Risikostrukturausgleich für Kassen mit vielen Schwer- und chronisch Kranken. Das zu ändern wäre eine Voraussetzung, um das Gesundheitssystem "gerechter und nachhaltig" zu finanzieren, so die Wissenschaftler.

Technisch würde das so funktionieren: Alle Versicherten und deren Arbeitgeber zahlen einkommensabhängige Beiträge an die Inkassostelle. Die stellt dann jedem Mitglied einen Beitragsscheck aus, mit dem es sich bei einer Kasse seiner Wahl versichern kann. Dieser Beitragsscheck muss nicht zwingend einheitlich sein, eine Orientierung am Lebensalter der Versicherten erleichtert den weiteren Risikostrukturausgleich. Dabei können die durchschnittlichen Ausgaben der GKV je Altersgruppe als Basis dienen. Mitglieder einer Privatversicherung erhalten einen Scheck in gleicher Höhe wie GKV-Versicherte.

Der Risikostrukturausgleich zwischen den verschiedenen Kassen könnte ebenfalls über die Inkassostelle laufen - und einfacher werden. Weiterer Vorteil: Für den Fall, dass künftig mehr Steuermittel ins Gesundheitssystem fließen, wie es IMK und WSI prinzipiell befürworten, wären schon die nötigen organisatorischen Voraussetzungen geschaffen: "Dazu muss der Staat nur seine finanziellen Leistungen an die Inkassostelle aufstocken. Im Gegenzug können die Beitragssätze gesenkt werden."

Das Potenzial wäre also da, um einen einheitlichen Krankenversicherungsmarkt zu schaffen - es muss aber systematisch genutzt werden. Versuche, lediglich an den "Symptomen der heutigen Zweiteilung" herumzukurieren, brächten wenig, warnt das Institut für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES). Zu solchen halbherzigen Ansätzen zählen die Wissenschaftler aus Berlin etwa isolierte Abschlagszahlungen der Privatversicherten oder der PKV an die gesetzlichen Kassen. Die würden die eigentlichen Probleme nicht lösen. Stattdessen seien permanente Konflikte zu erwarten - unter anderem deshalb, weil bislang kaum belastbare Daten erhoben wurden, aus denen sich eine angemessene Zahlungssumme berechnen ließe.

Im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung hat IGES in einer Studie bereits drei Modelle entwickelt, mit denen sich ein integriertes Krankenversicherungssystem relativ schnell verwirklichen ließe. Sie haben gemein, dass die Privatversicherten teilweise in einen solidarischen Risikoausgleich einbezogen werden - für alle Leistungen, die dem Tarif der GKV entsprechen. Dabei bleiben bestehende materielle Ansprüche der PKV und ihrer Mitglieder, also die Alterungsrückstellungen in Milliardenhöhe, gewahrt.

"Diese Konzepte zeigen, dass eine Integration möglich ist", sagt WSI-Expertin Leiber. "Kommt der Gesundheitsfonds, kann und muss die PKV einbezogen werden."

  • Die gesetzlichen Kassen verlieren Mitglieder und Einnahmen, für privat Versicherte steigern die Kosten aber überproportional. Zur Grafik

Simone Leiber, Rudolf Zwiener: Zwischen Bürgerversicherung und Kopfpauschale: Vorschläge für eine tragfähige Kompromisslösung
WSI-Diskussionspapier Nr. 146, Juni 2006

IGES: Stabilisierung der Finanzierungsbasis und umfassender Wettbewerb in einem integrierten Krankenversicherungssystem, Abschlussbericht
erscheint demnächst als Buch in der edition sigma, Berlin
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