zurück
HBS Böckler Impuls

Energiewirtschaft: Mehr Gewinne, weniger Mitbestimmung

Ausgabe 10/2010

Nach der Liberalisierung der Stromwirtschaft sind die Gewinne der Branche stark gestiegen. Doch Beschäftigte von Stromkonzernen und Stadtwerken mussten sich Jahr für Jahr mit einem kleineren Stück des Kuchens begnügen - und mit weniger Mitsprache.

Seit der Öffnung der Strommärkte für den Wettbewerb im Jahr 1998 sind bei Versorgungsunternehmen über 47.000 Arbeitsplätze infolge von Restrukturierungen und Rationalisierungen weggefallen. Mehr als 30.000 Stellen waren bereits zwischen 1992 und 1997 gestrichen worden - im Zuge des Umbaus der Elektrizitätswirtschaft in den neuen Bundesländern und in Erwartung der kommenden Marktöffnung. Dies zeigt ein umfangreiches empirisches Forschungsprojekt zur Liberalisierung der Stromwirtschaft. Die Professoren Heinz-Josef Bontrup und Ralf-Michael Marquardt von der Fachhochschule Gelsenkirchen haben darüber hinaus untersucht, wie sich die Verteilungsposition und Arbeitsbedingungen der verbliebenen Beschäftigten verändert haben:

Arbeitnehmer und Stromkunden haben nur unterproportional von Effizienzsteigerungen profitiert. Zwar sind die Personalkosten zwischen 1998 und 2007 nicht im gleichen Maße gesunken wie die Beschäftigtenzahlen, das heißt, Löhne und Gehälter der Arbeitnehmer legten im betrachteten Zeitraum etwas zu. Pro Arbeitsstunde blieb der Anstieg der Personalkosten mit gut 21 Prozent allerdings deutlich hinter dem Zuwachs bei der Nettowertschöpfung, dem Umsatz abzüglich der Kosten für Rohstoffe und andere eingekaufte Vorleistungen sowie Anlagenverschleiß, zurück. Die Nettowertschöpfung pro Person stieg um 86 Prozent. Dieser "immense Produktivitätsschub" hat den Forschern zufolge zu einer starken Umverteilung zugunsten der Bezieher von Kapitaleinkommen geführt. Die Gewinne stiegen um 200 Prozent. Hingegen hätten die Stromkunden, ebenso wie die Arbeitnehmer, deutlich weniger von den Effizienzsteigerungen gehabt; denn der trotz Liberalisierung fehlende Wettbewerb habe eine Weitergabe in Form niedrigerer Preise verhindert, schreiben Bontrup und Marquardt.

Die Arbeitsbedingungen haben unter der Marktliberalisierung gelitten. Dies ergibt eine  Umfrage der Forscher unter Betriebsräten von über 50 Versorgungsunternehmen und Stadtwerken. 65 Prozent der Befragten gaben an, dass sich die Bedingungen verschlechtert oder stark verschlechtert haben. Lediglich 8 Prozent sahen eine Verbesserung infolge der Liberalisierung.

Weniger Mitbestimmung. 47 Prozent der Betriebsräte erklärten, dass sich die Mitbestimmungskultur seit 1998 verändert habe. In Interviews mit Arbeitnehmervertretern und Management wurde "eine eindeutige Verschlechterung bei der Mitbestimmung artikuliert", schreiben die Wissenschaftler. Das zuvor gute Verhältnis zwischen Geschäftsführung und Mitbestimmungsorganen sei zunehmend einer "Misstrauenskultur" gewichen. Das ist nach Bontrup und Marquardt zum Teil auf organisatorische Veränderungen zurückzuführen: Im Zuge von Konzern-Umbauten seien viele Betriebe aus dem Geltungsbereich des Mitbestimmungsgesetzes von 1976 herausgefallen, so dass für sie anstelle der paritätischen Mitbestimmung jetzt nur noch das Drittelbeteiligungsgesetz gilt.

Doch auch in weiterhin paritätisch besetzten Aufsichtsräten der Elektrizitätswirtschaft ist der Ton rauer geworden. Während es in den Jahren vor 1998 üblich war, im Aufsichtsrat so lange nach Kompromissen zu suchen, bis alle zustimmen konnten, macht der Vorsitzende heute auch von seiner Doppelstimme Gebrauch, um die Arbeitnehmervertreter zu überstimmen, haben die Forscher beobachtet. Auf der Betriebsebene haben sich die Konflikte ebenfalls verschärft: Im Gegensatz zu früheren Gepflogenheiten eskalieren Auseinandersetzungen zwischen Betriebsrat und Management heute gelegentlich so weit, dass Einigungsstellen oder Arbeitsgerichte angerufen werden müssen, um zu schlichten.

Die Forscher resümieren: "Die Verhandlungsmacht hat sich eindeutig zulasten der Mitbestimmungsträger verschoben." Vom Ideal einer demokratisch-partizipativen Unternehmenskultur seien die Unternehmen der Stromversorgung weit entfernt.

  • Die Produktivitätszuwächse bei den Stromversorgern fanden nur zum Teil ihren Niederschlag in Lohnerhöhungen. Zur Grafik

Heinz-Josef Bontrup und Ralf-Michael Marquardt: Beschäftigungsbedingungen und Unternehmenskultur in der Elektrizitätswirtschaft, in: WSI-Mitteilungen 6/2010

Impuls-Beitrag als PDF

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen