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HBS Böckler Impuls

Globalisierung: IT-Produktion: Die Auftraggeber werden nicht mehr gebraucht

Ausgabe 03/2006

Die Bauteile von PC, Laptop und Mobiltelefon stammen schon lange aus Fabriken in Billiglohnländern. Westliche Konzerne fügen die Komponenten zusammen und pflegen ihre Marke. Jetzt aber ändert sich das Produktionsmodell der IT-Branche massiv, wie eine Studie zeigt. Die Zulieferer aus China mausern sich zu Konkurrenten.

Der Markt für PCs ist ein besonderer. Nicht die Hersteller der Endprodukte beherrschen ihn, sondern die Lieferanten der Komponenten. Experten nennen das Produktionsmodell darum "Wintelismus" - nach dem Chiphersteller Intel und dem Microsoft-Produkt Windows. Der Wintelismus hat in der IT-Branche den traditionellen Fordismus, bei dem Großunternehmen jeden Handgriff selbst leisten, seit mehr als einem Jahrzehnt abgelöst. Jetzt aber gerät er selbst unter Druck: Der Produktionsforscher Boy Lüthje beobachtet die Rückkehr des integrierten Unternehmens als Erfolgsmodell - und zwar unter ehemaligen Zulieferern in Ostasien.

Seit  Anfang der 1990er-Jahre entledigen sich Markenunternehmen wie IBM ihrer Fabriken. Zunächst delegierten sie die Produktion an einheimische Lieferanten. Die Strategie der PC-Hersteller verbreitete sich auch bei Netzwerkrechnern, Spielkonsolen und Mobiltelefonen. Die Entkoppelung von Innovation und Fertigung war eine Ursache des New-Economy-Booms, analysiert Lüthje. Nicht zuletzt, weil die Aufspaltung eine "massive Verschiebung der Produktion in Niedrigkostenstandorte" wie Mexiko, Malaysia und Osteuropa in Gang setzte. Nach dem Einbruch der New Economy änderten viele Markenunternehmen ihre Produktionspolitik: HP und Siemens kümmerten sich wieder selbst um die Beschaffung der Komponenten, Cisco trennte sich von den meisten Vorproduzenten. Parallel dazu "stieg in einer zweiten, vom krisenbedingten Preisdruck in der Branche angetriebenen Runde der Verlagerung China zum wichtigsten Low- cost-Standort auf." In chinesischen Fabriken entstehen heute 30 Prozent der weltweiten Auftragsfertigung. Die neue Arbeitsteilung reicht von der reinen Auftragsfertigung (Original Equipment Manufacturing) bis zur völligen Trennung von Marke und Produktion (Original Design Manufacturing).

Doch der Standort China ist nicht nur billig. Gerade taiwanesische Unternehmen mit Produktionshallen auf dem Festland haben sich gemausert. Einige entwickelten sich zu Grossunternehmen und übernehmen auch immer mehr Teile der Produktion. Sie leisten komplexe Ingenieursarbeiten und erstellen sogar Prototypen. Folge: An den Werkbänken sammelt sich technologisches Wissen. Die Auftragsfertiger erwerben Kenntnisse, "die sie tendenziell zum Aufbau eigener Markenprodukte befähigen", erklärt Lüthje. Die Auftraggeber haben sich in ihren Geschäftspartnern Konkurrenz herangezogen. Viele Zulieferer bieten auf dem asiatischen Markt bereits selbst Handys und Laptops als Eigenmarken an. Der taiwanesische Elektronikproduzent BenQ kaufte gleich die ganze Handysparte von Siemens.

Die asiatischen Firmen agieren völlig anders als die westlichen Markenunternehmen. Lüthje beobachtet "eine massive, aber weitgehend im Verborgenen vorgehende Reintegration der Produktion bei den Auftragsfertigern." Foxconn etwa, ein Unternehmen mit Sitz in Taiwan und Werken in China, bündelt die gesamte Fertigung unter eigenem Dach. Nicht mal die nicht-elektronischen Bauteile sollen zugekauft werden. Mit Erfolg: Der Jahresumsatz von Foxconn belief sich 2003 auf 10,9 Milliarden US-Dollar. Foxconn unterhält in Südchina die weltgrößte Fabrik für Elektronikgüter, in der 130.000 Menschen arbeiten. Die Produktion in China zeichnet sich durch massiven Taylorismus aus, schildert Lüthje: große Volumen, standardisierte Prozesse - und strenge Kontrolle am Arbeitsplatz. Überstunden und eine Wochenarbeitszeit von 50 bis 60 Stunden sind die Regel. Es gibt zwar Arbeitsgesetze, die sich an westlichen Standards orientieren, sie werden aber nur selektiv überwacht und durchgesetzt.

  • Der Eigenanteil der Markenunternehmen wird kleiner, die Leistungen der beauftragten Fabriken in Übersee umfangreicher: So erwächst den etablierten Firmen eine neue Konkurrenz. Zur Grafik

Boy Lüthje: Electronics Contract Manufacturing: Globale Produktion und neue Arbeitsregimes in China, in: WSI-Mitteilungen 1/2006.

Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt des Instituts für Sozialforschung an der Universität Frankfurt/Main. Thema: "Neue Produktionsmodelle und internationale Arbeitsteilung in der Elektronikindustrie - Global-regionale Kontraktfertigung im pazifischen Raum und Mittel- und Osteuropa". Mehr Infos zum Projekt

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