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HBS Böckler Impuls

Arbeitszeitkonten: Insolvenzsicherung: Arbeitszeit in guten Händen?

Ausgabe 10/2005

Flexible Beschäftigungsmodelle lassen inzwischen immense Guthaben auf Arbeitszeitkonten entstehen. Erstmals zeigt eine Untersuchung Verbreitung und Praxis von Insolvenzschutz-Modellen: Nur ein Viertel der Betriebe hat die Konten abgesichert.

Zeit ist Geld. Und beides gibt es beim Modell der Arbeitszeitkonten auf Kredit. Die Beschäftigten erhalten für die geleistete Arbeit nicht unmittelbar ihr Gehalt, sondern stunden dies dem Arbeitgeber auf speziellen Konten. Der angesparte Kontostand wird dann später in Freizeit ausgeglichen - zum Beispiel, um einen Ausstieg in ein Sabbatical zu ermöglichen oder eine gewünschte Altersteilzeit näher rücken zu lassen.

Ging es in der Geburtsstunde des Zeitsparmodells noch darum, mit Gleitzeitkonten die Arbeitnehmer vom Pünktlichkeitszwang zu befreien und dadurch den täglichen Verkehrsstau in die Büros zu entzerren, dreht sich heute alles um variable Arbeitszeiten. Ob Kurzzeit-, Langzeit- oder Altersteilzeitkonto: Für den Unternehmer entsteht mit diesen Arbeitszeitmodellen Spielraum, um saisonal oder konjunkturell schwankende Auftragslagen auszugleichen oder Leerzeiten zu reduzieren.

In Zeiten, in denen flexible Beschäftigungsmodelle nicht nur eingefordert, sondern auch in vielen Betrieben zum praktischen Alltag geworden sind, sammeln sich immense Guthaben auf Arbeitszeitkonten an. Die aktuelle Betriebs- und Personalrätebefragung 2004/2005 des WSI ergab, dass mehr als drei Viertel der befragten Unternehmen eine Arbeitszeitkontenregelung eingeführt haben. Zeitguthaben von einem Monatslohn bis zu mehreren Jahresgehältern können sich ansammeln, Ausgleichszeiträume sich über das gesamte Erwerbsleben erstrecken.

Umso wichtiger wird es, diesen Kredit der Beschäftigten an den Arbeitgeber auch gegen den Fall der Fälle abzusichern. Erste gesetzliche Regelungen für langfristiger angelegte Zeitguthaben gibt es seit 1998; im Jahr 2004 wurden sie  weiter präzisiert. Das reicht jedoch nicht aus: Zwar können bei Altersteilzeitregelungen Geschäftsführer und Personalleiter im Insolvenzfall auch persönlich haften, wenn sie nicht für eine ausreichende Absicherung vorgesorgt haben. Trotzdem werden immer noch viele Arbeitnehmer bei der Insolvenz ihres Unternehmens um ihre wertvolle Zeit gebracht.

Spektakuläre Firmenpleiten wie Babcock Borsig oder Fairchild Dornier, bei denen auch eine stattliche Anzahl an Zeitguthaben auf der Strecke blieb, stellen offenbar nur die Spitze des Eisbergs dar. Allein bei der Insolvenz der Babcock Borsig AG haben mehr als 150 Beschäftigte Zeitguthaben im Wert von teilweise mehr als 100.000 Euro verloren.

Unter die gesetzlichen Regelungen fallen - neben der Altersteilzeit im Blockmodell - solche Konten, die mindestens zweieinviertel Jahre Laufzeit haben und ein Zeitguthaben im Wert von rund 7.200 Euro überschreiten. Allerdings werden dem Arbeitgeber außer einer Informationspflicht keine weiteren Vorgaben für den Insolvenzschutz gemacht. Ob das Unternehmen die Wertkonten über Bürgschafts- oder Fondsmodelle sicherstellt oder über eine Konzernklausel die Verantwortung für die Zeitguthaben an die Muttergesellschaft abschiebt, bleibt ihm selbst überlassen. Und Kurzzeitkonten müssen überhaupt nicht vor einer Unternehmenspleite geschützt werden.

Banken und Versicherungen haben für die Unternehmen inzwischen eine Vielzahl von Sicherungslösungen auf den Markt gebracht, auch die Arbeitgeberverbände und Sozialpartner bieten Modelle für den Insolvenzschutz an. Anlagemodelle, gefolgt von Bankbürgschaften und Kautionsversicherungen, führen die Rangliste der Pleitensicherung an. Allerdings ist der Anteil der gewählten Modelle, die sich als nicht insolvenzfest erwiesen haben, bedenklich hoch: So nutzt beispielsweise ein Viertel der Betriebe Konzernklauseln, um Altersteilzeitguthaben abzusichern; mehr als elf Prozent der Unternehmen setzen ein Sperrkonto oder eine Konzernklausel sogar als alleiniges Sicherungsmittel ein und verfügen damit über keinen garantierten Insolvenzschutz.

Insgesamt zeigt die WSI-Befragung: Die derzeitige Lage bei der Insolvenzsicherung von Arbeitszeitkonten ist für die Beschäftigten alles andere als befriedigend. Trotz der verschärften Regelungen hängt es offenbar immer noch vom Willen und der Bereitschaft der betrieblichen Akteure ab, ob und wie Zeitkonten gesichert werden. Und obwohl sie von Gesetzes wegen dazu verpflichtet sind, haben 45 Prozent der Unternehmen mit Altersteilzeitguthaben diese nicht gegen Zahlungsunfähigkeit geschützt. Bei Langzeit- und Kurzzeitkonten liegt der Anteil der Betriebe ohne Pleitenschutz mit jeweils knapp zwei Drittel sogar noch höher. Und das, obwohl der Trend eindeutig zu Langzeitkonten geht.

Ob und wie Zeitkonten gesichert werden, hängt offensichtlich auch von der Betriebsgröße ab. Dies wird insbesondere bei Altersteilzeitmodellen deutlich: Bei den befragten Kleinunternehmen haben bislang nur 37 Prozent derartige Konten gegen Insolvenz abgesichert. Bei den Großunternehmen ist dies bereits bei knapp 64 Prozent der Fall.

Betriebsgröße ist ausschlaggebender Faktor

Dieses Muster schlägt sich entsprechend im Insolvenzschutz der unterschiedlichen Branchen nieder. Im Dienstleistungssektor sichern wesentlich weniger Unternehmen Altersteilzeitguthaben ab als im gewerblichen. So weisen die eher klein- und mittelbetrieblich geprägten "Sonstigen Dienstleistungen" eine besonders niedrige Quote der Insolvenzsicherung auf.

Vor allem bei kleineren Unternehmen scheint es also Hindernisse zu geben, sich auf einen Insolvenzschutz einzulassen. Die gesetzlichen Verschärfungen haben zwar bei der Absicherung von Altersteilzeitguthaben Wirkung gezeigt. Der Anteil von Unternehmen ohne Insolvenzsicherung ist aber nach wie vor hoch.

Damit die Last flexibler Arbeitszeitmodelle nicht allein auf den Schultern der Beschäftigten liegt, sollte der Weg, der mit dem Altersteilzeitgesetz eingeschlagen wurde, konsequent weiter beschritten werden, heißt es in der Analyse. Auch für Langzeit- und Jahresarbeitszeitkonten sind ähnliche Regelungen sinnvoll, möglicherweise auch überprüft durch die Sozialversicherungsträger - wenn gestundete Arbeitszeit für die Beschäftigten nicht zum faulen Kredit werden soll.

  • Flexible Beschäftigungsmodelle lassen inzwischen immense Guthaben auf Arbeitszeitkonten entstehen. Erstmals zeigt eine Untersuchung Verbreitung und Praxis von Insolvenzschutz-Modellen: Nur ein Viertel der Betriebe hat die Konten abgesichert. Zur Grafik
  • Flexible Beschäftigungsmodelle lassen inzwischen immense Guthaben auf Arbeitszeitkonten entstehen. Erstmals zeigt eine Untersuchung Verbreitung und Praxis von Insolvenzschutz-Modellen: Nur ein Viertel der Betriebe hat die Konten abgesichert. Zur Grafik

Marc Schietinger: Insolvenzsicherung von Arbeitszeitguthaben: Wer trägt das Risiko der Arbeitszeitflexibilisierung?; Analyse auf Grundlage der WSI-Betriebsräteumfrage 2004/05,
in: WSI-Mitteilungen 6/2005

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