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HBS Böckler Impuls

Gleichstellung: EU-Ost: Zurück zu alten Rollenmustern

Ausgabe 08/2009

In einigen Ländern Osteuropas haben Mütter heutzutage schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt als vor 1989. Alte Rollenmuster haben sich wieder durchgesetzt. Das kann auch die Anstrengungen der EU für mehr Gleichstellung erschweren.

Fünf Jahre nach ihrem Beitritt zur Europäischen Union haben sich die Staaten Mittel- und Osteuropas auf vielen Gebieten an die westlichen Mitgliedstaaten angenähert. In Sachen Gleichstellung schlagen einige Länder jedoch einen anderen Kurs als das westliche Europa ein, zeigen WSI-Forscherin Christina Klenner und Hana Hasková von der Tschechischen Akademie der Wissenschaften in Prag.

Während in den alten EU-Ländern die Müttererwerbstätigkeit steigt, hat sie in Mittel- und Osteuropa abgenommen: In der Slowakei, Tschechien und Ungarn sind heute deutlich weniger Mütter berufstätig als im EU-Durchschnitt. Exemplarisch haben Klenner und Hasková die Müttererwerbstätigkeit in Tschechien und in Ostdeutschland mit-einander verglichen. Ihr Befund: In der Tschechischen Republik waren 1993 noch 54 Prozent der Frauen mit Kindern im Alter von bis zu vier Jahren beschäftigt; 2004 waren es nur noch 25 Prozent. Damit sind dort weitaus weniger Frauen mit Kind im Vorschulalter berufstätig als in Ostdeutschland.

Dabei hatte sowohl in der Tschechoslowakei als auch in der DDR das Zweiverdienermodell Jahrzehnte früher als in vielen westeuropäischen Ländern das männliche Ernährermodell abgelöst. Ein großes Angebot an öffentlicher Kinderbetreuung ermöglichte auch Müttern die Erwerbstätigkeit. Auf den ersten Blick schien sich damit die Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern in beiden Ländern ähnlich wie in Skandinavien zu entwickeln.

Doch bereits ab Ende der 1960er-Jahre bildeten sich sehr unterschiedliche Kulturen von Fürsorge und Müttererwerbstätigkeit heraus. In der Tschechoslowakei wurden Mütter nach der Geburt eines Kindes für immer längere Zeiträume von der Berufstätigkeit freigestellt. In der DDR blieben bis zuletzt kurze Erwerbsunterbrechungen die Regel. Bis heute denken tschechische Frauen und Männer in Sachen geschlechtlicher Arbeitsteilung viel traditioneller als ostdeutsche. Letztere gehören im europäischen Vergleich zu den größten Verfechtern moderner egalitärer Geschlechterrollen, so die Wissenschaftlerinnen.

Nach der so genannten Samtenen Revolution Ende 1989 wurden in den 1990er-Jahren tschechische Mütter aus den Betrieben verdrängt: Die meisten von Genossenschaften und Betrieben geführten Kindereinrichtungen verschwanden. Im Gegenzug weitete die Regierung das Betreuungsgeld für Eltern auf vier Jahre aus, ohne allerdings das Rückkehrrecht an den Arbeitsplatz auf vier Jahre auszudehnen. In Ostdeutschland hingegen blieb die Infrastruktur der Kinderbetreuung weitgehend bedarfsdeckend erhalten, Kommunal- und Landespolitik hielten in den meisten östlichen Bundesländern an der DDR-Tradition kürzerer Babypausen fest.

Allerdings: "Die schnelle Rückkehr von Müttern ins Berufsleben ist nicht mit der Gleichstellung von Frauen gleichzusetzen", geben die Autorinnen zu bedenken. Kinderbetreuung in der Familie müsse für Frauen nicht zwangsläufig schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt bedeuten. Doch bislang sind es hauptsächlich Mütter, die wegen der Kindererziehung ihre Berufstätigkeit unterbrechen oder in Teilzeit arbeiten.

Daher gelte: Geschlechtergleichstellung am Arbeitsmarkt und in der Familie lässt sich durch eine Politik fördern, die es Müttern ermöglicht, aktiv am Arbeitsmarkt teilzunehmen, und Väter ermutigt, sich stärker in der Kinderbetreuung zu engagieren. Eine solche Politik könnte auf europäischer Ebene künftig weniger Chancen haben, wenn Politiker aus einigen osteuropäischen EU-Ländern wie Tschechien die Barcelona-Ziele für die Kinderbetreuung in Frage stellen und gegen Krippenbetreuung argumentieren, warnt WSI-Forscherin Klenner. "Sie sollten die Erfahrungen aus der DDR und Ostdeutschland oder auch aus Frankreich und Schweden studieren, die zeigen, dass unter guten Rahmenbedingungen Müttererwerbstätigkeit den Kindern nicht schadet."

  • Die Müttererwerbstätigkeit hat vielen Ländern Mittel- und Osteuropas abgenommen. Zur Grafik
  • In vielen Ländern Osteuropas liegt die Zahl der Betreuungsplätze für die Kleinsten inzwischen weit unter dem EU-Durchschnitt. Zur Grafik

Christina Klenner, Hana Hasková: Variationen des Zweiverdienermodells: Müttererwerbstätigkeit im tschechisch-deutschen Vergleich, in: Christina Klenner, Simone Leiber (Hrsg.): Wohlfahrtsstaaten und Geschlechterungleichheit in Mittel- und Osteuropa, VS Verlag, Wiesbaden 2009

Tagungsdokumentation "Wohlfahrtsstaaten in Mittelosteuropa: Sozialpolitik und Geschlechterverhältnisse im Transformationsprozess"

 

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