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HBS Böckler Impuls

Leiharbeit: Equal Pay bei unwirksamen Tarifverträgen

Ausgabe 08/2011

Die Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit ist nicht tariffähig, entschied das Bundesarbeitsgericht im Dezember 2010. Leiharbeitnehmer können nun entgangenen Lohn nachfordern.

Alle seit 2003 von der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) allein unterschriebenen Flächen- und Haustarifverträge sind unwirksam, zeigt die schriftliche Begründung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) aus dem Frühjahr 2011. Daraus folgt: Sämtliche Leiharbeitnehmer, die nach einem CGZP-Tarif bezahlt wurden, haben rückwirkend Anspruch auf "Equal Pay" - das Gehalt, das vergleichbaren Stammkräften beim Entleiher gezahlt wurde.

Fachleute diskutieren nun vehement darüber, was dies für die Beteiligten bedeutet - Leiharbeiter, Sozialversicherungsträger, Leiharbeitsfirmen und Entleihbetriebe. Eine Interpretation des BAG-Beschlusses präsentierte Peter Schüren, Professor für Arbeitsrecht an der Universität Münster, beim diesjährigen Hans-Böckler-Forum für Arbeits- und Sozialrecht.

1. Leiharbeitnehmer. Grundsätzlich stehe den betroffenen Leiharbeitern das höhere Entgelt der Stammbelegschaft zu, so Schüren. Gerade bei christlichen Billigtarifen gebe es da Nachforderungen von sechs Euro und mehr pro Stunde. Unter Juristen umstritten ist, ob ein Großteil der Vergütungsansprüche inzwischen verjährt ist oder nicht. In der Regel beginnt die Verjährung nach drei Jahren. Das hieße also: Alle bis Ende 2007 entstandenen Lohnansprüche könnten 2011 bereits verfallen sein.

Bis zum BAG-Entscheid war die Rechtslage jedoch unklar, argumentiert Schüren. Es war unter Fachleuten völlig umstritten, ob die CGZP tariffähig war. Ein Arbeitnehmer habe zwischen 2003 und Ende 2010 nicht wissen können, wie das Verfahren ausgeht. Ihm selbst sei es auch finanziell nicht zuzumuten gewesen, ein Verfahren zur Feststellung der Tarifunfähigkeit der CGZP zu betreiben. Denn selbst im Falle eines Erfolges hätte der Leiharbeiter die eigenen Anwaltskosten eines solchen Verfahrens tragen müssen. Die unklare Rechtslage bis zum Dezember 2010 schiebe die Verjährung hinaus. Sämtliche Ansprüche der Arbeitnehmer seien deshalb noch durchsetzbar.

In vielen Fällen könnten zusätzlich zur Verjährungsfrist noch so genannte Ausschlussfristen greifen, erläutert der Juraprofessor. Danach müsste ein Leiharbeiter seine Nachzahlungsansprüche innerhalb einer Frist von zum Beispiel einem Monat geltend machen. Die Fristen in den Arbeitsverträgen von Leiharbeitern seien jedoch entweder zu kurz - oder widersprüchlich zu den unwirksamen tariflichen, so der Jurist. Nach einem BAG-Beschluss aus dem März müssen Leiharbeitnehmer auch nicht die Ausschlussfristen beachten, die für die Stammkräfte des Entleihbetriebes gelten.

2. Sozialversicherungen. Zusätzlich zu den Ansprüchen des einzelnen Arbeitnehmers können die Kranken-, Pflege-, Renten-, Arbeitslosen- und Unfallversicherung auf Basis des geschuldeten Einkommens bei den Leiharbeitsfirmen Beitragszahlungen nachfordern - und zwar unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer klagt. Nach Einschätzung von Schüren handelt es sich um etwa 40 Prozent der Lohndifferenz. Hier gilt eine Verjährungsfrist von vier Jahren. Die schlimmsten Haustarife habe es in der Zeit kurz nach der Deregulierung der Leiharbeit im Jahr 2003 gegeben, so der Juraprofessor. Die betroffenen Leiharbeitsunternehmen kämen also teilweise ungeschoren davon. Hier mehren sich aber die Anzeichen, dass Haustarife "gekauft" waren, ergänzt Schüren. Dann gelte die Verjährungsfrist nicht.

3. Verleiher. Die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung haben den betroffenen Arbeitgebern eine Frist bis zum 31. Mai eingeräumt. Nur wenn sie die Beiträge bis zu diesem Zeitpunkt nachgezahlt haben, werden keine Säumniszuschläge fällig. Bereits von Juli an wollen die Rentenversicherungsträger mit Betriebsprüfungen beginnen. Für Fälle, in denen sich der konkrete "Equal Pay"-Anspruch nicht exakt beziffern lässt, seien "Vereinfachungslösungen denkbar". Unternehmen, die vorübergehend in ernsthafte Zahlungsschwierigkeiten geraten, können eine Stundung der Beiträge beantragen.

Wie viele Leiharbeiter nun tatsächlich vors Arbeitsgericht gehen, wird unterschiedlich eingeschätzt. Bislang sollen es einige Tausend sein. Entscheidende Hürde: In der ersten Instanz eines solchen Gerichtsverfahrens muss der Kläger seine Anwaltskosten selbst zahlen - wenn er nicht als Gewerkschaftsmitglied Anspruch auf Rechtsschutz hat.

4. Entleiher. Die Sozialversicherungen können sich bei Insolvenz des Verleihers an den Entleihbetrieb halten, ergänzt Schüren. Experten rechnen damit, dass daher in vielen Fällen auch Entleiher zur Kasse gebeten werden.

Schüren, Peter: Leiharbeit - Vergangenheitsbewältigung und Zukunftsgestaltung, Vortrag beim 8. Hans-Böckler-Forum für Arbeits- und Sozialrecht, Berlin, 24. März 2011

Schüren, Peter: Verjährung von Nachzahlungsansprüchen der Leiharbeitnehmer nach Feststellung der Tarifunfähigkeit der CGZP, in: Arbeit und Recht 4/2011

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