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HBS Böckler Impuls

Standort: Deutsche Arbeitskosten bleiben zurück - Exporteure gestärkt, Wachstum geschwächt

Ausgabe 19/2009

Im vergangenen Jahr sind die Arbeitskosten der deutschen Wirtschaft schwächer gestiegen als in den meisten anderen Ländern Europas. Deutschland bleibt so weiterhin in hohem Maße von der Entwicklung der Weltwirtschaft abhängig.

Zum vierten Mal haben die IMK-Forscher die Arbeitskosten in Deutschland mit denen anderer europäischer Länder verglichen. Das Ergebnis gilt als ein wichtiger Indikator zur Beurteilung der internationalen Konkurrenzfähigkeit eines Landes. Grundlage ist die Arbeitskostenstatistik des europäischen Statistikamtes Eurostat. Zentrales Ergebnis: Zwar stiegen 2008 die deutschen Arbeitskosten stärker als in den Jahren zuvor. Fast alle übrigen Länder Europas verzeichneten jedoch kräftigere Zuwächse. Damit steigert Deutschland nochmals seine internationale Wettbewerbsfähigkeit - auf Kosten der Nachbarn.

Mit einem Arbeitskostenniveau von 28,50 Euro pro Stunde rangiert Deutschland nur knapp über dem Euroland-Durchschnitt. Eine Arbeitsstunde ist in den nordischen Ländern, den Benelux-Staaten und Frankreich teurer. Im Schnitt betragen die Arbeitskosten in der Eurozone 26,90 Euro je Stunde.

Industrie: Im Verarbeitenden Gewerbe nahmen die Arbeitskosten Deutschlands deutlich schwächer zu als in den europäischen Nachbarländern. Mit 32,50 Euro pro Stunde rangiert Deutschland im Mittelfeld der nord- und westeuropäischen Hochlohnländer. Insgesamt liegen die Arbeitskosten für die Herstellung von Industriegütern jedoch noch unter dem ermittelten Wert, erläutern die Ökonomen des IMK: Wird der Einsatz von produktionsnahen Dienstleistungen berücksichtigt - die so genannte Vorleistungsverflechtung - ergeben sich niedrigere Zahlen. Denn die Arbeitskosten für Dienstleistungen liegen in Deutschland - im Unterschied zu fast allen anderen europäischen Ländern - deutlich unter denen des Verarbeitenden Gewerbes.

In einer aktuellen Veröffentlichung schätzt das Institut der deutschen Wirtschaft diesen Kostenvorteil auf 3,4 Prozent oder 1,14 Euro pro Stunde. Wird die gesamte Vorleistungsproduktion berücksichtigt, liegen die Einsparungen dem IMK zufolge jedoch bei mehr als 3 Euro je Stunde. Dies bedeute im Vergleich zu den übrigen Europäern "eine erhebliche Verbesserung der Wettbewerbsposition der deutschen Industrie", so das IMK.

Dienstleistungen: Bei den privaten Dienstleistungen insgesamt ist der Preisabstand zum Euroland-Durchschnitt noch geringer. Mit 26 Euro die Stunde kosten Serviceleistungen nur 30 Cent mehr. Ihr Anstieg fiel ebenfalls vergleichsweise niedrig aus. Innerhalb des Sektors sind die Unterschiede allerdings groß: Auf die geringsten Arbeitskosten kommt das Gastgewerbe - 14,20 Euro in Deutschland, 15,80 Euro in der Eurozone. Die höchsten Werte weist das Kredit- und Versicherungsgewerbe auf. Hier fallen in Deutschland pro Stunde 38,40 Euro an, in den Euroländern 41,40 Euro.

Folgen für den Arbeitsmarkt

Eine häufig vertretene These lautet, dass sich eine moderate Lohnentwicklung wie die Deutschlands förderlich auf die Beschäftigung auswirkt. Hierzulande steigen die Arbeitskosten inzwischen seit zehn Jahren vergleichsweise wenig; Deutschland fiel im Europa-Ranking der Arbeitskostenniveaus vom vierten auf den achten Rang zurück. Doch trotz der äußerst schwachen Lohnzuwächse verzeichnet die Bundesrepublik im Vergleich zu Ländern mit ähnlich hohen Arbeitskostenniveaus die schlechteste Beschäftigungsentwicklung. Frankreich, die Niederlande oder Großbritannien hatten sowohl höhere Zuwächse bei den Arbeitskosten als auch bei der Beschäftigung.
Wesentlicher Grund: Lohnzurückhaltung steigert zwar die Wettbewerbsfähigkeit und damit die Exporte. Gleichzeitig schwächt sie jedoch die Binnennachfrage. "Für kleine offene Volkswirtschaften mit sehr hohen Export- und Importquoten wie die Niederlande und Österreich kann das dennoch eine erfolgreiche Strategie sein", erläutert das IMK. In einem großen Land wie Deutschland funktioniert sie jedoch nicht: Die Wachstumsgewinne des Exports können die Verluste aus der Binnenwirtschaft nicht kompensieren - noch nicht einmal beim Exportweltmeister.

Auch für die Unternehmen haben sich die niedrigen Lohnabschlüsse unter dem Strich nicht ausgezahlt. Einzelne exportorientierte Branchen konnten in den vergangenen Jahren zwar Rekordgewinne erzielen. Umso stärker belastete die schwache Binnennachfrage aber die Gewinne jener Unternehmen, die auf den Inlandsabsatz angewiesen sind. Gesamtwirtschaftlich haben sich deshalb die Bruttogewinne in allen anderen vom IMK betrachteten Ländern ebenfalls deutlich besser entwickelt als in Deutschland.

Aussagekräftiger als die Arbeitskosten pro Stunde sind die Lohnstückkosten, also die Arbeitskosten korrigiert um Produktivitätszuwächse. Auch hier zeigt sich, dass Deutschland im Vergleich zu den europäischen Nachbarn seine Konkurrenzfähigkeit immer weiter ausgebaut hat, sowohl in der Gesamtwirtschaft als auch in der Industrie.

Das gilt vielfach selbst seit dem Beginn der Wirtschaftskrise 2008: Einzelne Länder wie Schweden und Großbritannien konnten zwar ihre Lohnstückkosten senken, indem sie ihre Währung abwerten ließen. Selbst der deutliche Wertverlust des Pfundes ließ die britischen Lohnstückkosten aber nicht unter die deutschen sinken, sondern verringerte lediglich den Abstand.

Wirtschaftskrise verzerrt Statistik

Als Folge der Krise sind die Lohnstückkosten in Deutschland besonders im vierten Quartal 2008 und im ersten Quartal 2009 stark gestiegen, stärker als beispielsweise in Frankreich oder Italien. Ursache ist der massive Einbruch der Wirtschaftsleistung, auf den die Unternehmen zunächst kaum mit Entlassungen reagiert haben. Die Erklärung: "Die vergleichsweise stabile Entwicklung der deutschen Erwerbstätigkeit ist vor allem dem massiven Einsatz von Instrumenten der internen Flexibilität zu verdanken", so die Forscher. Die Beschäftigten bauten Überstunden und Guthaben auf Arbeitszeitkonten ab oder gingen in Kurzarbeit.

Damit zeigen sich die Anpassungsmechanismen Deutschlands auf dem Arbeitsmarkt bisher denen anderer europäischer Länder überlegen, zeigt die Analyse des IMK. Der Preis dafür ist eine vorübergehende Verzerrung der Arbeitskosten nach oben. Diese Entwicklung wird sich in den kommenden Quartalen teilweise von allein korrigieren, schätzen die Ökonomen. Die internationale Konkurrenzfähigkeit Deutschlands sehen sie hierdurch nicht bedroht.

Für die nächste Zukunft gilt: Entwickeln sich die deutschen Arbeitskosten wieder nur schwach, würde das die Exportorientierung der deutschen Wirtschaft verfestigen - und damit die globalen Ungleichgewichte. Diese sind jedoch eine der Wurzeln der Weltwirtschaftskrise. "Vor diesem Hintergrund sollte die aktuelle Entwicklung nicht zum Anlass genommen werden, die Löhne weiter unter Druck zu setzen", so die Forscher.  

  • Die Lohnstückkosten der deutschen Industrie entwickeln sich weiterhin schwächer als die der großen europäischen Nachbarn. Selbst der deutliche Wertverlust des Pfundes ließ die britischen Lohnstückkosten nicht unter die deutschen sinken, sondern verringerte lediglich den Abstand. Zur Grafik
  • Mit einem Arbeitskostenniveau von 28,50 Euro pro Stunde rangiert Deutschland nur knapp über dem Durchschnitt der Eurozone. Im Verarbeitenden Gewerbe rangiert es im Mittelfeld der nord- und westeuropäischen Hochlohnländer. Private Dienstleistungen kosten nur 30 Cent mehr als im Euroland-Schnitt. Zur Grafik
  • Bei den Lohnstückkosten, also den Arbeitskosten korrigiert um Produktivitätszuwächse, hat Deutschland im Vergleich zu den europäischen Nachbarn seine Konkurrenzfähigkeit immer weiter ausgebaut. Zur Grafik

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