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HBS Böckler Impuls

Bürokratieabbau: Beraten statt deregulieren

Ausgabe 15/2005

Forderungen nach "Bürokratieabbau" im Arbeits- und Sozialrecht sind populär. Oft aber schießen sie über das Ziel hinaus und treffen wertvolle Schutzrechte von Beschäftigten. Arbeitsrechtlerin Heide Pfarr meint: Überforderten Kleinunternehmern lässt sich ohnehin auf anderem Wege effektiver helfen.

Anmeldung bei der Krankenkasse, Berechnen und Überweisen der Rentenversicherungsbeiträge, Lohnsteuerregeln und Kündigungsschutz - gerade Kleinunternehmen ohne Personalabteilung empfinden solche Anforderungen als kompliziert. "Verständlich", meint Heide Pfarr aufgrund einer aktuellen WSI-Untersuchung. Die Professorin für Arbeitsrecht plädiert dafür, "die Belastung der kleinen und mittleren Unternehmen ernst zu nehmen und zu erleichtern".

Falsch sei es jedoch, wenn Politiker das Arbeits- und Sozialrecht in einem Atemzug pauschal kritisierten - als "bürokratische Beschäftigungsbremsen". Sozial- und Arbeitsrecht seien in puncto Bürokratie kaum zu vergleichen: Im Sozialbereich müssen Arbeitgeber tatsächlich großen Verwaltungen wie den Sozialversicherungsträgern zuarbeiten. Mit dem Arbeitsrecht kommen sie fast nur in Kontakt, wenn es Streit um die Kündigung eines Beschäftigten gibt. Untersuchungen des WSI und anderer Institute zeigen, dass dies eher selten ist:

  • Lediglich ein Drittel der Arbeitsverhältnisse endet, weil der Arbeitgeber kündigt.
  • Wenn es dazu kommt, klagt wiederum nur eine Minderheit von etwa 15 Prozent der gekündigten Arbeitnehmer.
  • Vor dem Arbeitsgericht sind schnelle Verfahren üblich. Laut einer Untersuchung an der Universität Halle-Wittenberg ist knapp die Hälfte in drei Monaten erledigt, drei Viertel spätestens nach einem halben Jahr.

Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben es beim Kündigungsschutz also nicht mit großen Verwaltungsapparaten zu tun, konstatiert Pfarr. Sie begeben sich lediglich auf einen ganz gewöhnlichen Rechtsweg, um die Wahrung ihrer Interessen prüfen zu lassen. Dabei sind die Paragrafen das eine, die genaue Prüfung des Einzelfalles das andere. Diese Individualität, nicht aber Regelungswut, führe fast unvermeidlich in eine "unübersichtliche Gesetzeslage" mit viel Richterrecht. Mangels Bürokratie sieht die Wissenschaftlerin den Spielraum für "Bürokratieabbau" beim Arbeitsrecht nahe null.

Die Ergebnisse einer WSI-Befragung unter 2.000 Personalverantwortlichen deuten aber darauf hin, dass sich gerade Kleinunternehmer eher selten qualitativ hochwertige arbeitsrechtliche Beratung leisten können oder wollen. Beispielsweise glaubten zwei Drittel der befragten Chefs von Kleinstbetrieben irrtümlich, dass das Kündigungsschutzgesetz auch für ihre Firma gelte. Bezeichnend: Befragte, die bislang keinerlei Expertise in Anspruch genommen hatten, lagen seltener falsch als jene, die schon einmal beraten worden waren, etwa vom Steuerberater oder einer Kammer.

Pfarrs Fazit: Angesichts der Defizite wäre kleinen und mittleren Unternehmen am besten mit einem effektiven arbeitsrechtlichen Beratungsservice geholfen. Der müsse praxisnahe Lösungen zur Verfügung stellen, und zwar sehr günstig oder für Existenzgründer sogar kostenlos. Bei den sozialrechtlichen Anforderungen könnten spezielle, kostengünstige Dienstleister Kleinunternehmen entlasten. Parallel dazu sei es sinnvoll, stellenweise über vereinfachte Regeln nachzudenken. Dagegen setze beim Kündigungsschutz Deregulierung nicht am Kern des Problems an. Schließlich sei die Absicherung von Arbeitnehmern nicht nur grundrechtlich geboten, sie trage auch zur Motivation und zur Identifikation der Beschäftigten mit ihrem Betrieb bei. Zahlreiche in- wie ausländische Studien belegten überdies: Weniger arbeitsrechtliche Regulierung bringt nicht mehr Beschäftigung.

  • Forderungen nach "Bürokratieabbau" im Arbeits- und Sozialrecht sind populär. Oft aber schießen sie über das Ziel hinaus und treffen wertvolle Schutzrechte von Beschäftigten. Arbeitsrechtlerin Heide Pfarr meint: Überforderten Kleinunternehmern lässt sich ohnehin auf anderem Wege effektiver helfen. Zur Grafik
  • Forderungen nach "Bürokratieabbau" im Arbeits- und Sozialrecht sind populär. Oft aber schießen sie über das Ziel hinaus und treffen wertvolle Schutzrechte von Beschäftigten. Arbeitsrechtlerin Heide Pfarr meint: Überforderten Kleinunternehmern lässt sich ohnehin auf anderem Wege effektiver helfen. Zur Grafik

Heide Pfarr: Arbeits- und Sozialrecht - eine bürokratische Beschäftigungsbremse?, in: WSI-Mitteilungen 8/2005, Schwerpunktheft "Wirtschafts- und beschäftigungspolitische Aufgaben für die Zukunft".

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