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HBS Böckler Impuls

Gesundheit: Beharrliche Belastungen

Ausgabe 15/2005

Terminhetze, Überforderung, Leistungsdruck - psychische Arbeitsbelastungen breiten sich seit Jahren dramatisch aus. Die traditionellen körperlichen Belastungen haben sie jedoch keineswegs abgelöst. Teilweise vermengen sie sich sogar zu einem besonderen Gefährdungsgemisch.

Die Hoffnung trügt. Zwar hat der technische Fortschritt manch mühevolle Plackerei überflüssig gemacht. Entgegen vieler Erwartungen ist harte körperliche Arbeit dennoch nicht verschwunden. Zunehmend entsteht sie sogar neu, etwa in den Pflegeberufen. "Hier wird harte Knochenarbeit verlangt, gerade beim Heben und Umbetten", sagt Klaus Priester, Professor für Sozialmedizin an der Fachhochschule Ludwigshafen. Die Zahl derer, die im Beruf schwere Lasten stemmen müssen, stieg von 1991 bis 2000 um 50 Prozent. Vor allem jüngere Beschäftigte sind körperlichen Belastungen ausgesetzt. Von ihnen wird hier sogar mehr verlangt als eine Dekade zuvor.

In einer gemeinsamen Studie zeigen Priester und Uwe Lenhardt von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, wie zählebig sich klassische Arbeitsbelastungen halten, auch Monotonie und strikte hierarchische Kontrolle. Die immer häufiger auftretenden psychischen Belastungen durch Terminhetze, Leistungsdruck, Überforderung haben sie keinesfalls abgelöst. Im Gegenteil: Zunehmend verbinden sie sich mit ihnen. So zeigt eine IAB-Studie für 1999, dass fast die Hälfte der deutschen Erwerbstätigen praktisch immer oder häufig bis ins Detail ein und denselben Arbeitsgang ausführen musste - 23 Prozent von ihnen zudem unter Termin- oder Leistungsdruck.

Die Zahl der besonders Belasteten steigt seit Mitte der 80er-Jahre überproportional bei den jüngeren und mittleren Beschäftigten. Ein "Alarmzeichen" sagen die Wissenschaftler und warnen vor dem mentalen und körperlichen Verschleiß des Nachwuchses: "Hier werden die hohen Krankenbestände von morgen und die chronischen Krankheiten von übermorgen produziert."

Der Arbeits- und Gesundheitsschutz sei noch zu sehr auf die physische Belastung zugeschnitten. Damit Beschäftigte in anderen Sektoren und Berufen vom Arbeitsschutz profitieren, müsse dieser "verallgemeinert und erweitert werden".

Völlig außen vor scheinen bislang die Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen zu sein. Etwa Leiharbeiter, geringfügig oder befristet Beschäftigte oder Scheinselbstständige. Empirische Studien belegen: Leiharbeiter sind deutlich häufiger körperlichen und psychischen Arbeitsbelastungen ausgesetzt als Festangestellte. Folglich leiden sie auch häufiger unter Gesundheits- und Befindensstörungen. Teilzeitkräften werden Pausen verwehrt, Scheinselbstständige vom betrieblichen Arbeitsschutz ausgesperrt. "Prekäre Arbeitsverhältnisse führen zu prekären Gesundheitsverhältnissen", stellen Priester und Lenhardt fest. Diese Entwicklung hätte über Jahrzehnte gewachsene Standards und Arbeitnehmerrechte im Arbeits- und Gesundheitsschutz unterminiert oder sogar außer Kraft gesetzt. Die schrittweise Integration dieser Bereiche in den Arbeits- und Gesundheitsschutz bezeichnen sie als "zentrale präventionspolitische Aufgabe".

Betriebe, Arbeitsschutzbehörden und Berufsgenossenschaften müssen nach Ansicht der Autoren noch erhebliche Anstrengungen unternehmen, den präventiven Anspruch des Arbeitsschutzrechts in die Praxis umzusetzen. Ein Instrument  ist die Gefährdungsbeurteilung: Der Arbeitgeber muss laut Gesetz bei jedem Arbeitsplatz prüfen, ob er die Gesundheit des Beschäftigten strapaziert. Allerdings gehen viele Betriebe mit dieser Pflicht sehr lax um, wie eine Untersuchung von Elke Ahlers und Martin Brussig zeigt: Nur die Hälfte erstellt eine Gefährdungsbeurteilung, und gerade mal 23 Prozent berücksichtigen die psychischen Lasten.

  • Terminhetze, Überforderung, Leistungsdruck - psychische Arbeitsbelastungen breiten sich seit Jahren dramatisch aus. Die traditionellen körperlichen Belastungen haben sie jedoch keineswegs abgelöst. Teilweise vermengen sie sich sogar zu einem besonderen Gefährdungsgemisch. Zur Grafik

Klaus Priester, Uwe Lenhardt: Flexibilisierung - Intensivierung - Entgrenzung: Wandel der Arbeitsbedingungen und Gesundheit

Elke Ahlers, Martin Brussig: Gefährdungsbeurteilung in der betrieblichen Praxis

Beide in: WSI-Mitteilungen 9/2005, Schwerpunktheft zum Arbeits- und Gesundheitsschutz.

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