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HBS Böckler Impuls

Frühjahrsgutachten: 'Gefangene der eigenen Sichtweise'

Ausgabe 07/2005

Es war zu erwarten: Die sechs Wirtschaftsforschungsinstitute haben ihre Prognose zur wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland deutlich gesenkt. Mit ihren radikalen Ratschlägen gegen die wirtschaftliche Schwäche werden sie Deutschlands Probleme jedoch nur verschärfen, urteilt der Konjunkturexperte Gustav Horn.

Im Herbst 2004 hatten die Ökonomen, die zweimal im Jahr gemeinsam ein Gutachten erstellen, für 2005 noch mit einem Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent gerechnet. Jetzt, ein halbes Jahr später, haben sie ihre Prognose halbiert. Begründung: der unerwartet hohe Ölpreis, die Aufwertung des Euro, die schwächere Weltkonjunktur. Richtig, urteilt Horn, der Ölpreis hat Höhen erklommen, die nicht zu erwarten waren. Überzeugend klinge auch, dass sich die weltwirtschaftliche Dynamik nach dem stürmischen Aufschwung etwas beruhigt. Er stellt aber die Frage: Warum soll ausgerechnet Deutschland davon am meisten betroffen sein und die Exportdynamik gerade hier massiv nachlassen?

Horn argumentiert: Alle größeren Industrieländer stehen vor diesen Hindernissen. Gerade die Bundesrepublik hat in den vergangenen Jahren, wie kein anderes der größeren Länder, ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit gesteigert. Unverständlich, warum selbst die Länder des Euroraums weniger betroffen sein sollen, obwohl sie gegenüber Deutschland an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt haben.

Horns Urteil: "Die Prognose ist zu pessimistisch." Auch weil aus den deutlich höheren Ölpreisen positive Effekte entstehen können, die das Gutachten gar nicht berücksichtigt: "Die Erdöl exportierenden Länder geben ihre gestiegenen Einnahmen größtenteils wieder aus. Dies dürfte insbesondere deutschen Exporten deutlich zugute kommen. Mit einer entsprechenden Ausstrahlung auf Binnennachfrage und Investitionen." Zunächst begründet das Gemeinschaftsgutachten die niedrigeren Wachstumsraten mit der erwarteten nachlassenden Exportdynamik, dann aber auch mit ihrer "strukturellen Natur", denn der Wachstumstrend habe sich in den vergangenen Jahren abgeschwächt. Für Horn steckt hier der grundlegende Irrtum der Institute: "Sie verwechseln Wachstumstrend und Wachstumspotenzial." Der Trend stellt, so der Ökonom, schlicht das Wachstum der Vergangenheit dar, nicht aber die Möglichkeiten für ein inflationsfreies Wachstum. Für ihn führt diese Verwechslung zu absurden Ergebnissen.

Trotz einer Politik, die ganz klar auf die Förderung der Angebotsbedingungen ausgerichtet war und daher eigentlich das Wachstumspotenzial hätte erhöhen müssen, rechnen es die Institute herunter. Nicht ohne diese Politik zugleich als Schritt in die richtige Richtung zu loben. "Offensichtlich stimmt diese Richtung doch nicht so ganz", stellt Horn fest. Die Investitionstätigkeit folgt nach Meinung der Institute den üblichen konjunkturellen Mustern. Gäbe es die im Gutachten unterstellten gravierenden Angebotsprobleme, müssten die Investitionen eigentlich besonders gedrückt sein.

Auf Basis dieser Fehlannahme entwickeln die Institute ihr Programm: "Ein radikales neoliberales Programm: Rückführung der öffentlichen und der privaten Nachfrage - also auch weiterhin extreme Lohnzurückhaltung." Deutschlands Probleme werden sich dadurch verschärfen, analysiert er. Insbesondere der Konsum wird weiter geschwächt:

- weil die privaten Einkommen dadurch sinken oder höchstens stagnieren würden und
- weil die Konsumenten noch mehr verunsichert und damit noch mehr sparen statt ausgeben würden.

Mit ihrer Strategie haben sich die Institute endgültig zu "Gefangenen einer einseitigen Sichtweise" gemacht, die sie zu immer radikaleren Vorschlägen treibt, urteilt Horn. Im kommenden Jahr würden die Institute mit Sicherheit einen weiteren Rückgang des Wachstumspotenzials feststellen - und  noch mehr angebotsorientierte Reformen fordern.

PD Dr. Gustav A. Horn leitet das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung

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