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HBS Böckler Impuls

Einkommen: Alles Leistung, oder was? Wer in Deutschland Top-Verdiener wird

Ausgabe 04/2005

Wer gut ist, setzt sich durch - diese These hat Konjunktur. In Wirklichkeit geht es aber komplizierter zu: Wer viel verdient, verdankt das nicht nur persönlicher Leistung. Elternhaus und Geschlecht sind wichtige Faktoren auf dem Weg zum Reichtum.

Knapp sechs Prozent der deutschen Arbeitnehmer verdienten 1999 mehr als das Doppelte des Durchschnittseinkommens. Im Schnitt kamen diese Gutverdiener auf ein Monatseinkommen von umgerechnet gut 6.600 Euro brutto. Der DGB-Konjunkturexperte Dierk Hirschel qualifiziert sie in einer aktuellen Längsschnittuntersuchung, welche die Einkommensverteilung zwischen 1986 und 1999 auswertet, als "reich". Dass die 200-Prozent-"Reichtumsgrenze" bei umgerechnet knapp 5.000 Euro vergleichsweise niedrig angesetzt ist, hat mit der Statistik zu tun: Nur so ließ sich eine ausreichend große Gruppe von Gutverdienern bilden, über die repräsentative Aussagen möglich sind.

Auf den ersten Blick scheint alles ganz klar zu sein: Diese "Reichen" sind echte Leistungsträger. Für ihr hohes Einkommen müssen sie eine Menge bringen. So arbeiten sie im Schnitt wöchentlich 50 Stunden und damit fast sieben Stunden länger als "Nicht-Reiche". Über die Hälfte von ihnen hat ein zeitaufwendiges Hochschulstudium absolviert, verglichen mit 16 Prozent der weniger Gutverdienenden. Die "Reichen" haben zudem eine Menge Berufserfahrung - weil sie im Durchschnitt älter sind und seltener von Arbeitslosigkeit betroffen waren.
 
Top-Verdiener sind meistens Angestellte

Fleiß, Cleverness, Konstanz sind also offenbar nötig, um in die Liga der Top-Verdiener aufzusteigen. Allerdings, das zeigt der zweite Blick, den Hirschel auf seine Daten wirft, haben sich "Reiche" und "Nicht-Reiche" in puncto Ausbildungsdauer und Arbeitszeit zwischen Mitte der 80er- und Ende der 90er-Jahre angenähert. In zwei wesentlichen Leistungs-Kategorien ragen die Besserverdienenden damit also  etwas weniger deutlich hervor als früher. Trotzdem haben sie ihren Einkommensvorsprung noch einmal ausgebaut.

Kleine Aha-Effekte bringt die Analyse der beruflichen Stellung der Bestverdiener. Selbstständige, oft als Prototypen des Leistungsträgers gepriesen, sind unter ihnen mit 21 Prozent insgesamt deutlich überrepräsentiert. Innerhalb dieser Berufsgruppe gibt es aber Unterschiede. So stellen etwa "kleine" Selbstständige mit bis zu 20 Beschäftigten lediglich fünf Prozent der Spitzenverdiener.

Sehr viele unter den Bestverdienern arbeiten als Angestellte: 75 Prozent. Neben Großunternehmern zählen somit Angehörige akademischer Berufe und höhere Angestellte in Verwaltung und Management zum Club der Einkommensstarken. Ein Personenkreis, den der britische Soziologe John Goldthorpe unter dem Stichwort "obere Dienstklasse" zusammenfasst. Beamte sind im Verhältnis zu ihrem Anteil an allen Erwerbstätigen in der Einkommensspitze leicht unterdurchschnittlich vertreten, Arbeiter so gut wie nie.

Frauen stellen unter den Gutverdienern ebenfalls nur eine kleine Minderheit von sieben Prozent. Der geringe Anteil zeigt deutlich, dass ein hohes Einkommen eben doch nicht nur mit individueller Leistungsfähigkeit zu tun hat. Denn bei Schulabschlüssen und beruflicher Qualifikation liegen die Geschlechter viel näher zusammen. "Diskriminierung in Form einer immer noch geschlechtsspezifisch strukturierten gesellschaftlichen Arbeitsteilung und patriarchalischer Betriebshierarchien" schmälere für viele Frauen die Aussicht auf ein hohes Einkommen, so Hirschel.

"Und was macht Ihr Vater?"

Einen weiteren wichtigen Einflussfaktor hat schon die Pisa-Studie ins öffentliche Bewusstsein gerückt: Je besser die finanzielle und kulturelle Ausstattung des Elternhauses, desto größer die Chancen von Kindern im Bildungssystem.

Die Längsschnittdaten der Gutverdiener zeigen nun, dass sich solche Herkunfts-Vorteile auch im weiteren Berufsleben deutlich auswirken. Schon die Väter von "Reichen" hatten häufiger das Gymnasium oder ein Hochschulstudium abgeschlossen, als das in Familien von "Nicht-Reichen" der Fall ist. Bei den konkreten Zahlen ist zu beachten, dass viele dieser Väter in Zeiten mit niedrigeren Abiturquoten als heute zur Schule gegangen sind. Zudem arbeiteten die Väter häufiger als Angestellte, Selbstständige oder Beamte.

Wenig Selfmade-Männer und -Frauen

Fazit der Analyse: Was linke Soziologen theoretisch schon lange formuliert haben, das ist auch empirisch auf breiter Datenbasis nachweisbar. Vor allem die Faktoren familiäre Herkunft und Geschlecht wirken auf dem Weg zu einem Spitzen-Einkommen als Rücken- oder als Gegenwind. "Hohe Arbeitseinkommen sind in der Regel keine Gratifikation für tatsächliche Leistungsunterschiede zwischen Reichen und Nicht-Reichen", resümiert Hirschel. Der Selfmade-Mann ist nicht der vorherrschende Typ, die Selfmade-Frau erst recht nicht. "Die positive Lenkungsfunktion von Einkommensunterschieden", von der liberale Theoretiker überzeugt sind, werde dadurch "eingeschränkt".

Unwahrscheinlich, dass sich dieser Widerspruch in den Jahren ab 2000 gemildert hat, für die Hirschel noch keine statistischen Daten zur Verfügung standen. Im Gegenteil: Hohe Einkommen speisen große Vermögen. Diese werden an die nächste "Reichen"-Generation vererbt, deren Mitglieder wiederum mit einiger Wahrscheinlichkeit selber gut verdienen. Wie die Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen auch unter der rot-grünen Bundesregierung gestiegen ist, hat erst kürzlich der Verteilungsbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) gezeigt.

Dierk Hirschel: Einkommensreichtum und seine Ursachen; in WSI-Mitteilungen 2/2005

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