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Magazin Mitbestimmung

Bahn: „Man hat uns kaputt gespart“

Ausgabe 09/2014

Hennig Kucz, 58, verantwortet als Zugchef im Fernverkehr die Sicherheit und ordnungsgemäße Fahrt mit der Deutschen Bahn. Er lebt in Hannover.

Nicht die Bahn ist schuld, dass es unserem Unternehmen so schlecht geht, sondern die Politik. Sie wollte den Börsengang, hatte gehofft, dadurch viel Geld einzunehmen. Deshalb wurde im Vorfeld viel zu wenig in die Bahn investiert. Aber als der Börsengang 2008 dann wegen der Finanzkrise scheiterte, war plötzlich zu wenig Geld da. Außerdem wurde kein Personal eingestellt. Heute zeigt sich: Wir sind damals regelrecht kaputt gespart worden. Das wirkt sich auf unsere Arbeitsbedingungen aus. 

Beispielsweise fehlen Züge. Man versucht, diesen Mangel durch kürzere Wartungszeiten abzumildern. So bleibt im Betriebshof fast nur die Zeit für das Wesentliche: die Sicherheit. Die ist bei der Bahn wirklich jederzeit gewährleistet. Aber es fehlt oft die Möglichkeit, zum Beispiel eine defekte Toilette oder zerschlissene Sitze zu reparieren. Priorität ist es eben, den Zug wieder schnell auf die Strecke zu bringen. Doch haben solche Mängel zu mehr Beschwerden von Fahrgästen geführt. Darunter leiden wir Zugbegleiter. 

Denn es stresst und kostet viel Kraft, sich der Beschwerden anzunehmen. Da heißt es dann schon einmal ‚Scheiß Bahn!‘ oder: ‚Ihr Eisenbahner seid blöd!‘ Besonders unangenehm ist es, wenn sich am Bahnhof eine ganze Menschentraube um uns herumschart. Dabei sind wir im Bahnhof gar nicht immer im Dienst, sondern haben Pause. Aber in unserer Uniform können wir uns natürlich nicht verstecken. Mittlerweile haben viele Kollegen resigniert, weil ständig auf sie eingeprügelt wird. 

Wegen des Sparkurses sind auch Signale und Weichen nicht auf dem neuesten Stand. Veraltete Technik führt zu Verspätungen, wenn wir auf bestimmten Strecken wegen Gleisschäden langsamer fahren müssen. Für uns Zugbegleiter bedeutet das längere Arbeitszeiten. Dabei ist der Dienst ohnehin schon anstrengender geworden. Weil zu wenig Personal da ist, hat man unsere Dienstpläne gestrafft. So zählt Wartezeit auf dem Bahnhof nicht zur schutzwürdigen Arbeitszeit. Eine Schicht kann dadurch bis zu 14 Stunden lang sein. 

Früher haben wir hauptsächlich Fahrkarten kontrolliert. Heute sind wir teilweise für die Technik in den Waggons und für den Service in der ersten Klasse zuständig. Wir kontrollieren, ob das Bordrestaurant genügend Menüs und Getränke zur Verfügung hat. Außerdem verhandeln wir mit den Kollegen am Zielbahnhof, welcher Anschlusszug warten kann, wenn wir Verspätung haben. 

Wir sind nur selten zu Hause. In der vergangenen Woche habe ich fünf Nächte daheim in Hannover geschlafen und zwei im Hotel in München und in Koblenz. Auf die Dauer ist ein solcher Rhythmus sehr anstrengend. Man ist vom Fahrplan bestimmt. Da wacht man schon einmal mitten in der Nacht auf und fragt sich, wo man gerade ist. Nach 32 Jahren bei der Bahn hinterlässt so ein Leben Spuren – körperliche und psychische. Aber ich bin gerne Bahner. Ich wünsche mir, dass die Politik die Bahn tatkräftiger unterstützt, denn wir sind ein Staatsbetrieb und damit ein Aushängeschild für unser Land. Wir brauchen mehr Geld von der öffentlichen Hand.“

Textdokumentation: Andreas Schulte

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