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Magazin Mitbestimmung

: Voller Einsatz für die Region

Ausgabe 11/2008

GEWERKSCHAFTEN Wenn Gewerkschafter sich aktiv in die Strukturpolitik einmischen, stoßen sie nicht immer auf offene Türen. Doch lohnt sich hartnäckiges Engagement. Ein Besuch in Dortmund und in Nordbaden.

Von CHRISTOPH MULITZE, Journalist in Düsseldorf/Foto: Andrea Hold-Ferneck
Das Gewerkschaftshaus am Ostwall in der Dortmunder Innenstadt wirkt wenig einladend. Ein dunkler, klotziger Bau aus der Nachkriegszeit mit schmalen Fenstern an der Front. Das Treppenhaus mit seinem grauen Linoleumboden und den quadratischen roten und weißen Fliesen an den Wänden versprüht den Charme der 50er Jahre. Die unwirtliche Atmosphäre kippt in der vierten Etage: Hinter einer Glastüre residiert der DGB-Bezirk des östlichen Ruhrgebiets. Der blau-grau melierte Teppichboden spendet Wärme, die Möbel in allen Büros sind aus hellem Buchenholz und sehr modern. Auf jedem Schreibtisch steht ein Flachbildschirm. "Als 2001 die DGB-Bezirke Dortmund und Unna-Hamm zusammengelegt wurden, haben wir gründlich renoviert. Das wurde höchste Zeit", sagt Eberhard Weber, der DGB-Vorsitzende des östlichen Ruhrgebiets.

Schmerzlicher Prozess_ Politisch hatte sich der DGB in Dortmund schon ein paar Jahre früher erneuert - mehr oder weniger getrieben durch die wirtschaftlichen Entwicklungen. Denn was die größte Stadt des Ruhrgebiets in den vergangenen 30 Jahren erlebte, war kein Strukturwandel, es war fast ein Strukturbruch: 80 000 Arbeitsplätze gingen verloren. Stahl, Kohle, Bier - Dreiklang im Revier. So hieß es früher. Inzwischen gibt es in Dortmund keine einzige Zeche mehr, Stahl wird nicht mehr gekocht, und von den sieben Brauereien in den 70er Jahren ist eine einzige übrig geblieben, die heimisches Bier herstellt. "Spätestens Mitte der 90er Jahre war uns als DGB klar, dass der Industriestandort in der alten Größenordnung keine Zukunft mehr hat", sagt Weber und legt seine Stirn in Falten. "Das war für uns ein schmerzlicher Prozess. Um den Menschen eine Perspektive zu geben, mussten wir nach ökonomischen Alternativen suchen." Das geschieht inzwischen in mehr als 30 Initiativen, meistens gemeinsam mit der Wirtschaftsförderung der Stadt Dortmund, den Unternehmensverbänden und der Wissenschaft.

Das größte und wichtigste Projekt, in das der DGB eingebunden ist, ist das dortmund-project, an dessen Anfang eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey stand. Als ThyssenKrupp vor elf Jahren die Schließung des letzten Dortmunder Stahlwerks für 2001 verkündete, verpflichtete sich der Konzern, bei der Schaffung von 3650 Ersatzarbeitsplätzen zu helfen. Er beauftragte McKinsey, ein Konzept zur Wirtschaftsentwicklung für Dortmund auszuarbeiten. Drei Leit- und Führungsbranchen wurden in einer Studie als zukunftsträchtig identifiziert: die Informationstechnologie, die Mikrostrukturtechnologie und die Logistik. Wie aber lassen sich diese Leit-Branchen in einem Umfeld aufbauen, das bisher großindustriell geprägt war? In Kleinstarbeit. "Wir haben damals zum Beispiel das Konzept an der Uni Dortmund vorgestellt und gesagt, dass wir mehr Informatiker brauchen", so Weber. Die Hochschule hat mitgezogen, bietet seitdem mehr entsprechende Studiengänge an - mit dem Ergebnis, dass zurzeit in Dortmund allein 8000 IT-Studierende eingeschrieben sind. Dortmund zählt damit zu den IT-Hochburgen Deutschlands.

Ambitioniertes Ziel_
Eine Hauptaufgabe des dortmund-projects ist es, die Rahmenbedingungen für neue Unternehmen in den Hightech-Branchen so optimal wie möglich zu gestalten. Das heißt: Existenzgründer werden beraten, und zwar über den Start in die Selbstständigkeit hinaus, Netzwerke werden aufgebaut, jungen Unternehmen werden Arbeits- und Laborräume sowie Equipment zur Verfügung gestellt. Bis 2010 fließen von der Stadt Dortmund für unternehmerische Förderungen jeder Art 67 Millionen Euro ins dortmund-project, das 70 000 neue Arbeitsplätze anvisiert. Diese Zahl genannt zu haben, hält DGB-Chef Weber zwar für richtig. Aber: "Ein solch ambitioniertes Beschäftigungsziel zu erreichen, war und ist illusorisch", schränkt er ein. Das Ziel wird allerdings regelmäßig und in kurzen Zeitabständen kontrolliert: Einmal im Monat kommen Wirtschaftsförderer der Stadt, Wissenschaftler sowie Vertreter des DGB, der IHK und der Handwerkskammer einen halben Tag zusammen, um das weitere Vorgehen abzustimmen und Einzelfälle zu besprechen.

Mittlerweile haben mehr als 37 000 Menschen in rund 1400 Unternehmen der Zukunftsbranchen ihren Arbeitsplatz. Dortmund zählt 680 IT- und Software-Firmen mit 12 500 Beschäftigten und ist damit der größte Softwarestandort in Nordrhein-Westfalen. Doch am IT-Boom partizipieren nicht alle. Wer bis 2001 am Hochofen stand, kommt kaum in der Informationstechnologie unter. Und so öffnet sich die soziale Schere: Auf der einen Seite stehen relativ wenige junge, gut verdienende Hochschulabsolventen mit gefragtem Spezialwissen, und auf der anderen Seite zahlreiche Menschen, die seit langem keinen Job haben, von Hartz IV leben und in Perspektivlosigkeit verharren. Die Arbeitslosenquote in Dortmund ist in Nordrhein-Westfalen (hinter Gelsenkirchen) mit 14,8 Prozent die zweithöchste. Landesweit nimmt in keiner Stadt die Arbeitslosigkeit so langsam ab wie in Dortmund.

Jedes dritte Kind lebt von staatlichen Transferleistungen - doppelt so viele wie im Bundesdurchschnitt. Es ist kaum zu glauben, aber: Der Industriebesatz im Sauerland und im Münsterland ist doppelt so hoch wie in Dortmund. "Die Verlierer des Wandels sind die wenig qualifizierten Menschen. Hauptschüler finden kaum noch den Einstieg in den Arbeitsmarkt. Deshalb fordern wir eine Bildungs- und Qualifizierungsoffensive", sagt Weber. In gewerkschaftseigenen Initiativen wurden zum Beispiel Ideen entwickelt, wie lebenslanges Lernen in kleinen und mittelständischen Betrieben umgesetzt werden kann. Es wurden Lern-Vertrauensleute benannt, die Ansprechpartner für Mitarbeiter sind und diese in Qualifizierungsfragen beraten. Der DGB engagiert sich außerdem mit Wirtschaftsvertretern in einem Projekt, das Dortmunder Unternehmen, die eine vorbildliche Personalpolitik betreiben, mit einem Preis öffentlichkeitswirksam auszeichnet.

Denken in Clustern_ Ein Anfang ist das erst, mehr noch nicht. Das weiß auch Weber. Auf dem Flur des DGB-Bezirks hängen Fotos aus vergangenen Zeiten. Bundeskanzler Willy Brandt umringt von einer Menschenmenge in der "Herzkammer der Sozialdemokratie", wie SPD-Urgestein Herbert Wehner Dortmund mal genannt hat, Großkundgebungen der Gewerkschaften mit Weber und seinem Vorgänger Guntram Schneider, der heute dem DGB in Nordrhein-Westfalen vorsteht, an der Spitze. "Ein Anruf reichte, und wir hatten 15 000 Menschen auf der Straße", sagt Weber. Vorbei. Heute ist man froh, wenn man für eine Veranstaltung 1000 Leute zusammen bekommt. Weber weiß, dass für den DGB in Dortmund die Situation paradox ist: Je besser der Strukturwandel gelingt, desto schwerer wird es für die Gewerkschaften. Denn der Organisationsgrad in den Hightech-Firmen ist verschwindend gering, die meisten jungen Informatiker haben mit Gewerkschaften nichts am Hut.

"Das ist so", stöhnt Weber. "Aber es gibt zu diesem Weg keine Alternative." Und es ist ja auch keinesfalls so, dass der DGB nichts bewegt. Ganz im Gegenteil, wie das Beispiel der Clusterpolitik zeigt. Weber: "Wir waren diejenigen, die den Clusteransatz gegen zunächst heftigen Widerstand von Wirtschaft und Politik in der Region durchgesetzt haben." Das Denken in Clustern, also in regionalen Wertschöpfungszusammenhängen zwischen Produktionsunternehmen, Dienstleistern, Zulieferern, Forschungs- und Bildungseinrichtungen, brachte der DGB erstmals schon 1995 ins Spiel. Bei einer Arbeitstagung mit dem Landesinstitut Sozialforschungsstelle Dortmund hatten die Gewerkschafter sich bei Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern aus Italien, Dänemark, Spanien und den Niederlanden erkundigt, wie diese ihre Regionen modernisieren, die mit dem östlichen Ruhrgebiet vergleichbar sind. Das Zauberwort hieß Clustern. "ISA Consult hat uns daraufhin mit einer regionalwirtschaftlichen Clusterpolitik vertraut gemacht. Doch die Wirtschaftsorganisationen hielten das zunächst für abwegig", sagt Weber.

Nach jahrelangen heftigen Diskussionen sei der Clusteransatz nunmehr seit vielen Jahren unumstritten. Und erfolgreich ist er auch: Dortmund gilt heute mit 24 Unternehmen als größter Mikrosystemtechnologie-Cluster Deutschlands und einer der größten in Europa. Solche Erfolge sind es, die Weber selbstbewusst sagen lassen: "Als Gewerkschaftsbund werden wir nicht von allen geliebt. Aber wir werden wertgeschätzt." Offenbar auch von den Arbeitgeberverbänden der Region. Sie schenkten Weber nach der Renovierung vor sieben Jahren ein Bild fürs Büro. "Ich kenne den Künstler zwar nicht, aber es ist ein Original. Das wird nicht billig gewesen sein", sagt Weber schmunzelnd. Das Bild muss sich die Wand mit Portraits von Rosa Luxemburg und August Bebel teilen.

Prestigeprojekte im reichen Süden_
Von so einer Zusammenarbeit kann Roman Zitzelsberger nur träumen. Der erste IG-Metall-Bevollmächtigte in Rastatt/Gaggenau würde gerne eingebunden sein, beispielsweise in die Gesellschaft Technologieregion Karlsruhe (TRK), die die Städte Baden-Baden, Bruchsal, Bühl, Ettlingen, Gaggenau, Karlsruhe, Rastatt und Stutensee sowie die Landkreise Karlsruhe und Rastatt umfasst. "Dort spielt die IHK die entscheidende Rolle. Sie blockt alles ab, was arbeitnehmerorientiert ist", sagt Zitzelsberger. Er weiß: In seinem Bezirk geht es den meisten Menschen verhältnismäßig gut. Die Arbeitslosenquote beträgt nur etwa vier Prozent, die durchschnittliche Kaufkraft liegt zum Beispiel in Baden-Baden mit 19.000 Euro pro Einwohner (2005) selbst im "reichen" Baden-Württemberg (Durchschnitt 16 000 Euro) im oberen Bereich. Aber: Während gerade in Baden-Baden mit die meisten Millionäre in Deutschland leben, nehmen prekäre Arbeitsverhältnisse überdurchschnittlich stark zu.

Ein anderes Problem ist die Altersstruktur: Baden-Baden ist die "älteste" Stadt Deutschlands. 11,8 Prozent der Bevölkerung sind dort über 75 Jahre alt. Nur noch 17 Prozent sind jünger als 20 Jahre. Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung prognostiziert: Die Stadt wird auf Grund ihrer Altersstruktur bis zum Jahr 2020 fast 14 Prozent ihrer Einwohner verlieren. Regionale Entwicklungen wie diese müssten in der TRK stärker thematisiert werden. "Es findet dort keine Strukturpolitik statt", kritisiert Zitzelsberger. Prestigeobjekte wie der Baden-Airpark würden gepusht, doch eine Gesamtstrategie für die Region fehle. "Cluster etwa in Nano- oder Mikrosystemtechnik wären unsere Stärke. Doch die werden nicht genutzt", so Zitzelsberger.

Fehlendes Gesamtkonzept_ Gemeinsam mit der Hans-Böckler-Stiftung und dem IMU-Institut hat die IG Metall einen Clusterreport, unter anderem zum Fahrzeugbau in der Region Karlsruhe, erstellt. Ein Fazit der Studie: Der internationale Automotive-Wettbewerb verschärft sich und kann von der Region Karlsruhe nur über Qualität und Innovation gewonnen werden. "Ein funktionierendes regionales Innovationssystem ist also grundlegend für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen (…) und damit für die Zukunft der Arbeitsplätze", heißt es in der Untersuchung. Ein regionales Cluster wird empfohlen, das den Standort attraktiver macht gegenüber Verlagerungen aus Kostengründen. Zitzelsberger: "Wissenschaft, Forschung und Betriebe müssten stärker verknüpft werden. Die wissen teilweise gar nicht, was der andere macht und wie sie voneinander profitieren könnten."

Doch die TRK reagierte darauf nicht. "Sie tat so, als gäbe es unsere Arbeit gar nicht", so Zitzelsberger. Aus seinen Worten klingt große Enttäuschung. Aber deshalb aufgeben? "Nein, wir bohren weiter, nutzen jede Gelegenheit, um uns ins Gespräch zu bringen." Im Fokus eines neuen IG-Metall-Projekts steht die Umformtechnik, eine wichtige Branche der Region. Sie gibt derzeit rund 2500 Menschen Arbeit. Das Fraunhofer ISI untersucht derzeit im Auftrag der IG Metall die Anforderungen, denen sich Unternehmen stellen müssen, und die technologischen Trends: Welches sind die Materialien der Zukunft? "Das ist eine sehr praxisorientierte Studie, die konkrete Handlungsempfehlungen zur Arbeitsplatzsicherung ausarbeiten wird", sagt Zitzelsberger. Im Sommer 2009 soll das Ergebnis vorgestellt werden. "Wir hoffen, dass die TRK uns dann nicht wieder wie Luft behandelt", so Zitzelsberger, der sich nicht damit begnügen will, als Gewerkschaft in den Betrieben verankert zu sein. Dazu sieht er zu viele Defizite.

Während in Karlsruhe seit den 80er Jahren ein Strukturwandel vom Maschinenbau zu Dienstleistungen (Banken, Versicherungen), zur Energiewirtschaft und Informationstechnologie vollzogen wurde, wird die südliche Region Rastatt/Gaggenau durch das produzierende Gewerbe beherrscht - mit einer starken Konzentration auf Automobile: 70 bis 80 Prozent der Arbeitsplätze im Metall- und Elektrobereich hängen an der Fahrzeugindustrie. Wenn die Binnennachfrage wie zurzeit nicht funktioniert und auch der Export hakt, wankt die gesamte örtliche Wirtschaft. "Das ist ein wichtiges Zukunftsthema: Wir müssen weg von der Monostruktur. Das heißt: nichts abreißen, aber zusätzliche Standbeine schaffen", so Zitzelsberger. Dafür sei aber eine andere Politik der TRK notwendig: weg von Leuchtturmprojekten, mit denen man sich in Marketingkampagnen schmücken könne, und hin zu Clustern, die das Know-how der Region unter anderem von den Hochschulen und Forschungseinrichtungen in die Unternehmen transferieren.

Erfolgsrezept Technologie-Transfer_ "Die Kompetenzen der IG Metall werden ja durchaus anerkannt", sagt Zitzelsberger. So startet im März kommenden Jahres die private Steinbeis Business Academy einen neuen Bachelor-Studiengang im Bereich Product Engineering an der Carl Benz-Business School in Gaggenau. Mitinitiator des dreijährigen berufsbegleitenden Studiengangs, der betriebswirtschaftliches und technisches Wissen vermitteln soll, ist die örtliche IG Metall. "Vor allem der Technologie-Transfer von Wissenschaft und Wirtschaft steht bei uns im Vordergrund" erläutert SBA-Direktor Professor Peter Dohm. "Da liegt es auf der Hand, dass die Firma, für die der Student ja weiterhin arbeitet, schon während des Studiums einen Mehrwert durch Zusatzqualifikationen verbucht." Das ist genau der Ansatz, den auch die IG Metall unter Zitzelsberger vertritt.

Solche Bestätigungen der eigenen Arbeit sind wichtig, weiß auch der Dortmunder DGB-Chef Eberhard Weber. Er teilt sich die rund 30 Projekte mit zwei Kollegen, ist jeden Abend unterwegs, oft auch an den Wochenenden. "Das ist sehr anstrengend, erfüllt einen aber auch mit Zufriedenheit, wenn man sieht, dass man was bewegen kann", so Weber. Seine Wertschätzung ist so groß, dass er sogar bei der Suche nach einem SPD-Oberbürgermeisterkandidat für die kommende Kommunalwahl ins Gespräch gebracht wurde. Das habe er aber nicht ernst genommen, sagt Weber und lacht. Ein bisschen Stolz klingt dabei aber doch heraus.

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