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HBS Böckler Impuls

Wirtschaftswissenschaft: „Ich habe die alte Generation von Ökonomen abgeschrieben“

Ausgabe 08/2015

Das IMK wird zehn Jahre alt. Gustav Horn, Gründer und wissenschaftlicher Direktor des Instituts, über die Krise in Europa und die Krise der Wirtschaftswissenschaft.

Das IMK ist seinerzeit gegen den Mainstream der Ökonomen in Deutschland angetreten. Was hat das Institut bewirkt?
Horn: Es war damals schon eine Provokation, dass ein Institut die Hartz-Reformen kritisch gesehen hat. Mittlerweile wird der Erfolg von Hartz IV in der Wissenschaft durchaus infrage gestellt. Dazu hat das IMK einen Beitrag geleistet. Was die Eurokrise und die Finanzkrise angeht, waren wir sehr weit vorn. In unserem ersten Report von 2005 haben wir auf die Gefahren im Euroraum hingewiesen. Das wollte damals keiner hören. Aber heute sieht man, dass die Bedenken allzu berechtigt waren.

Was sind die Lehren aus Euro- und Finanzkrise?
Horn: Eine Erkenntnis ist, dass Marktwirtschaften krisenanfällig sind – das ist etwas, was die meisten Ökonomen zuvor einfach nicht mehr wahrhaben wollten. Sie mussten es auf harte Art und Weise wiederentdecken. Der zweite Punkt ist, dass besonders Finanzmärkte krisenanfällig sind und der Regulierung bedürfen. Der dritte ist, dass man nicht nur auf Angebotsfaktoren schauen darf, sondern auch die Nachfrage im Blick behalten muss. All dies spielt heute eine wesentlich wichtigere Rolle als vor den Krisen.

Gibt es Anzeichen für ein Umdenken in der Wirtschaftswissenschaft?
Horn: Die Situation heute ist eine ganz andere als vor zehn Jahren. Wir haben heute eine sehr grundlegende Debatte über eine Reform des ökonomischen Denkens und der ökonomischen Lehre. Einige sehr profilierte und anerkannte Professoren, etwa Paul Krugman, weisen darauf hin, dass in Europa vieles völlig falsch gelaufen ist, wobei die Deutschen eine tragende Rolle gespielt haben.

Das IMK hat die Bundesregierung für ihre Politik in der Eurokrise immer wieder scharf kritisiert. Was muss sich ändern?
Horn: Auch der Staat muss investieren, um damit wieder private Investitionen auszulösen. Wir brauchen eine stabilitätsgerechte Lohnentwicklung, die auch den Beschäftigten ihren Anteil am Wachstum in Deutschland gibt.

Und in Europa?
Horn: Brauchen wir ein genaues Verständnis davon, was eine Währungsunion ist: nämlich eine Inflationsgemeinschaft. Wir brauchen alle die gleiche Inflationsrate. Sowohl das Überschießen, wie es in Griechenland vorgekommen ist, als auch das Unterschießen wie in Deutschland destabilisieren den Euroraum.

Gerade in Deutschland halten viele Ökonomen an alten Rezepten fest. Zum Beispiel favorisieren sie eine harte Sparpolitik und möglichst hohe Leistungsbilanzüberschüsse. Wieso?
Horn: Die meisten Kolleginnen und Kollegen, die vor zehn Jahren hierzulande eine harte Linie vertreten haben, sind heute noch da. Ich habe die alte Generation von Ökonomen abgeschrieben. Von denen erwarte ich keine Veränderungen. Unterhalb der etablierten Lehrstühle, bei den Studierenden, im Mittelbau, bei jungen Professoren findet dagegen sehr wohl eine Debatte über Reformen statt.

Es kommt also auf die kommende Generation an.
Horn: Richtig. Deshalb ist es für uns so wichtig, den Nachwuchs zu fördern – das fängt an mit der Unterstützung von Studierenden über Doktoranden bis hin zu angehenden Professoren. Wir ermöglichen jungen Wissenschaftlern die Teilnahme an Forschungsprojekten, was wiederum die Chancen erhöht, einen Lehrstuhl zu erhalten. Wir haben mittlerweile acht Professoren und Professorinnen hervorgebracht.

Wie steht das IMK heute im Vergleich mit anderen Wirtschaftsinstituten da – immer noch als Außenseiter?
Horn: Wenn ich es mit den Anfängen vergleiche, dann sind wir heute weitaus weniger in einer Außenseiterrolle. Früher wurden wir von Kollegen diskriminiert. Es hieß, wir seien nur das Sprachrohr der Gewerkschaften. Das sagt heute niemand mehr. Unsere wissenschaftliche Arbeit ist akzeptiert, wir werden als eigenständige Größe anerkannt.

Und im internationalen Vergleich?
Horn: Das IMK wird auf Konferenzen in Europa und den USA wahrgenommen – als eine der wenigen deutschen Stimmen, die keine harte neoliberale Politik fordert. Wir haben zum Beispiel 2013 als einziges deutsches Institut ein Forschungsprojekt von George Soros’ Institute for New Economic Thinking bekommen. Dieses Institut ist eine der treibenden Kräfte des ökonomischen Reformdenkens in der Welt.

Wo steht das IMK in zehn Jahren?
Horn: Das IMK wird hoffentlich eines der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute in Deutschland und Europa sein  – nicht bezogen auf die Größe, aber auf die Relevanz.  

  • Der öffentliche Sektor - Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherung - hat seit Mitte der 2000er-Jahre wenig investiert. Ein negativer Wert kam zustande, wenn die Abschreibungen höher als die Bruttoinvestitionen ausfielen. Zur Grafik

Gustav Horn ist wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung.

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