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HBS Böckler Impuls

Beschäftigung: Die deutsche Version von Flexicurity: Anpassungsfähig durch Arbeitszeitkonten

Ausgabe 06/2012

Die jüngste Wirtschaftskrise hat gezeigt: Ausgefeilte Arbeitszeitmodelle nützen mehr als Deregulierung. Was konservative Ökonomen oder Organisationen wie die OECD unter flexiblen Arbeitsmärkten verstehen, greift dagegen zu kurz.

Lange Zeit stand der angeblich „sklerotische“ deutsche Arbeitsmarkt in der Kritik. Als Beleg diente unter anderem der vergleichsweise hohe Regulierungsgrad, den der Employment-Protection-Legislation-Indikator (EPL) der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) Deutschland attestiert. Er gibt Auskunft über Kündigungsschutzregelungen sowie Regulierungen von Leiharbeit und befristeter Beschäftigung – und wird aktuell auch zitiert, wenn es um den Reformbedarf südeuropäischer Krisenländer geht. Je niedriger das Schutzniveau, desto flexibler und beschäftigungsfreundlicher ist nach den Vorstellungen der OECD der Arbeitsmarkt. Dabei hat insbesondere der jüngste Wirtschaftseinbruch gezeigt, dass es auf ganz andere Formen von Flexibilität ankommt, wie Hartmut Seifert feststellt, Arbeitsmarktexperte und früherer Leiter des WSI.

Als infolge der Finanzkrise weltweit die Konjunktur zusammenbrach und Deutschland trotz stark gesunkener Industrieproduktion mit relativ geringen Beschäftigungsverlusten davonkam, sei auf einmal nicht mehr von Überregulierung, sondern vom „deutschen Beschäftigungswunder“ die Rede gewesen, schreibt Seifert in seiner Analyse der deutschen Arbeitsmarkt-Entwicklung seit 2008. Tatsächlich erwies sich der Arbeitsmarkt als erstaunlich stabil: Zwischen April 2008 und April 2009 ging die Produktion im Verarbeitenden Gewerbe um mehr als 25 Prozent zurück. Die Beschäftigung sank nach den Berechnungen des Wissenschaftlers jedoch nur um 8 Prozent. Dies sei vor allem einer Strategie der „internen Flexibilität“ zu verdanken: Arbeitszeitverkürzung statt Kündigung.

Mithilfe von Kurzarbeit und vor allem Arbeitszeitkonten ist es in vielen Betrieben gelungen, Entlassungen und Einkommenseinbußen zu vermeiden. Die Beschäftigten erklärten sich bereit, ihren Anspruch auf die gewohnten Arbeitszeiten aufzugeben, und bekamen im Gegenzug finanzielle Sicherheit. Sie bauten ihre angesammelten Überstunden ab oder verpflichteten sich, ausgefallene Arbeit bei besserer Wirtschaftslage nachzuholen. Solche Arrangements in der Krise zügig und großflächig umzusetzen, wäre ohne entsprechende tarifliche Regelungen und ohne Mitbestimmung kaum möglich gewesen, betont Seifert. Damit hätten gerade Institutionen, die etwa von der OECD eher in die Rubrik „verkrustete Strukturen“ eingeordnet würden, einen großen Beitrag zur Flexibilität der Wirtschaft geleistet.

Angesichts der positiven Erfahrungen hält der Wissenschaftler einen Paradigmenwechsel für überfällig. Flexible Arbeitsmärkte könnten nicht länger mit deregulierten Arbeitsmärkten gleichgesetzt werden. „Flexibilität am Arbeitsmarkt ist mehr, als im EPL-Indikator ausgedrückt. Inhaltlich ist er zu eng geführt“, so Seiferts Resümee. „Er klammert das gesamte Spektrum an Formen und Instrumenten interner Flexibilität aus.“ Doch gerade die habe sich als das beste Mittel erwiesen, dem von der EU angestrebten Ziel der Flexicurity – Flexibilität gepaart mit sozialer Sicherheit – nahe zu kommen. Im Gegensatz dazu führe „externe Flexibilität“ viele Beschäftigte in die Prekarität, wie sich in der Krise ebenfalls beobachten ließ: Rund 200.000 Leiharbeiter verloren innerhalb kürzester Zeit ihren Job. Seifert spricht von den „zwei Gesichtern der Flexibilität“. Ziel der Arbeitsmarktpolitik müsse es sein, die interne, Beschäftigung stabilisierende Variante zu stärken.

  • Arbeitszeitkonten sind auf dem Vormarsch. Zur Grafik

Hartmut Seifert: Die zwei Gesichter der Flexibilität: Stabilität versus Instabilität, in: Sozialer Fortschritt, im Erscheinen

Immer öfter mit Arbeitszeitkonto
Jeder zweite Beschäftigte hat heute ein Arbeitszeitkonto. Das geht aus einer Untersuchung des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hervor.

Sowohl Beschäftigte als auch Betriebe profitierten von Arbeitszeitkonten, sagt IAB-Forscherin Ines Zapf. Beschäftigte könnten die flexibleren Zeiten nutzen, um Beruf und Familie besser unter einen Hut zu bekommen; Betrieben fiele es leichter, den Arbeitseinsatz der Auftragslage anzupassen. Zudem sinken die Kosten, weil aus früher bezahlten Überstunden Zeitguthaben werden, die nicht finanziell vergütet, sondern durch Freizeit ausgeglichen werden.

Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Februar 2012

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