Projektbeschreibung
Kontext
Als Gut der öffentlichen Grundversorgung sind der Zugang zu und die Verfügbarkeit über Energie von existenzieller Bedeutung und relevant für die gesellschaftliche Teilhabe vulnerabler Personen. Angesichts von über 350.000 Stromsperrungen in Deutschland im Jahr 2014 ist es bemerkenswert, dass die öffentliche Grundversorgung vulnerabler Personen und Haushalte bisher bundesweit kein sozialpolitisches Thema war. Gleichwohl praktizieren Energiegrundversorgungsunternehmen in Deutschland eigene soziale Maßnahmen und Programme, was darauf verweist, dass dieses soziale Problem auf kommunaler Ebene wahrgenommen und auch bearbeitet wird. Aus Perspektive der Sozialpolitikforschung stellt sich damit die Frage, wie Energieunternehmen die ihnen zugewiesenen Aufgaben und Probleme in der öffentlichen Grundversorgung wahrnehmen, welche Handlungspraxen sie entwickeln und welche Bedeutung den institutionellen sozialstaatlichen Rahmenbedingungen dabei beigemessen wird.
Fragestellung
Von besonderem Interesse war es zu untersuchen, wie sich Unternehmen in der öffentlichen Grundversorgung verschiedener nationaler Wohlfahrtsregimetypen (konservativ und liberal) und unterschiedlichen Eigentümerstrukturen (kommunal und privat) mit sozialen Problemen auseinandersetzen, mit welchen Ideen, Deutungen und Strategien sie darauf Bezug nehmen und welche Konsequenzen sich daraus für die öffentliche Grundversorgung ergeben.
Die entsprechenden forschungsleitenden Fragestellungen lauteten:
1. In welcher Art und Weise werden Unternehmen in der öffentlichen Energiegrundversorgung mit sozialpolitischen Problemen und Herausforderungen konfrontiert?
2. Mit welchen Ideen, Deutungen und Strategien reagieren Unternehmen in der öffentlichen Energiegrundversorgung auf sozialpolitische Probleme und Herausforderungen?
3. In welcher Art und Weise kommt es zu Veränderungen in der öffentlichen Energiegrundversorgung, wenn Unternehmen als sozialpolitische Akteure in Erscheinung treten?
Untersuchungsmethoden
Im Forschungsprojekt wurden in Form einer Politikanalyse und unternehmensbezogener Fallstudien insgesamt 47 teilstandardisierte Experteninterviews in Deutschland, Großbritannien und auf europäischer Ebene in Brüssel geführt. Die Interviews wurden vollständig transkribiert und computergestützt (MAXQDA 11) mit der Methode der qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet.
Die Mehrebenen-Politikanalyse basiert auf der Auswertung von wichtigen Dokumenten sowie von 20 Experteninterviews mit relevanten Entscheidungsträgern und Führungskräften der Energiewirtschaft, der Energiepolitik sowie einschlägiger Sozialverbände auf europäischer, nationalstaatlicher und regionaler Ebene. In den Fallstudien wurden vier der sechs marktbeherrschenden Energieunternehmen in Großbritannien, drei der vier marktbeherrschenden Energieunternehmen in Deutschland sowie drei große deutsche kommunale Stadtwerke anhand von Dokumenten und 27 Experteninterviews untersucht.
Darstellung der Ergebnisse
Die britische und die deutsche Regierung verfolgen verschiedene Ansätze im Umgang mit sozialen Risiken in der Energiegrundversorgung:
Großbritannien:
- Es gibt eine öffentliche politische Debatte über soziale Risiken in der Energiegrundversorgung.
- Im Rahmen der Energiearmutspolitik wurden Energieunternehmen über soziale Verpflichtungen gegenüber vulnerablen Kunden in die sozialstaatliche Daseinsvorsorge eingebunden.
- Diese Anforderungen an Energieunternehmen haben zu einer umfangreichen, konvergenten Handlungspraxis geführt.
Deutschland:
- Es gibt allenfalls erste Ansätze einer öffentlichen politischen Debatte über soziale Risiken in der Energiegrundversorgung.
- Die sozialen Maßnahmen von Energieunternehmen sind selbstgesteuert. Somit werden wohlfahrtsstaatliche Entscheidungs- und Verteilungslogiken ausgesetzt.
- Während Kommunen mit "ihren" Stadtwerken zusammenarbeiten, um Stromsperren zu verhindern, sind private Unternehmen davon ausgeschlossen.
- Aktuell werden vulnerable Personen zusätzlich belastet, da sie an den jeweils geltenden teuren Grundversorgungstarif gebunden und von den Optionen des liberalisierten Energiemarktes ausgeschlossen sind.