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HBS Böckler Impuls

Berufsausbildung: Was Azubis besser können

Ausgabe 07/2018

Die duale Ausbildung hat ein Imageproblem. Aber sie vermittelt berufliche und soziale Fähigkeiten, die sich anderweitig nur schwer erlernen lassen.

Die traditionelle Arbeitswelt scheint sich aufzulösen: In den gängigen Zukunftsszenarien bestimmen nicht mehr praktisch Ausgebildete, die morgens in ihren Betrieb kommen, das Bild. Bald, so scheint es, geben überall akademisch Geschulte, die mal hier, mal dort vor ihrem Computer sitzen, den Ton an. Entsprechend zieht die betriebliche Ausbildung weniger Jugendliche an. Und die Zahl der Firmen, die ausbilden, nimmt ab. Dabei bereitet gerade die Ausbildung im Betrieb besser auf den Wandel der Arbeitswelt vor als andere „Lernwege“, wie eine Untersuchung von Sabine Pfeiffer, Tobias Ritter, Petra Schütt und Corinna Hillebrand-Brem vom Münchener Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung zeigt. Die Forscher haben anhand von rund 150 Beschäftigtenbiografien herausgearbeitet, worin sich Arbeitnehmer mit dualer Ausbildung von Studierten, Ungelernten oder Quereinsteigern unterscheiden. Ihr Fazit: Beschäftigte mit Lehre haben die Nase vorn, wenn es um das „organisationale Arbeitsvermögen“ geht.

Der Betrieb ist als Lernort unersetzlich

Was ist damit gemeint? Es geht nicht darum, eine einzelne fachlich anspruchsvolle Aufgabe korrekt zu erledigen – das können Spezialisten mit anderem Hintergrund auch. Aber die Fähigkeit, die eigene Tätigkeit im Gesamtzusammenhang richtig einzuordnen, Anforderungen und Probleme auf vor- oder nachgelagerten Produktionsstufen zu erkennen, Machtverhältnisse, Sachzwänge und die soziale Komponente richtig einzuschätzen, fällt dual Ausgebildeten oft leichter. Ein Beispiel ist der Umgang mit der Hierarchie: Während Hochschulabsolventen eher mit ihren Chefs aneinandergeraten und diesen unliebsame Anweisungen persönlich übel nehmen, sind Beschäftigte mit Lehre besser in der Lage zu erkennen, welche Zwänge sich aus der Vorgesetztenrolle ergeben – und können damit nüchtern umgehen. Dieser Blick für die Organisation als Ganze kommt den Forschern zufolge unter anderem dadurch zustande, dass Azubis in der Ausbildung oft in unterschiedlichen Abteilungen des Unternehmens gearbeitet haben, was bei später eingestellten Spezialisten selten der Fall ist. Häufig erwiesen sich die Kollegen mit Berufsausbildung gerade wegen ihres Gespürs für Prozesse jenseits der Fachebene als die flexibleren Beschäftigten – eine „entscheidende Innovationsressource für die Unternehmen“. 

Kooperation und das Austragen von Konflikten mit Kollegen unterschiedlicher Ebenen und Fachrichtungen, das Nutzen oder Unterlaufen von Hierarchien, das Schmieden von Koalitionen und geschickter Umgang mit Gremien, um eigene Interessen durchzusetzen: All dies lasse sich am besten im Betrieb üben, schreiben Pfeiffer und ihre Forscherkollegen. „Der Lernort Betrieb ist durch nichts ersetzbar.“ Maßnahmen, die betriebliche Wirklichkeit nur simulieren, blieben immer „defizitär für die Ausbildung organisationalen Arbeitsvermögens“. 

Dass es auf diese im Betrieb gelernten Fähigkeiten bald nicht mehr ankommt, glauben die Sozialforscher nicht. Zwar gebe es zweifellos Erosions- und Entgrenzungserscheinungen. Doch trotz Homeoffice und Crowdwork werde der „Betrieb als physischer Ort“ so schnell nicht verschwinden.

Der Blick auf Länder ohne duales Ausbildungssystem zeige außerdem, dass diese Deutschland „um Jahrzehnte“ hinterherhinken, „wenn es darum geht, technologisch anspruchsvollen Veränderungen mit entsprechenden Ausbildungsinhalten und -formen zu begegnen“. Im dualen System entwickelten sich die Lerninhalte „hochdynamisch und bedarfsorientiert“. 

Bei der Berufsausbildung geht es den Wissenschaftlern aber noch um mehr als um individuelle Karrierechancen oder die Stellung der Firma im internationalen Wettbewerb. Die Integration im Betrieb ermögliche es jungen Leuten auch, eine „soziale Identität über die Arbeit herzustellen“. Zudem würde hier die demokratische Mitbestimmung in Staat und Gesellschaft eingeübt. Berufliche Bildung, konstatieren die Forscher, „ist die Grundlage für gute Arbeit und gesellschaftliche Teilhabe“.

  • Immer mehr Jugendliche studieren. Zur Grafik

Sabine Pfeiffer u.a.: Betrieb lernen (pdf), Study der Hans-Böckler-Stiftung Nr. 366, August 2017  

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