Löhne: Ausbildung: Besser im Tarifbetrieb
Kaum ein nach Tarif bezahlter Azubi muss noch mit weniger als 1000 Euro im Monat zurechtkommen. Der Fachkräftemangel führt in vielen Branchen zu überdurchschnittlichen Erhöhungen.
Nach einer erneut kräftigen Erhöhung der tarifvertraglichen Ausbildungsvergütungen um 6,4 Prozent gibt es nur noch sehr wenige Branchen, in denen im ersten Jahr weniger als 1000 Euro im Monat gezahlt werden. Dies zeigt eine aktuelle Studie über 20 ausgewählte Tarifbranchen, die das WSI-Tarifarchiv vorgelegt hat.
„Mit den Tarifverträgen sichern die Gewerkschaften den Auszubildenden ein Einkommen, das in der Regel mindestens dem Bafög-Höchstsatz für Studierende von derzeit 992 Euro entspricht“, sagt Thorsten Schulten, Autor der Studie und Leiter des WSI-Tarifarchivs. „Damit wird dem Anspruch vieler Auszubildender nach einer von den Eltern unabhängigen Existenzsicherung Rechnung getragen.“
Problematisch ist die Situation hingegen in Bereichen, in denen keine Tarifverträge existieren. „Hier erhalten die Auszubildenden oft lediglich die viel zu niedrige Mindestausbildungsvergütung von 682 Euro im Monat“, so Schulten. Der DGB fordert deshalb, die Mindestausbildungsvergütung auf wenigstens 80 Prozent der durchschnittlichen tarifvertraglichen Vergütungen anzuheben, was derzeit 834 Euro im Monat entsprechen würde.
„Unter den Engpassberufen, in denen Fachkräfte fehlen, sind längst auch etliche Ausbildungsberufe“, sagt Bettina Kohlrausch, die wissenschaftliche Direktorin des WSI. „Eine Stärkung der Tarifbindung ist ein wichtiger Beitrag, um die Fachkräftebasis von morgen zu sichern.“
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Große Niveauunterschiede
Die Ausbildungsvergütungen werden normalerweise im Rahmen der regulären Tarifverhandlungen zusammen mit den Entgelten der Beschäftigten verhandelt. Je nach Branche, Region und Ausbildungsjahr zeigen sich bei den tarifvertraglichen Ausbildungsvergütungen große Niveauunterschiede. Insgesamt reicht die Spannbreite in den vom WSI untersuchten Tarifbranchen von 710 Euro im Monat im ersten Ausbildungsjahr im Friseurhandwerk in Nordrhein-Westfalen bis zu 1650 Euro im Monat im vierten Ausbildungsjahr für gewerbliche Auszubildende im westdeutschen Bauhauptgewerbe.
Die Unterschiede zeigen sich bereits im ersten Ausbildungsjahr. In der Mehrzahl der untersuchten Tarifbranchen liegen die Vergütungen mittlerweile über 1000 Euro pro Monat – oft deutlich. Es gibt nur wenige Ausnahmen: In der Landwirtschaft werden im Bezirk Nordrhein 855 Euro gezahlt, in Mecklenburg-Vorpommern 906 Euro, die Floristik in Westdeutschland zahlt im ersten Jahr 900 Euro, das Friseurhandwerk in Nordrhein-Westfalen 710 Euro.
In etwa der Hälfte der untersuchten Tarifbranchen liegt die Ausbildungsvergütung zwischen 1000 und 1200 Euro pro Monat. Hierzu gehören das Backhandwerk, das Bauhauptgewerbe, die Druckindustrie, der Einzelhandel, das Gastgewerbe, die Gebäudereinigung, die Holz und Kunststoff verarbeitende Industrie, das Kfz-Handwerk und das private Verkehrsgewerbe. Hinzu kommen für das ostdeutsche Tarifgebiet die chemische Industrie sowie für Nordrhein-Westfalen die Süßwarenindustrie.
In lediglich sieben der untersuchten Tarifbranchen existieren bundesweit einheitliche Ausbildungsvergütungen. Das betrifft das Backhandwerk, das private Bankgewerbe, die Druckindustrie, die Deutsche Bahn AG, das Gebäudereinigungshandwerk, den öffentlichen Dienst und das Versicherungsgewerbe.
In zwölf Tarifbranchen bestehen teilweise nach wie vor Unterschiede im Niveau der Ausbildungsvergütungen zwischen den west- und den ostdeutschen Tarifgebieten. Den größten Unterschied gibt es mit einer Differenz von 220 Euro in der Textilindustrie sowie in der Floristik mit 218 Euro. In den übrigen Branchen variieren die Ost-West-Unterschiede zwischen 12 Euro in der chemischen Industrie und 135 Euro im Gastgewerbe. Im privaten Verkehrsgewerbe, in der Landwirtschaft und in der Süßwarenindustrie liegen die ostdeutschen Ausbildungsvergütungen oberhalb des Niveaus in Westdeutschland.
Erhebliche Vergütungsdifferenzen bleiben auch im zweiten und dritten Ausbildungsjahr erhalten. So variieren die Monatsbeträge im zweiten Ausbildungsjahr zwischen 830 Euro, die im Friseurhandwerk in Nordrhein-Westfalen gezahlt werden, und 1477 Euro für Auszubildende in der Pflege bei Bund und Kommunen.
Mit Ausnahme des Friseurhandwerks und der Landwirtschaft im Tarifbezirk Nordrhein liegen im dritten Ausbildungsjahr mittlerweile alle Ausbildungsvergütungen oberhalb von 1000 Euro.
1650 Euro auf dem Bau
In elf der ausgewerteten Branchen existiert darüber hinaus auch eine Vergütung für ein viertes Ausbildungsjahr. Die höchste Ausbildungsvergütung wird dann mit 1650 Euro im Monat im westdeutschen Bauhauptgewerbe für gewerbliche Auszubildende gezahlt. Der niedrigste Wert für das vierte Ausbildungsjahr findet sich mit 1185 Euro im Kfz-Gewerbe von Thüringen.
Im Laufe des Ausbildungsjahres 2024/25 sind die tarifvertraglichen Ausbildungsvergütungen in den vom WSI berücksichtigten Tarifbranchen im ungewichteten Durchschnitt, das heißt ohne Berücksichtigung der unterschiedlichen Ausbildungszahlen in den einzelnen Tarifbranchen, im ersten Ausbildungsjahr um 6,4 Prozent gestiegen. Gegenüber dem vorherigen Ausbildungsjahr, als der Anstieg in Zeiten erhöhter Inflation bei außergewöhnlichen 9 Prozent lag, sind die Zuwächse in diesem Jahr geringer ausgefallen. Dennoch steigen die Ausbildungsvergütungen weiterhin schneller als die regulären Tarifvergütungen der Beschäftigten, die im Jahr 2024 um 5,5 Prozent zugelegt haben.
In etwa der Hälfte der untersuchten Tarifbereiche lagen die Erhöhungen der Ausbildungsvergütungen in den letzten fünf Jahren zwischen 20 und 35 Prozent. Lediglich in fünf Branchen betrug der Zuwachs weniger als 20 Prozent, wobei der öffentliche Dienst von Bund und Gemeinden mit etwas über 13 Prozent das Schlusslicht bildete. „Insgesamt kam es in solchen Branchen zu besonders starken Erhöhungen, in denen traditionell eher niedrigere Ausbildungsvergütungen gezahlt werden und die vor dem Hintergrund eines zunehmenden Fachkräftemangels einen besonders hohen Anpassungsbedarf haben“, resümiert Studienautor Schulten.
Thorsten Schulten und das WSI-Tarifarchiv, Tarifvertragliche Ausbildungsvergütungen 2025, Eine Auswertung von 20 ausgewählten Tarifbranchen, WSI-Tarifarchiv, Analysen zur Tarifpolitik Nr. 110, Juni 2025