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Hennig-Wellsow , Reiner Hoffmann und Walter-Borjans auf der Böckler Konferenz für Aufsichtsräte Service aktuell

Böckler Konferenz für Aufsichtsräte : Farbe bekennen für die Mitbestimmung

Bei der Böckler Konferenz für Aufsichtsräte wurden Vertreter aller großen demokratischen Parteien gefragt, wie sie nach der Bundestagswahl die Mitbestimmung stärken wollen – und ob überhaupt.

Von Joachim F. Tornau

Solidarität in der Pandemie, wachsende soziale Ungleichheit, Ängste und Unsicherheiten in der Bevölkerung angesichts einer sich rasant verändernden Arbeitswelt: Der Themenbogen war weit gespannt, als die Groninger Philosophie-Professorin Lisa Herzog und der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann die diesjährige Böckler Konferenz für Aufsichtsräte mit einer gemeinsamen Gegenwartsanalyse eröffneten. Doch so unterschiedlich ihre Blickwinkel auch waren, immer wieder landeten der Praktiker und die politische Philosophin beim selben zentralen Punkt: der Bedeutung der Mitbestimmung und der Notwendigkeit ihrer Stärkung - für den Wert der Arbeit und für die Zukunft unserer Demokratie.

„Wenn die Arbeitswelt als Integrationsort versagt, dann ist das für die Demokratie insgesamt ein Problem – nicht nur für die Betriebe“, sagte Herzog. Für den künftigen gesellschaftlichen Zusammenhalt komme es entscheidend darauf an, dass die Veränderungen der Wirtschaft durch Digitalisierung und sozial-ökologische Transformation den Menschen nicht mehr als Bedrohung erscheinen. Von „Sicherheit im Wandel“ sprach ihr Gegenüber Reiner Hoffmann und betonte: „Das ist, was die Mitbestimmung leisten kann.“

Unter dem Motto „Mit Bestimmung! In Bewegung“ wurde bei der aus Berlin übertragenen Digitalkonferenz, der zahlreiche Aufsichtsratsmitglieder im Livestream folgten, anschließend konkret ausbuchstabiert, was aus diesem Befund folgt – oder folgen sollte. Nachdem sich die teilnehmenden Arbeitnehmervertreterinnen und -vertreter zunächst in einem Kreativworkshop über ihre Erfahrungen austauschen oder in verschiedenen Themencafés von Fachleuten über aktuelle Fragen der Aufsichtsratsarbeit informieren lassen konnten, wurden die gewerkschaftlichen Forderungen zur Stärkung der Mitbestimmung mit der Politik diskutiert. In einer Podiumsdiskussion mit Reiner Hoffmann mussten Vertreterinnen und Vertreter aller im Bundestag vertretenen demokratischen Parteien Farbe bekennen: Wie halten sie’s mit der Mitbestimmung der Zukunft?

Deutlich wurde dabei: Mitbestimmung mag nicht bei allen Parteien gleich weit oben auf der Agenda stehen, aber sie ist im Bundestagswahljahr zum Thema geworden. Sie wird als wichtiges Element im politischen Bauplan anerkannt, um die Transformation in eine klimaschonende Zukunft in sozialer Sicherheit und Wohlstand zum Erfolg zu machen. Und es blieb bei der Diskussion nicht beim allgemeinen Bekenntnis. Viele konkrete Vorschläge kamen zusammen, wie die Mitbestimmung in ihrer Bedeutung besser anerkannt und gesetzlich fortentwickelt werden sollte. „Die Wege waren noch sehr verschieden“, bilanzierte Norbert Kluge, Geschäftsführer der Hans-Böckler-Stiftung. „Aber Mitbestimmung ist auf der politischen Agenda. Und das ist ein erster Erfolg unserer Mitbestimmungskampagne.“

Schließen der rechtlichen Schlupflöcher, die von immer mehr Unternehmen zur Vermeidung eines mitbestimmten Aufsichtsrats genutzt werden, Erstreckung der Mitbestimmung auch auf deutsche Unternehmen mit ausländischer Rechtsform, Abschaffung des Doppelstimmrechts des Aufsichtsratsvorsitzenden wenigstens bei Entscheidungen über Werksschließungen oder Massenentlassungen sowie Absenkung des Schwellenwerts für einen paritätisch besetzten Aufsichtsrat von 2000 auf 1000 Beschäftigte: Diese Forderungen der Gewerkschaften, sagte Katrin Göring-Eckardt, Vorsitzende der grünen Bundestagsfraktion, habe man bereits im März als Antrag in den Bundestag eingebracht – und das sei „sehr ernst gemeint“ gewesen. „Das werden wir selbstverständlich auch in potenziellen Koalitionsverhandlungen auf den Tisch legen.“

Ähnlich äußerte sich SPD-Vorsitzender Norbert Walter-Borjans und erklärte die Stärkung der Mitbestimmung dabei sogar zur „conditio sine qua non“, zur notwendigen Bedingung seiner Partei bei jeglichen Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl: „Die Mitbestimmung wird zerbröseln, wenn wir sie nicht anpassen.“ Linken-Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow verwies auf die negativen Erfahrungen bei der Transformation in Ostdeutschland nach der Wende, bei der es so gut wie keine Mitbestimmung der Beschäftigten gegeben habe. „Deshalb: so viel Mitbestimmung, wie es nur irgend geht.“

Auch Karl-Josef Laumann, Vorsitzender des CDU-Arbeitnehmerflügels CDA und Arbeitsminister in Nordrhein-Westfalen, sprach sich für eine „Aktualisierung“ der Mitbestimmungsgesetze aus. Doch statt auf die Politik würde er lieber auf eine Expertenkommission unter Beteiligung der Sozialpartner setzen – eine Art Neuauflage der „Biedenkopf-Kommission“ also, die sich 2005 um eine Modernisierung der Unternehmensmitbestimmung bemüht hatte, aber ohne Einigung endete. „Ziel muss ein hoher Konsens sein“, sagte Laumann. „Das muss zumindest versucht werden.“ Der CDU-Politiker schlug zudem vor, die Beschäftigtenzahl als Kriterium für das Ausmaß der Mitbestimmung zu überdenken. „Das ist ein Maßstab aus den Siebzigern.“ Sinnvoller als an solche Schwellenwerte könnte die Verpflichtung zur Mitbestimmung möglicherweise an die wirtschaftliche Bedeutung eines Unternehmens geknüpft werden.

  • Karl-Josef Laumann auf der Böckler Konferenz für Aufsichtsräte
    Karl-Josef Laumann, Vorsitzender des CDU-Arbeitnehmerflügels CDA und Arbeitsminister in Nordrhein-Westfalen.

Zurückhaltender zeigte sich FDP-Bundesvize Johannes Vogel. Einer Ausweitung der Arbeitnehmerbeteiligung nach dem Vorbild der Montanmitbestimmung, wie sie die Gewerkschaften unter anderem mit der Abschaffung des Doppelstimmrechts für den Aufsichtsratsvorsitzenden oder der Absenkung des Schwellenwerts fordern, stehe er skeptisch gegenüber. Er sei jedoch „gesprächsbereit“, wenn es darum gehe, die Mitbestimmungsgesetze auf alle Unternehmen mit Verwaltungssitz in Deutschland zu erstrecken, unabhängig von der Rechtsform, erklärte der Liberale.

Wird der jahrzehntelange mitbestimmungspolitische Stillstand nach der Bundestagswahl endlich beendet? Stiftungsgeschäftsführer Norbert Kluge zog nach der Diskussion ein zuversichtliches Fazit. „Ich bin ermutigt, dass da jetzt Bewegung hineinkommt“, sagte er. Aber: „Gewerkschaften warten nicht auf die Politik.“ Die Politik müsse sich entscheiden, ob sie die Mitbestimmungsrechte stärken oder sich auf unruhigere politische Zeiten in der Arbeitswelt einstellen wolle. „Wir müssen und werden dranbleiben.“ Die Informationskampagne „Mitbestimmung sichert Zukunft“, die die Stiftung im Bundestagswahljahr gestartet hat, werde jedenfalls nicht am Wahltag enden.

  • Das Logo der Böckler Konferenz für Aufsichtsräte
    Das Motto der diesjährigen Böckler Konferenz für Aufsichtsräte lautete „Mit Bestimmung! In Bewegung“.

Weitere Informationen

Veranstaltung zum 70-jährigen Jubiläum der Montanmitbestimmung

Website zur Informationskampagne

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