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70 Jahre Montanmitbestimmung: Vorwärtsgewandter Blick in die Vergangenheit

Eine Online-Tagung des Hoesch-Museums und der Stiftung Geschichte des Ruhrgebiets kurz vor dem 1. Mai zum Jahrestag der Montanmitbestimmung zeigte: Echte Parität in Aufsichtsräten taugt als Vorbild für die Zukunft.

Von Joachim F. Tornau

Als das „Edelste, was wir heute kennen“ bezeichnete Michael Vassiliadis, Vorsitzender der IG BCE, die Montanmitbestimmung. Von einem „Erfolgsmodell“ sprach IG-Metall-Vize Christiane Benner. Und für Werner Nass, ehemals Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats und Mitglied des Aufsichtsrats beim Stahlkonzern Krupp-Hoesch, war die gleichberechtigte Mitbestimmung auf Augenhöhe der entscheidende Grund, warum die Folgen des Strukturwandels im Ruhrgebiet abgefedert werden konnten: „Wenn die Montanmitbestimmung nicht da gewesen wäre, dann hätte es im Ruhrgebiet Massenentlassungen gegeben“, sagte der 81-Jährige. „Aber so ist keiner ins Bergfreie gefallen.“

Vor 70 Jahren, am 10. April 1951, beschloss der Bundestag das „Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie“. Was fortan etwas griffiger als Montanmitbestimmung bezeichnet wurde, ist bis heute die einzige Regelung für echte Parität zwischen Anteilseignern und Arbeitnehmern im Aufsichtsrat. Pattsituationen werden nicht, wie in paritätisch besetzten Aufsichtsräten nach dem Mitbestimmungsgesetz von 1976, durch ein Doppelstimmrecht der oder des Vorsitzenden entschieden, sondern durch eine neutrale Person. Außerdem gehört dem Unternehmensvorstand ein Arbeitsdirektor an, der von der Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat bestimmt wird.

„Fundamentaldebatte“ über die Mitbestimmung der Zukunft

Zum Jubiläum der Montanmitbestimmung veranstalteten das Hoesch-Museum und die Stiftung Geschichte des Ruhrgebiets am 27. April 2021 eine prominent besetzte Online-Veranstaltung, bei der es nicht nur um die Historie ging. „Wir werfen einen vorwärtsgewandten Blick in die Vergangenheit“, so formulierte es Daniel Hay, wissenschaftlicher Direktor des I.M.U. der Hans-Böckler-Stiftung. Denn: Die Idee der Montanbestimmung sei top-aktuell, das Doppelstimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden dagegen schon lange nicht mehr zeitgemäß. „Wenn wir die sozial-ökologische Transformation bewältigen und unsere Wirtschaft erhalten wollen, geht das nicht gegen und nicht ohne die Beschäftigten“, erklärte Hay. „Das ist die DNA einer nachhaltigen Unternehmensführung.“

Im Bundestagswahljahr hat die Stiftung die Kampagne „Mitbestimmung sichert Zukunft“ gestartet. Nicht allein um die Verteidigung bestehender Rechte geht es dabei, sondern um das selbstbewusste Einfordern von mehr Mitbestimmung – gerade bei Entscheidungen zur Unternehmensstrategie. Und das nicht nur national: „Die Europäisierung des Gesellschaftsrechts können wir nicht mehr rückgängig machen“, sagte I.M.U.-Expertin Maxi Leuchters. „Aber wir brauchen auch hier ein Mehr an Mitbestimmungsrechten.“ Oder konkret: eine EU- Rahmenrichtlinie zur Information, Konsultation und Mitbestimmung der ArbeitnehmerInnen.

Als „kommunizierende Röhren“ beschrieb IG-Metall-Vize Benner die Mitbestimmung auf Unternehmens- und auf betrieblicher Ebene. Auch Betriebsräte bräuchten deshalb mehr Mitbestimmungsrechte in wirtschaftlichen Angelegenheiten, etwa bei der Beschäftigungssicherung, bei der Personalplanung oder um einen Interessenausgleich erzwingen zu können. „Die Arbeitswelt hat sich fundamental verändert“, sagte Benner. Das fast 50 Jahre alte Betriebsverfassungsgesetz müsse endlich daran angepasst haben. „Der Stillstand bei der Betriebsverfassung bedeutet Rückschritt.“

Noch einen Schritt weiter ging IG-BCE-Vorsitzender Vassiliadis. Er forderte die Gewerkschaften zu einer „Fundamentaldebatte“ über die Mitbestimmung der Zukunft auf. „Lange haben wir Fehlkonstruktionen wie das Doppelstimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden akzeptiert“, sagte Vassiliadis. Jetzt aber sei angesichts der massiven Umbrüche in der Wirtschaft eine offensive Strategie gefragt: „Es muss was Neues her.“ Die ökologische Modernisierung dürfe nicht allein den Unternehmen überlassen werden. „Wir müssen dabei zur treibenden Kraft werden, dürfen nicht verharren in der reinen sozialen Ausgestaltungsrolle“, sagte der Gewerkschaftsvorsitzende. „Man muss die Mitbestimmung wieder mit einer Vision ausstatten.“

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