Aufsichtsratsporträt: Mit Kalkül und Bauchgefühl
Als Teenager schaute Robert Kensbock bei Siemens vorbei – eigentlich nur, weil er schulfrei haben wollte. Heute sitzt er bei Siemens Energy im Aufsichtsrat. Von Andreas Schulte
Robert Kensbock ruckelt sich im Lehnstuhl des schmucklosen Betriebsratsbüros zurecht, lächelt und sucht Blickkontakt. „Darf man eigentlich gar nicht erzählen“, murmelt er. Aber dann erzählt er doch von seinem Karrierestart, den er als Jugendlicher ganz unbedarft lostrat. Damals, kurz vor Ende der Schulausbildung zum elektrotechnischen Assistenten, hatte er bereits einen Ausbildungsvertrag als technischer Zeichner in der Tasche. „Aber es gab für Bewerbungsgespräche schulfrei.“ Also schaute er für sein Alibi bei Siemens in Mülheim an der Ruhr vorbei. Unverhofft machte Siemens einen guten Eindruck auf ihn – und er auf Siemens.„Letztlich habe ich bei Siemens angefangen, weil der Weg zu deren Berufsschule kürzer war als der andere“, gibt er zu.
Die Anekdote steht exemplarisch für die Laufbahn des 54-Jährigen. Auch später hat Kensbock mit einem sicheren Gespür für das Richtige zielstrebig zugegriffen, wenn sich Gelegenheiten boten – für sich, aber vor allem dazu, die Interessen von Beschäftigten zu vertreten. Heute ist er Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats bei Siemens Energy, stellvertretender Vorsitzender des Europäischen Betriebsrats und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender. Mit der Ausbildung wird er gleich als Vertrauensmann der IG Metall und in der Jugendauszubildendenvertretung (JAV) aktiv. 1996 wird er zum Betriebsratsmitglied in Mülheim gewählt. „Das war nicht mein Ziel, aber der Schritt lag nach den Jahren in der JAV nahe.“
Kensbock erhält im Jahr 2000 das Angebot, als Weiterbildungsleiter in die Personalabteilung zu wechseln. 2004 bietet Siemens ihm die Chance für einige Jahre in die USA zu gehen. Schon am nächsten Tag sagt er instinktiv zu. „Ich verlasse mich oft auf mein Bauchgefühl und habe oft Glück gehabt“, sagt er.
Doch ohne Kalkül geht es nicht. Als Betriebsrat sei er ein Taktiker, einer, der tausend Schritte im Voraus berechnet, verrät eine Kollegin. So wie 2021, als das Geschäft mit den Gasturbinen ins Stocken gerät. Die erst im Vorjahr ausgegründete Siemens Energy schreibt rote Zahlen. Tausende Mitarbeiter sollen entlassen werden. Viele unterschreiben Aufhebungsverträge. Doch Kensbock warnt vor dem Aderlass und weist auf das langfristige Geschäftspotenzial mit dieser Technik hin. Der Arbeitgeber will davon nichts wissen. „Heute fehlen uns diese Fachkräfte“, sagt Kensbock.
2013 wird er in den Aufsichtsrat der Siemens AG gewählt. Um sich das nötige Rüstzeug für die Aufgabe zuzulegen, habe er die eine oder andere Schulung besucht - auch bei der Hans-Böckler-Stiftung. Aktuell ist er stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats bei Siemens Energy. Die dortige Arbeit beschreibt er als ein sehr konstruktives Miteinander. „Die hören uns gut zu“, sagt er über den Vorstand.
Gemeinsam mit einem Vertreter der Arbeitgeberseite bildet er den Monitoring-Ausschuss. Das Gremium widmet sich den Herausforderungen von Siemens Gamesa. Die Windsparte hat Siemens Energy aufgrund von technischen Mängeln bei Turbinen schon 2023 einmal in Schieflage gebracht. Kensbock will nicht, dass sich dies wiederholt. Zur Vorbereitung der Ausschüsse und von Aufsichtsratssitzungen durchforstet er oft Hunderte Seiten an Text – oft am Wochenende. Sein Pensum? Ein bisschen mehr als 40 Stunden pro Woche, untertreibt er.