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Magazin Mitbestimmung

Gewerkschaftspolitik: Kein Betrieb ohne Betriebsrat

Ausgabe 03/2014

Die Gewerkschaften wollen die Mitbestimmung offensiv voranbringen: Marksteine sind 2014 die Betriebsratswahlen und der DGB-Kongress. Das Ziel heißt: Mehr Betriebsräte, mehr Demokratie in der Wirtschaft. Von Joachim F. Tornau

Solche Zahlen würden jede Partei mit strahlendem Stolz erfüllen: Knapp 73 Prozent der Mandate gingen bei den letzten turnusmäßigen Betriebsratswahlen 2010 an die DGB-Gewerkschaften. Und die Wahlbeteiligung kletterte auf fast 81 Prozent – ein Wählerinteresse, von dem in der Politik seit Langem nur noch geträumt werden kann.

Also entspannt zurücklehnen und abwarten, was die diesjährigen Wahlen bringen? Nein, sagen die Gewerkschaften. Sie haben sich die Stärkung der betrieblichen Mitbestimmung auf die Fahnen geschrieben – und das bedeutet nicht allein, in den rund 30 000 Betrieben, in denen zwischen März und Mai eine neue Arbeitnehmervertretung gewählt wird, möglichst gut abzuschneiden. 

„Unser langfristiges Ziel ist: Kein Betrieb ohne Betriebsrat“, gab IG-Metall-Vize Jörg Hofmann kürzlich als Losung aus. Und da ist noch einiges zu tun: Nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesarbeitsagentur wurden 2012 nur noch 43 Prozent der Beschäftigten in der westdeutschen Privatwirtschaft von einem Betriebsrat vertreten und 36 Prozent im Osten. Tendenz fallend.

Ähnlich wie bei der Chemiegewerkschaft IG BCE (siehe dazu den Beitrag von Sigrid Thomsen in diesem Heft) kümmern sich zusätzlich auch bei der IG Metall speziell geschulte Gewerkschaftssekretäre um Unternehmen, die noch keinen Betriebsrat haben. „Wir wollen die weißen Flecken erschließen“, sagt Tanja Jacquemin, Leiterin Betriebspolitik bei der IG Metall. Schon nach den Wahlen 2010 hatte die Gewerkschaft mit insgesamt knapp 11 000 Betriebsräten rund 1500 Gremien mehr registriert als vier Jahre zuvor. Dieser Trend soll noch mal einen Schub bekommen. Ganz so ambitioniert zeigen sich die anderen Gewerkschaften nicht. Das aufwendige Geschäft der Neugründung von Betriebsräten, heißt es fast unisono, werde eher in der Zeit zwischen den regulären Wahlen betrieben. Und weniger dann, wenn die Gewerkschaften sowieso schon alle Hände voll zu tun haben. Mit der Suche nach Kandidaten, mit der Schulung von Wahlvorständen, mit Wahlkampf. 

Die größte Sorge bereitet ihnen dabei die drohende Überalterung in den Arbeitnehmervertretungen. Der „Trendreport“ der Hans-Böckler-Stiftung zu den Wahlen 2010 führte diese Entwicklung am Beispiel eines Samples von Metallbetrieben eindrücklich vor: Demnach war seit 2002 der Anteil der Betriebsratsmitglieder unter 30 Jahren von 8,4 auf 6,7 Prozent gesunken. Der Anteil der 46- bis 59-Jährigen hingegen stieg im selben Zeitraum von 35,3 auf 45,4 Prozent.

ÜBERALTERERUNG DER BR-GREMIEN


„Den demografischen Wandel haben wir nicht nur in den Betrieben, sondern auch in den Betriebsratsgremien“, sagt Klaus Weiß, der in der Hauptverwaltung der IG BCE mit den Wahlen befasst ist. „Wir brauchen dringend mehr jüngere Leute.“ Doch sie zu einer Kandidatur zu bewegen werde immer schwieriger. Klaus Ulrich, Mitbestimmungsexperte der IG Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU), kann das bestätigen – und macht die zunehmende prekäre Beschäftigung und die unsichere berufliche Zukunft junger Menschen dafür verantwortlich. „Das ist ein gesellschaftliches Problem.“ Und eines für die betriebliche Mitbestimmung: Wer für sich keine Perspektive im Unternehmen sieht, weil er nur befristet eingestellt wurde, ist nur schwer für ein Betriebsratsmandat zu interessieren.

Neben den Jüngeren wird aber auch eine andere Beschäftigtengruppe gezielt umworben: Frauen. Derzeit sind rund 25 Prozent aller Betriebsratsmitglieder weiblich; zumindest im Durchschnitt ist es in den meisten Branchen gelungen, die Vorgabe des 2001 reformierten Betriebsverfassungsgesetzes zu erfüllen, wonach das „Minderheitengeschlecht“ wenigstens gemäß seinem Anteil an der Belegschaft auch im Betriebsrat vertreten sein muss. Die Betriebsratsvorsitzenden aber sind nach wie vor zumeist Männer. 

Bei den bloßen Durchschnittswerten wird allerdings ein Problem nicht sichtbar: Gerade in Bereichen, in denen besonders viele Frauen arbeiten – wie im Einzelhandel, in der Pflege oder in Kindertagesstätten –, gibt es oftmals noch gar keinen Betriebsrat. „Mitmachen. Mitbestimmen. Frauen verändern ihre Arbeitswelt“: Unter diesem Titel ermutigt der ver.di-Landesbezirk Hamburg Frauen zu kandidieren, indem Betriebs- und Personalrätinnen aus den verschiedensten Unternehmen, vom Krankenhaus über die Staatsoper bis zum Apple-Store am feinen Jungfernstieg, zu Wort kommen. „Die Interviews“, sagt die stellvertretende Hamburger ver.di-Chefin Agnes Schreieder, „handeln davon, wie es den Frauen mit ihrem Engagement geht – als Betriebsrätin, als Arbeitnehmerin, als Mensch.“ Von den Erfolgen der Interessenvertreterinnen ist zu lesen, aber auch von ihren Niederlagen, ihren Überforderungen. „Wir wollten ein lebensnahes Bild vermitteln“, erklärt Schreieder. 

AKTIONSIDEEN UND KAMPAGNEN


Die Hamburger „Frauen-Testimonials“ sind eines von vielen Beispielen, wie die Einzelgewerkschaften in ihren Branchen Wahlkampf betreiben. An die breite Öffentlichkeit richten sich dagegen die Begleitaktionen des DGB. „Du hast es in der Hand!“, lautet das Motto, das in einer Serie von Plakaten ganz wörtlich genommen wird mit Hand-Botschaften, die Gründe auflisten für die betriebliche Mitbestimmung. „Überwachung verhindern!“ etwa. Oder: „Gute Arbeit klarmachen!“ Dazu wurde eine Vielzahl an Aktionsideen entwickelt – vom witzigen YouTube-Film bis hin zu Aufklebern für Äpfel, die an Pendler verschenkt werden sollen: „Mit Biss für faire Jobs“.

Im Zuge dieser Kampagne will der DGB auch den gewerkschaftlichen Forderungen zur Weiterentwicklung der betrieblichen Mitbestimmung Nachdruck verleihen. Angesichts der Veränderungen in der Arbeitswelt sei eine Modernisierung des Betriebsverfassungsgesetzes überfällig, meint DGB-Bundesvorstandsmitglied Dietmar Hexel. „Es ist enttäuschend, dass die große Koalition hier außer Lobeshymnen auf die Mitbestimmung nichts zu bieten hat.“ So bräuchten Betriebsräte dringend ein „echtes Zustimmungsverweigerungsrecht“ beim Einsatz von Leiharbeitnehmern und Werkvertragsbeschäftigten. Und in transnationalen Konzernen müssten Konzernbetriebsräte verpflichtend werden – auch dann, wenn die Konzernspitze im Ausland ansässig ist, weil ansonsten „Unternehmenseigner die Mitbestimmung umgehen können“, sagt IG-Metall-Sekretärin Jacquemin. 

Und: „Wir fordern, mehr Anreize für die Gründung von Betriebsräten zu schaffen“, sagt Gewerkschafter Hexel. In Betrieben mit bis zu 100 Beschäftigten soll das vereinfachte Wahlverfahren gelten (derzeit liegt die Grenze bei 50 Arbeitnehmern). Zudem müssten Arbeitnehmer, die einen Betriebsrat gründen wollen, besser geschützt werden. „Immer häufiger werden Fälle bekannt, in denen Betriebsratswahlen verhindert oder Mitglieder bestehender Gremien systematisch vom Arbeitgeber unter Druck gesetzt werden“, sagt Hexel. „Das ist ein Skandal.“

Das Ausmaß dieses Skandals hat Martin Behrens vom WSI der Hans-Böckler-Stiftung mithilfe einer Umfrage unter 184 regionalen Gewerkschaftssekretären zu bestimmen versucht. Immerhin 59 Prozent der Befragten gaben dabei an, von gestörten oder verhinderten Betriebsratswahlen in ihrem Zuständigkeitsbereich zu wissen. In drei Viertel der insgesamt 241 genannten Fälle schüchterte der Arbeitgeber die möglichen Kandidaten ein. Maßnahmen gegen bereits gewählte Arbeitnehmervertreter sind dagegen offenbar seltener: Davon wussten nur 38 Prozent. „Es gibt keine flächendeckende Offensive gegen die betriebliche Mitbestimmung“, bilanziert Sozialwissenschaftler Behrens. „Aber es gibt sehr wohl ein Problem.“

Wenn Arbeitgeber ganz legal gegen einen Betriebsrat vorgehen wollen, müssen sie auf Fehler bei der Wahl hoffen. Dann können sie die Wahl vor Gericht anfechten und Neuwahlen erzwingen. Und die Fallstricke, über die ein unerfahrener Wahlvorstand stolpern kann, sind zahlreich, wie der Düsseldorfer Arbeitsrechtler Christopher Koll erläutert. „Das Verfahren ist fehleranfällig hoch zehn.“ Das beginnt bei der korrekten Einsetzung des Wahlvorstands, setzt sich fort mit der richtigen Festsetzung der Fristen etwa für das Einreichen der Wahlvorschläge und wurde im vergangenen Jahr vom Bundesarbeitsgericht um eine weitere Herausforderung ergänzt: Erstmals zählen auch Leiharbeitnehmer mit, wenn die Größe der Belegschaft und damit die Größe des Betriebsrats zu bestimmen ist. Die Zahl der zu berücksichtigenden Leiharbeitsplätze aber sei gar nicht so leicht zu ermitteln, sagt Koll.

Wegen all dieser möglichen Fehlerquellen trifft die gewerkschaftliche Forderung nach einer Ausweitung des vereinfachten und damit schnelleren Wahlverfahrens bei dem Juristen und Betriebsratsberater auf Skepsis: „Kürzere Fristen bedeuten mehr Druck, mehr Eilbedürftigkeit – und das erhöht die Fehleranfälligkeit.“

Für die Mitbestimmungsoffensive der Gewerkschaften sind die Betriebsratswahlen nur der Auftakt. Auf dem DGB-Bundeskongress im Mai soll eine mehrjährige Kampagne für mehr Mitbestimmung und Teilhabe beschlossen werden. Die IG Metall plant für den Herbst eine große Mitbestimmungskonferenz. Beteiligung heißt die Maxime. Denn Ziel der Gewerkschaften ist weit mehr als eine bloße Reform des Betriebsverfassungsgesetzes: Wirtschaft und Verwaltung sollen demokratischer werden, ganz grundsätzlich. „Wir brauchen das Know-how und die Motivation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, wenn wir einen langfristig erfolgreichen, sozial und ökologisch nachhaltigen Wachstumspfad einschlagen wollen“, sagt DGB-Vorstand Hexel. „Wer gut arbeitet, muss auch mitentscheiden können.“


Mehr Informationen

Ralph Greifenstein/Leo Kißler/Hendrik Lange: Trendreport Betriebsratswahlen 2010. Arbeitspapier 231 der Hans-Böckler-Stiftung. Düsseldorf 2011. 60 Seiten.

ver.di-Broschüre „Mitmachen. Mitbestimmen. Frauen verändern ihre Arbeitswelt“ gibt es als pdf-Download unter: http://hamburg.verdi.de/themen/betriebsratswahlen-2014/frauen-veraendern-ihre-arbeitswelt

Martin Behrens/Heiner Dribbusch: Arbeitgebermaßnahmen gegen Betriebsräte: Angriffe auf die betriebliche Mitbestimmung. In: WSI-Mitteilungen 2/2014

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