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Cover BAP-LP Magazin Mitbestimmung

Politisches Lied: Die geplatzte Tournee

Ausgabe 02/2023

Das Lied „Deshalv spill mer he“ der Band BAP ist eine Breitseite gegen Zensur und das DDR-Regime. BAP darf den Song nicht in der DDR spielen und sagt ihre lange geplante Tournee ab. Von Martin Kaluza

BAP: Deshalv spill mer he (1984)

Un noch jet, falls et nit schon ohnehin bekannt,
Dat ahn die Clique, die sich „Volksvertreter“ nennt:
Uns kritt ihr vüür kein offizielle Kaar jespannt,
He, wo jet andres unger unsre Näjel brennt.

Im Jahr 1983 ist BAP die Band der Stunde. Wolfgang Niedecken singt durchweg in Kölsch, einem Dialekt, der außerhalb des Rheinlandes kaum verstanden und trotzdem geliebt wird. Die Alben „Für usszeschnigge“ und „Vun drinne noh drusse“ belegen über Wochen Platz eins der deutschen Charts, den LPs sind Textblätter mit Verständnishilfen beigelegt. Auf der Tournee 1982/83 spielt die Band 126 Konzerte. 

BAP hat auch in der DDR viele Fans. Die staatliche Plattenfirma Amiga hat das Album „Vun drinne noh drusse“ veröffentlicht, 15 000 Exemplare waren binnen Stunden vergriffen. Die Band plant mit der Künstleragentur der DDR für die zweite Januarhälfte 1984 eine Tournee mit 14 Auftritten in 13 Städten. Den Auftakt soll ein Auftritt beim Festival „Rock für den Frieden“ im Palast der Republik sein. Für das Konzert werden 5000 Karten  ausgegeben – 4300 an ausgewählte FDJler und Parteimitglieder, 700 gehen in den freien Verkauf. Die Schlange, berichtet ein Fan, war anderthalb Kilometer lang.

Wenige Wochen vor Tourbeginn wird BAP zu einem Auftritt in der Jugendsendung „rund“ nach Magdeburg eingeladen. Niedecken bemerkt, wie der Moderator ihn immer wieder in eine Richtung locken möchte: „Wir machten Interviewproben. Man wollte wohl unbedingt von mir hören, dass SS20 Friedensraketen sind und Pershings Kriegsraketen. Das war fast Loriot-verdächtig.“ Am Ende spielt die Band drei Songs zum Playback, das Interview wird nicht gesendet.

Zurück in Köln schreibt Niedecken einen Song über den Rüstungswahn auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs. Niedecken erträumt sich, dass SS20-Raketen zu einem Traktor umgeschmiedet werden und  Pershings zu einer Lok. Der Refrain ist eine Breitseite gegen Zensur und das DDR-Regime: „Hey du da und du – wann ist es hier so weit, dass man das Maul aufmachen darf, wenn man etwas sagen will? Es wird höchste  Zeit!“ Der Song „Deshalv spill mer he“ hat seine Premiere am Tag vor Beginn der DDR-Tour. Im Publikum sind auch zwei Vertreter der DDR-Jugendorganisation FDJ.

Als die Band im Hotel Unter den Linden in Berlin ankommt, hat sie noch keinen Vertrag für die Konzerte der Tournee. Die Künstleragentur der DDR besteht darauf, den Text des neuen Songs vorab zu lesen. Während die
Band Kaffee trinkt, entziffern Mitarbeiter am Nebentisch Zeile für Zeile Niedeckens Kölsch. Schnell wird klar: Die Band darf den Song nicht in der DDR spielen. Die Band sagt: „Wir spielen den, oder wir fahren ab.“ Das Festival „Rock für den Frieden“ findet ohne BAP statt. „Die Gruppe hat es vorgezogen, gestern wieder abzureisen“, erklärt der Ansager den Besuchern. „Sie wollten nicht unter dem Symbol der weißen Taube unter
blauem Grund auftreten.“

Wolfgang Niedecken wird noch vor der Rückreise von einem West-Reporter in Ostberlin konfrontiert: Ob nicht von Beginn an klar gewesen sei, dass man das fragliche Stück hier nicht spielen könne. Niedecken antwortet: „Jetzt müssen wir unheimlich aufpassen, dass wir uns ein paar Hundert Meter weiter nicht vor einen [anderen] Karren spannen lassen von den Kalten Kriegern, die da sitzen und sagen: Siehste, ätsch, da habt ihr‘s, ihr
Alternativis, ihr Linken.“ Auf die Frage, wie sich das anfühle, entgegnet Niedecken: „Beschissen.“ Jahre später sagt er: „Wir fühlten uns deshalb beschissen, weil wir mittlerweile kapiert hatten, dass die Leute sowieso  wussten, wieso wir da spielen. Das Lied wäre gar nicht nötig gewesen.“ 


Das Lied hören/ansehen (mit hochdeutschen Untertiteln):
https://youtu.be/ik_gz-xLsMA

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