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Magazin Mitbestimmung

: Das schärfste unter den stumpfen Schwertern

Ausgabe 03/2012

VERHALTENSKODEX Seit mehr als 35 Jahren verlangt die machtvolle OECD in ihren „Leitsätzen für multinationale Unternehmen“ verantwortliches Handeln von Weltkonzernen. Darauf können sich Staaten, Gewerkschaften und Betriebsräte berufen. Von Joachim F. Tornau

Joachim F. Tornau ist Journalist in Kassel.

Die Liste namhafter Unternehmen ist lang. Der schweizerische Unterwäschehersteller Triumph steht ebenso darauf wie der deutsche Chemiekonzern BASF, der französische Lebensmittelriese Nestlé ebenso wie die Deutsche Telekom. Genau 136 Beschwerden haben Gewerkschaften seit dem Jahr 2000 weltweit bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) eingereicht, überwiegend wegen Verstößen gegen die Organisationsfreiheit der Beschäftigten.

Denn gewerkschaftliche Interessenvertretung zu behindern, widerspricht den „Leitsätzen für multinationale Unternehmen“, die die OECD 1976 aufgestellt hat und die im vergangenen Jahr unter Mitwirkung von Gewerkschaften, Arbeitgebern und Nichtregierungsorganisationen erneut überarbeitet und ausgeweitet wurden. Der mittlerweile gut 100-seitige Verhaltenskodex für Global Player, auf den sich die 34 OECD-Staaten geeinigt und dem sich auch acht Nichtmitglieder angeschlossen haben, enthält nachdrückliche Empfehlungen für verantwortliches Unternehmenshandeln – und dazu gehört neben der Achtung der Menschenrechte, der Bekämpfung der Korruption oder der Förderung des Umweltschutzes nicht zuletzt die Wahrung der Arbeitnehmerrechte. Im Juli 2011 legten die Gewerkschaft ver.di und die der Commucation Workers of America (CWA) darum offiziell Beschwerde gegen die Deutsche Telekom bei der OECD ein.

JETZT DROHEN KONSEQUENZEN_ Der Konflikt um die Telekom-Tochter T-Mobile USA ist einer der jüngsten Beschwerdefälle weltweit, und auch der allerjüngste Konflikt betrifft die US-Tochter eines deutschen Unternehmens: Drei amerikanische Gewerkschaften werfen dem Airline-Caterer Lufthansa Sky Chefs vor, die Gesundheit von Beschäftigten und Öffentlichkeit zu gefährden. Noch sind beide Beschwerden nicht bearbeitet. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie Konsequenzen haben werden, ist mit der Verabschiedung der überarbeiteten Leitsätze jedoch gestiegen. Bis dahin nämlich, berichtet Roland Schneider vom gewerkschaftlichen Beratungsausschuss TUAC bei der OECD in Paris, sind Fälle ausgerechnet in den beiden OECD-Staaten mit den meisten Gewerkschaftsbeschwerden häufig liegen geblieben: in den USA und Südkorea. Die zuständigen Nationalen Kontaktstellen (NKS), die die jeweilige Regierung einzurichten hat, hätten die Bearbeitung oft verschleppt oder seien sogar gänzlich untätig geblieben.

„Die Pflichten der Nationalen Kontaktstellen sind in den Leitsätzen jetzt präziser geregelt“, sagt Schneider. Aber auch inhaltlich sind die „Guidelines“ weiter reichend geworden. So werden die Unternehmen jetzt deutlicher zum Einsatz gegen Menschenrechtsverstöße aufgefordert, ihre Sorgfaltspflicht erstreckt sich ausdrücklich auch auf die Zuliefererkette, und erstmals gibt es Vorgaben zur gerechten Bezahlung der Beschäftigten, „diese sollten […] zumindest hinreichend sein, um den Grundbedürfnissen der Arbeitnehmer und ihrer Familien gerecht zu werden“. Außerdem wurde klargestellt: Parallel laufende juristische Verfahren sind kein Ablehnungsgrund. Und: Die OECD-Regeln gelten keineswegs nur bei Auslandsinvestitionen, sondern auch etwa bei Liefergeschäften. Dies war in der Vergangenheit vielfach von vielen Nationalen Kontaktstellen – nicht zuletzt von der deutschen – dazu genutzt worden, Beschwerden abzuschmettern. „Die neuen Leitsätze erweitern die Möglichkeiten, Druck auf Unternehmen auszuüben“, meint TUAC-Sekretär Schneider.

Genau 136 Beschwerden haben Gewerkschaften seit dem Jahr 2000 weltweit eingereicht, überwiegend wegen Verstößen gegen die Organisationsfreiheit wie im Fall T-Mobile USA. Jeder vierte von Gewerkschaften vorgebrachte Fall endete laut TUAC mit Verbesserungen – bei den von den NGOs vorgebrachten Fällen ließ sich nur in fünf Prozent durch die OECD-Intervention etwas verbessern.

Dennoch sagt Roland Schneider: „Die Zahl der offiziell registrierten Beschwerdefälle ist kein guter Indikator für die Wirksamkeit der Leitsätze.“ Denn mitunter reiche es schon, bloß damit zu drohen, die OECD einzuschalten, um ein Unternehmen zum Einlenken zu bringen. Dies funktioniert in den Ländern umso wirkungsvoller, wo ein System der betrieblichen Interessenvertretung existiert.

Wohl deshalb hat der Deutsche Gewerkschaftsbund erst ein einziges Mal zum Mittel der OECD-Beschwerde greifen müssen: 2003 wurde Beschwerde gegen die Bayer AG eingelegt, weil der Chemiekonzern auf den Philippinen aktive Gewerkschafter entlassen und sich stattdessen eine willfährige Betriebsgewerkschaft gegründet hatte. Mehr als vier Jahre wurde darüber verhandelt, ehe es der deutschen Nationalen Kontaktstelle gelang, eine Einigung herbeizuführen. Bayer musste die rechtmäßige Gewerkschaft ebenso wie den widerrechtlich gekündigten Gewerkschaftspräsidenten finanziell entschädigen.

„Die OECD-Guidelines sind unter den stumpfen Schwertern, die wir auf internationaler Ebene für die Kontrolle multinationaler Unternehmen haben, noch das schärfste“, sagt DGB-Bundesvorstandsmitglied Claus Matecki. „Mit der Revision sind sie noch bedeutsamer geworden.“ Eine zentrale Forderung von Gewerkschaften und NGOs konnte freilich nicht durchgesetzt werden: An der mangelnden Verbindlichkeit der Leitsätze hat sich nichts geändert. Die Nationalen Kontaktstellen können nach wie vor nicht mehr tun, als die Konfliktparteien an einen Tisch zu bringen und nach einer einvernehmlichen Lösung zu suchen. Den Unternehmen droht nicht mehr als öffentlicher Druck und schlechte Presse, Sanktionen sind nicht vorgesehen.

Außerdem gibt es auch künftig keinerlei Vorgaben, wie eine Nationale Kontaktstelle organisiert sein soll. In Deutschland ist sie in der Abteilung für Außenwirtschaftsförderung des Bundeswirtschaftsministeriums angesiedelt und hat keinerlei unabhängiges Aufsichtsgremium. Und bisher entschied sie zumeist so unternehmensfreundlich, dass Deutschland von der Nord-Süd-Initiative Germanwatch sogar zum „Weltmeister“ im Ablehnen von OECD-Beschwerden gekürt wurde. Von den 19 bis dato in der Bundesrepublik eingereichten Fällen wurden lediglich fünf überhaupt angenommen. Das, fordert der DGB, müsse anders werden: „Ziel der Leitsätze ist die Verbreitung guter Geschäftspraktiken“, sagt Matecki, „und nicht der Schutz der deutschen Unternehmen vor unliebsamer Kritik.“

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