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Systemrelevant Folge 163 mit Johanna Wenckebach zu Barrierefreiheit Service aktuell

Systemrelevant Podcast: Barrierefreiheit muss der Standard sein

Felix Welti von der Uni Kassel und HSI-Direktorin Johanna Wenckebach erläutern die Ergebnisse einer Evaluation des Behindertengleichstellungsgesetzes, die beide auf einer Tagung des HSI vorstellen werden.

[11.10.2023]

Bei der Tagung „Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen und Barrierefreiheit – Von der Evaluation zur Reform“ des Hugo Sinzheimer Instituts für Arbeits- und Sozialrecht (HSI) soll es unter anderem darum gehen, dass mehr über Barrierefreiheit und die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung gesprochen werden muss. Das sehr wichtige Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) hat immer noch eine zu geringe Bedeutung und ist zu wenig bekannt, so Johanna Wenckebach. Das hat auch eine Evaluation festgestellt, in der am Ende rechtspolitische Vorschläge für den Gesetzgeber gemacht werden, um so effektiver für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung und für Barrierefreiheit zu sorgen. 

Es sei bei diesem Gesetz wichtig, dass die Behinderung von den Barrieren her gedacht wird und nicht vom einzelnen Menschen mit Behinderung, so Felix Welti, Professor für Sozial- und Gesundheitsrecht, Recht der Rehabilitation und Behinderung an der Universität Kassel. Bei den Verfahren darf nicht erst, wenn jemand mit einer bestimmten Behinderung kommt, angefangen werden zu überlegen, was zu tun ist, sondern die Verfahren müssen von vornherein so gestaltet sein, dass Menschen zu ihrem Recht kommen. Auch beim Arbeitsrecht gäbe es das Problem. Hier stehe immer noch drin, eine Arbeitsstätte muss barrierefrei sein, wenn Schwerbehinderte beschäftigt werden. Das heißt, in den Betrieben wird typischerweise gewartet, bis man einen konkreten Schwerbehinderten hat. Und erst dann würde etwas getan werden. Aber: Dinge wie Barrierefreiheit sollten eigentlich schon im Vorfeld vorbereitet sein.

Johanna Wenckebach macht dies ganz plastisch: „Wir haben tatsächlich sehr umfangreich versucht, unsere Tagung, über die wir gerade sprechen, barrierefrei auszugestalten. Und das bedeutet eben nicht nur ein Hotel zu finden, in dem sich Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, gut bewegen können, auf Toilette gehen können, sie auf die Bühne fahren können, sondern sich eben vorher zu überlegen, was ist mit Menschen mit Seh-Einschränkungen, mit Hör-Einschränkungen, wie können wir denen das vermitteln, was im Wesentlichen für Sehende und Sprechende in der Regel nur zugänglich gemacht wird. Es ist unsere erste Tagung, die eine Hundestation hat, weil es eben für Menschen mit Sehbehinderung oft dazu gehört, zum Beispiel einen Blindenhund zu haben. Die müssen auch ihren Platz finden auf dieser Tagung und sich all diese Gedanken zu machen. Das macht eben Barrierefreiheit aus.“

Dr. Irene Becker hat in ihrer von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie ein angemessen hohes soziokulturelles Existenzminimum berechnet und festgestellt, dass das Niveau der Kindergrundsicherung je nach Alter der Kinder um 6 bis 30 Prozent höher sein müsste als nach der gesetzlichen Bedarfsermittlung.

Beckers Reformvorschlag sieht vor, die Konsumausgaben der gesellschaftlichen Mitte als Bezugspunkt zu nehmen. So wäre es nach Analyse der Armutsexpertin etwa plausibel, soziokulturelle Teilhabe als gerade noch gegeben zu definieren, wenn Haushalte bei den Ausgaben für Grundbedürfnisse wie Ernährung, Bekleidung und Wohnen nicht mehr als 25 Prozent und bei sonstigen Bedürfnissen nicht mehr als 40 Prozent von der Mitte nach unten abweichen. Damit lebt die Referenzgruppe zwar deutlich unter der gesellschaftlichen Mitte, hätte aber noch mehr Teilhabemöglichkeiten als bei der bisherigen Berechnung, die den Kindern und damit letztlich der gesamten Gesellschaft schadet.

Moderation: Marco Herack

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In Systemrelevant analysieren führende Wissenschaftler:innen der Hans-Böckler-Stiftung gemeinsam mit Moderator Marco Herack, was Politik und Wirtschaft bewegt: makroökonomische Zusammenhänge, ökologische und soziale Herausforderungen und die Bedingungen einer gerechten und mitbestimmten Arbeitswelt – klar verständlich und immer am Puls der politischen Debatten.

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