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Vier Wege durch die Pandemie Magazin Mitbestimmung

Coronakrise: Vier Wege durch die Pandemie

Ausgabe 06/2020

Die Pandemie traf Betriebe ganz unterschiedlich. Während die einen in Kurzarbeit gingen, mussten andere die Produktion mit Sicherheitskonzepten und Notbesetzungen aufrechterhalten. Vier Beispiele, wie Betriebsrätinnen und Betriebsräte mit der Krise umgehen. Von Fabienne Melzer

  • Tekin Nasikkol
    Tekin Nasikkol, Vorsitzender des GBR bei Thyssenkrupp Steel

Auf Abstand eingespielt

Die Krise kam wie ein Schlag in den Nacken eines Boxers, der sich gerade wieder aufgerappelt hatte. Nach dem Scheitern der Fusion von Thyssenkrupp Steel und dem indischen Konzern Tata verhandelte der Gesamtbetriebsrat (GBR) mit dem Konzern eine neue Strategie und einen dazu gehörigen Tarifvertrag. Tekin Nasikkol, Vorsitzender des GBR, saß Ende März in der letzten Verhandlungsrunde, als mit der Pandemie der nächste Schlag kam. „Die wirtschaftliche Lage war dramatisch, weil unser wichtigster Kunde, die Autoindustrie, in ganz Europa am Boden lag.“ Doch einen Hochofen schaltet man nicht einfach ab. „Den kriegt man sonst nie wieder ans Laufen“, sagt Nasikkol.

Der Betriebsrat musste sich gleichzeitig darum kümmern, Kurzarbeit für Tausende Beschäftigte abzufedern, Infektionen zu verhindern, wo weiter gearbeitet wurde, und trotz Abstand für alle Kolleginnen und Kollegen erreichbar zu bleiben. Nach mehr als einem halben Jahr kann Betriebsrat Nassikkol sagen: „Alles erreicht.“ Sie konnten das Kurzarbeitergeld zunächst auf 80, später in zwei Stufen auf 89 Prozent aufstocken. Damit sich im Betrieb niemand ansteckte, wurden Anfangszeiten und damit auch Anfahrten zur Arbeit entzerrt. Inzwischen hat der Betriebsrat das Ganze in eine Gesamtbetriebsvereinbarung gegossen. Sie regelt, wie sie zukünftig generell mit Pandemien umgehen wollen.

Auch die Arbeit als Betriebsrat auf Abstand hat sich inzwischen eingespielt. Aber sie kann das persönliche Gespräch nicht ersetzen und es fällt unter diesen Bedingungen schwer, Kolleginnen und Kollegen für eine Aktion zu mobilisieren. „Wo persönliche Begegnungen fehlen, schleicht sich eine gewisse Entsolidarisierung ein“, beobachtet der Betriebsrat.

  • Thorsten Braun
    Thorsten Braun, Betriebsrat im Steigenberger Hotel am Frankfurter Flughafen

Bedauernswert niedrige Löhne

Kurzarbeit war für Thorsten Braun, Betriebsrat im Steigenberger Hotel am Frankfurter Flughafen, jahrelang kein Thema. Das gab es in der Branche eigentlich nicht. Gerade noch hatte er sich mit IT-Themen und der Übernahme durch den neuen chinesischen Eigentümer beschäftigt, da wurde er im Frühjahr von einem Tag auf den anderen auf den harten Boden der Kurzarbeit geworfen.

In der Schublade lag noch eine Vereinbarung aus der Krise 2008/2009, die sie damals nicht gebraucht hatten. „Darauf konnten wir aufbauen“, sagt Braun, der auch Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender ist. Der Betriebsrat verfolgte zwei Ziele: Alle Beschäftigten sollten zumindest zu Beginn der Krise gleichmäßig Kurzarbeit machen, und keiner sollte weniger als 80 Prozent seines vorherigen Nettogehalts bekommen.

Die Aufstockung war ihm besonders wichtig: „Die Tariflöhne in der Hotelbranche sind bedauernswert niedrig. Mit 60 Prozent wäre niemand ausgekommen, schon gar nicht hier, im Raum Frankfurt“, sagt Braun. „Selbst mit 80 Prozent müssen die Kolleginnen und Kollegen noch jeden Pfennig zweimal umdrehen.“ Mit Finanzvorstand und Arbeitsdirektor Heck war sich der Betriebsrat darin einig, und so konnte eine entsprechende Regelung für alle Steigenberger-Betriebe abgeschlossen werden.

  • Tobias Bäumler
    Tobias Bäumler, Betriebsrat bei Siemens in Karlsruhe

Sicherheit für Beschäftigte sichert Produktion

In Karlsruhe baut Siemens Steuerungstechnik unter anderem für die Lebens- und Pharmaindustrie – ein Lieferant der kritischen Infrastruktur. In der grenznahen Region pendeln viele Siemens-Beschäftigte aus dem benachbarten Elsass ein. Als im März die Grenzen schlossen, ging es für Siemens-Betriebsrat Tobias Bäumler auch darum, den Betrieb aufrechtzuerhalten. „Kolleginnen und Kollegen aus Frankreich durften plötzlich nicht mehr über die Grenze und fehlten in der Produktion“, erzählt Bäumler. Beschäftigte aus anderen Bereichen sprangen für sie ein und der Betrieb blieb lieferfähig.

Für den Siemens-Betriebsrat stellte sich vor allem die Frage, wie können die Beschäftigten unter Pandemiebedingungen weiter arbeiten und gleichzeitig geschützt werden. Mit dem Arbeitgeber erarbeitete der Betriebsrat dazu ein Sicherheitskonzept.

Den Solidaritätstarifvertrag, den die IG Metall mit dem Lockdown abschloss, nutzte er vor allem für Beschäftigte der Kantine. „Sie hatten ja von heute auf morgen deutlich weniger Geld“, sagt Bäumler. Mit einem Ergänzungstarifvertrag sorgten sie dafür, dass der Solidaritätstopf aus dem IG Metall-Abschluss in Form einer Sozialkomponente vor allem den unteren Einkommensgruppen zugutekam.

In Karlsruhe läuft noch immer Betrieb nach Pandemieregeln und es funktioniert. Das Sicherheitskonzept halte sie lieferfähig und das habe in diesen Zeiten einen großen Wert. „Wir erleben bei Siemens teilweise Sonderkonjunkturen“, sagt Bäumler. „Firmen, die bislang in anderen Ländern bestellten, kommen hektisch zu uns, weil ihr Lieferant ausgefallen ist.“

  • Kerstin Spendel
    Kerstin Spendel, Betriebsrätin bei Covestro in Uerdingen

Jeder wusste, was zu tun ist

Einen Plan mussten sie bei Covestro in Uerdingen nicht entwerfen. Eine Betriebsvereinbarung zum Umgang mit Pandemien hatten sie bereits vor Jahren abgeschlossen, als das Sars-Virus um die Welt ging. So wusste jeder sofort, was er zu tun hatte, als im März die Pandemie begann. Es war klar, wie sich der Krisenstab zusammensetzt, wie er arbeitet und welche Aufgaben er hat. Dabei ging es für Betriebsrätin Kerstin Spendel vor allem um ihre Kolleginnen und Kollegen: „Sie sollten gesund bleiben.“

Der Hersteller von High-Tech-Polymer-Werkstoffen arbeitet im 5-Schicht-System. „Wir mussten ja immer damit rechnen, dass uns das Gesundheitsamt eine ganze Schicht nach Hause schickt, wenn es einen erwischt“, sagt Kerstin Spendel. Daher setzen sie nicht nur auf Sicherheit am Arbeitsplatz, sondern fuhren zusätzlich in der Produktion auf Mindestbesetzung herunter. Der Rest der Mannschaft blieb bezahlt zu Hause. „Das war unsere Reserve, sollte eine Schicht in Quarantäne müssen.“ Da auch das nicht gereicht hätte, planten sie damit, im Notfall von 5 auf 4 auf 3 Schichten runterzufahren. Soweit kam es allerdings nicht.

Doch nicht nur die Arbeitsbedingungen forderten den Betriebsrat heraus. Auch die Aufträge gingen zurück. Zwar mussten alle auf Geld verzichten, aber dem Betriebsrat gelang es, den Verzicht nach Einkommen zu staffeln, von 6,5 Prozent bei den unteren Einkommen bis 15 Prozent bei Vorstand und Aufsichtsrat. Das Ganze befristet für sechs Monate. Ende November sollen alle wieder ihr volles Einkommen bekommen.

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